"Ich habe schon nach allem hier gerochen", sagt Ingmar Lähnemann von der Städtischen Galerie und guckt dabei, als sei dies nicht unbedingt in jedem Fall seine schönste Erfahrung als Kurator gewesen. Und beim Betreten der Städtischen Galerie wird auch schnell klar, warum: Der Besucher wird empfangen von einer Installation aus leckenden Rohren, aus denen eine braune, zähflüssige Masse läuft, die einen unangenehmen, kanalisationsähnlichen Geruch - inklusive passender Geräusche - verbreitet. Es ist die Arbeit "Ultimate Beneficial Pipeline Construction System 2.0" von Laura Pientka, die hier für das wenig angenehme Aroma sorgt.

Laura Pientkas Installation "Ultimate Beneficial Pipeline Construction System" verbindet Sound, Optik und Geruch zu einem eher unangenehmen Kunsterlebnis.
"Hier unten ist unsere bakterielle Ebene", sagt Lähnemann und läuft weiter zum nächsten Kunstwerk. Jana Piotrowski hat für ihre Rauminstallation "Mud Cultures" Wasser und Schlamm entlang des Weserverlaufs entnommen und in eine Säule aus Acrylglas gefüllt, in der man die Veränderungsprozesse beobachten kann; die Künstlerin Bernadette präsentiert in "The embedded smell" ein großes Knäuel Haare auf einem Sockel.
Idee zum "Smell it!"-Projekt
Sie alle sind Teil der Ausstellung "Olfaktor: Geruch gleich Gegenwart", die Ingmar Lähnemann und die Wissenschaftlerin und Philosophin M?d?lina Diaconu für das Projekt "Smell it!" auf die Beine gestellt haben, und die noch bis zum 29. August in der Städtischen Galerie zu sehen ist. Lähnemann war auch der Initiator des gesamten Projekts, er hatte vor einigen Jahren die Idee, eine gemeinsame Aktion mit allen Bremer Museen auf die Beine und dabei das Thema Geruch in den Mittelpunkt zu stellen.
"Olfaktor" erfüllt nicht nur dieses Kriterium, die Schau ist zeitgleich auch die Jahresausstellung des Bremer Verbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK). 15 Bremer Arbeiten also, die von einer Jury ausgewählt und von den Kuratoren um vier internationale Arbeiten ergänzt wurden.
Im oberen Bereich der Galerie wird es geruchlich dann etwas angenehmer. Teilweise entstehen die Gerüche hier auch nur in der Fantasie des Betrachters. So zum Beispiel bei Claudia Christoffels "Für und gegen alles". Die Künstlerin hat eine Skulptur aus 768 trapezförmigen Räucherkegeln gebaut, die sie in einem spirituellen Laden erworben hat, und die demjenigen, der sie anzündet, angeblich zu Liebe, Glück, unendlicher Macht, Reichtum oder der Erfüllung anderer Sehnsüchte verhelfen sollen. "Würde man die Skulptur wirklich anzünden, würde wahrscheinlich die Welt implodieren und der Geruch wäre nicht auszuhalten", so Lähnemann.
Viren riechen und sehen
Susann Hartmann hat für ihre Videoarbeit "Smell it!" Menschen an mal angenehmen, mal weniger angenehmen Dingen riechen lassen und ihre Reaktionen mit der Kamera eingefangen. Und Maki Ueda - eine der vier internationalen Künstlerinnen – hat einen begehbaren Kubus geschaffen, der sich mit der Frage beschäftigt, wie es wohl wäre, wenn man das Corona-Virus sehen und riechen könnte. Besucher haben die Möglichkeit, in dem Kubus Parfüm zu versprühen, das alle paar Minuten unter Schwarzlicht auch sichtbar wird und bunt leuchtet - eine spannende und gleichzeitig etwas gruselige Erfahrung.
Die Künstlerin Esther Adam hat einen Wandbehang aus ungewaschener Schafwolle, Stramin und Kurkuma geschaffen; Stephan Thierbach hat eine Installation errichtet, die Moorboden destilliert. Das Ergebnis, den "Schweiß der Erde", kann der Besucher auch in kleinen Fläschchen käuflich erwerben. Mari Lena Rapprich hat direkt ein ganzes mobiles Küchenmodul in der Galerie aufgestellt, das mit Küchengeräuschen den Eindruck von Geruch über Klang erzeugt.
Schrott und Schokolade
Anja Fußbach ist mit mehreren Arbeiten in der Ausstellung vertreten. In der Videoinstallation "Schrott und Schokolade" stellt sie einen Widerspruch zwischen dem Gesehenen und dem Geruchserlebnis her: Auf einem Haufen Schrott, den sie auf einem Schrottplatz neben einer ehemaligen Hachez-Fertigungsanlage eingesammelt hat, läuft ein Film, der auf eben diesem Schrottplatz gedreht wurde. Die Leinwand besteht aus weißen Schokoladentafeln, die durch die Wärme des Projektors langsam weich werden und einen Geruch von Schokolade verbreiten, der so gar nicht zu dem alten Schrott passt.
Meditativ wird es in der Arbeit "Smell your Minds" von Zhé Wang. Der Besucher wird dazu eingeladen, sich in einen mit Teppich ausgelegten, würfelförmigen Raum zu setzen, der mit meditativen Klängen und unterschiedlichem Licht ausgestattet ist. Beim Sitzen lauscht man der Stimme der Künstlerin, die versucht, nur durch Sprache fiktive Gerüche zu erzeugen.
Duftende Autos
Freuen kann man sich noch auf eine Aktion, die die kanadisch-italienische Künstlerin Clara Ursitti gemeinsam mit dem Borgward-Club Bremen geplant hat: Sobald es möglich ist, will sie mit zwei Borgward-Modellen durch die Stadt fahren, aus deren Kofferräumen eine sichtbare Duftwolke versprüht wird, die einen nach Meinung der Künstlerin zu den Autos passenden Geruch versprüht.
Und übrigens: Wer beim Betreten der Galerie den Desinfektionsspender im Eingangsbereich benutzt, dem wird es so gehen wie Ingmar Lähnemann: Auch er oder sie wird ein bisschen nach Kunst riechen - im positiven Sinne. Vom Spender im oberen Bereich des Museums sollte man allerdings lieber die Finger lassen.