Es läuft noch nicht ganz rund unter der neuen Intendanz auf dem Theaterschiff. Vor der (nicht ausverkauften) zweiten Premiere stand man eine Viertelstunde in der Kassen- und Garderobenschlange, die Aufführung der Komödie "Winterspeck" begann mit halbstündiger Verspätung, und für den Folgetag war ungeschickterweise eine weitere Premiere angesetzt ("Vier linke Hände"), die man dann kurzfristig um eine Woche verschob. Ein bisschen konfus ging es auch auf der Bühne zu – man merkte an mancher Fahrigkeit, dass Musicaldarsteller Benedikt Ivo mit dem Regiehandwerk noch nicht allzu vertraut ist. Doch das minderte den Spaßfaktor kaum.
Denn "Winterspeck" von Michael Kuhn und Christian Kühn glänzt mit witzigen Comedy-Dialogen und die Darbietung mit einem charakteristischen Darstellerinnentrio. Die Geschichte variiert das seit Charles Dickens bekannte Motiv vom Weihnachtsmuffel, der den wahren Geist des Christfests entdeckt; hier treten drei weibliche Feiertagsflüchtlinge an.
Die durchtrainierte, diätgestresste Sandra, die in Los Angeles lebt, landet am frühen Heiligabend in einem Bremer Fitnessstudio im verzweifelten Bewusstsein, dass sie die Erwartungen ihrer Ziehmütter, eine erfolgreiche lesbische Filmregisseurin zu sein, nicht erfüllen kann. Gudrun, bärbeißig und bewegungsfaul, platzt herein, um einem Sportler ihr Fitnessarmband umzubinden und somit die 240.000 Schritte für eine Weihnachtshilfsaktion ihrer Firma zu sammeln. Die mütterliche Karin, die ihren Geschenkekoffer im Zug vergessen hat, möchte für ihren Neffen eine Dose Eiweißpulver nachkaufen und am Rudergerät den Akku ihres Handys aufladen.
Das klingt schon ziemlich gaga, und es wird noch durchgeknallter, wenn das Dreierteam, von Gudrun animiert, beschließt, "das Fest der Lügen", zu boykottieren, die Familienbesuche abzusagen und dafür im Sportstudio bei schlechtem Fastfood und Korn "Entscherung" zu begehen. Die Weihnachtsdeko wird abgerupft und Fitnesstrainer Hardy, der den Weihnachtsmann spielen wollte, gefesselt in die Ecke verbannt.
Die Hantel in der Krippe
Als sich aber herausstellt, dass nun mangels Hardys Fahrerdiensten die Bewohner eines Seniorenheims den Besuch des Krippenspiels versäumen, packt die drei Golden Girls die Reue. Sie brechen mit dem Trainer auf, um das Theaterstück in Eigenregie aufzuführen. Höchst eigenwillig mit "Kündigungsengel" und Hantel in der Krippe wird es der ultimative Weihnachtsklamauk à la Patrick Barlows "Messias". Am Komödienende haben dann alle Mut gefasst: Sandra wird ihren Ziehmüttern beichten, dass sie einen Shopping-Kanal moderiert, Gudrun einen heimlich verehrten Kollegen ansprechen und Karin ihrer Familie gestehen, wie sehr der Tod ihres Mannes sie noch immer belastet.
Dass man all diese Wendungen schluckt, liegt an der famosen Frauenpower auf der Bühne. Tanja Müller macht als Sandra nicht nur eine gute Figur, sondern entwickelt nachvollziehbar Selbstbewusstsein. Tanja Haller lässt es als leicht verhuschte Karin hübsch krachen, und Verena Bonnkirch ist als Gudrun eine Super-Krawallschachtel. Kleine Choreografien mit Musik sind das Salz auf der Gans. Leon Paul Johann Saß als Hardy hat anfangs Mühe mitzuhalten, kommt aber beim Krippenspiel – mit Stripperauftritt – in Fahrt.
So lassen sich dem Winterspeck und Weihnachtsstress sehr lustige Seiten abgewinnen – und die Hoffnung, dass das Theaterschiff auch organisatorisch bald wieder in professionellem Fahrwasser segelt.