Der Wanderrhythmus in Viola und Kontrabass, die Melodie in der Klarinette, und Schauspieler Simon Zigah singt "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus": Trotz der Verfremdung stellt es sich ein, dieses melancholische "Winterreise"-Gefühl rund um Franz Schuberts unglücklich verliebten Wanderburschen. 24 Lieder aus Schnee und Eis: Was 1827 für Sänger und Klavier gedacht war, lässt sich auch mit zehn weißgesichtigen Clownsgespenstern auf die Bühne bringen. Regisseur Armin Petras inszeniert mit ihnen im Kleinen Haus des Theaters Bremen seinen ganz persönlichen Winterblues.
Auf einem großen Tisch schichtet sich Eis in Schollen wie bei Caspar David Friedrich, dahinter steht eine mit Zetteln beklebte Pappwand, an die sich in Wandermäntel gehüllte Gestalten mit Windlichtern herantasten. Auf ihr erscheinen Filmsequenzen in Schwarz-Weiß, handgezeichnete Szenenentwürfe, offenbar Erinnerungen und Seelenlandschaften.
Fast menschenleere Vorstädte, über denen eine Krähe ihre Flugspur hinterlässt. Ein Bär trottet herum, ein Reh guckt lieb, ein Projektil fliegt durchs Bild, ein altes Buch wird aufgeblättert, Gliederpuppen purzeln herum. Ein Wegweiser zeigt in die Richtungen Glück und Unglück, in einer Kirche bröckelt das Kreuz.
Dazu robben vier Darsteller übers Eis, winken mit Tüchern den fallenden Blättern hinterher, schlagen krähengleich mit den Armen, bespielen Posthorn und Lyraglockenspiel. Aktionen zwischen Leidvermittlung und -ironisierung, die aber nicht immer an die Filmbilder heranreichen. Vor allem singen die Akteure. Meist sogar das, was in den Noten steht. Wobei die Schauspieler – die sonnenbebrillte Fania Sorel und der kopfbandagierte Simon Zigah – mit Chansonstil und Sprechgesang den Ton der Verfremdung besser treffen als die zwei (darstellerisch ebenso patenten) Sänger. Nadine Lehners Opernsopran wirkt nur dann angemessen, wenn wie in "Der stürmische Morgen" die Fetzen fliegen, Bassbariton Christoph Heinrich singt bardenhaft und ausdauernd zu tief. Dafür empfiehlt er sich am Schlagzeug, wenn er ("als noch die Stürme tobten") eine wilde Rockeinlage anheizt.
Schuberts Musik bleibt trotz einiger Fremdtexte und Auslassungen im Kern unangetastet, vom liedertafelhaft vorgetragenen "Lindenbaum" abgesehen, auch die Reihenfolge. Thomas Kürstner und Sebastian Vogel haben die Partitur allerdings für ein ungewöhnliches Instrumentalquartett arrangiert: Den vorzüglichen vier jungen Chinesen der Hochschule für Künste – Xinjie Hu (Klarinette), Hou Kan Ng (Viola), Te Zhang (Kontrabass) und Kun Tan (Vibraphon) – gelingt unter Dirigent Lukas Ziesché manch interessante Klangwirkung. Etwa beim nur angedeuteten Lied "Im Dorfe" oder beim gesummten Leiermann, zu dessen Quinten Fabio Toraldo als grotesker Schlagzeuger permanent ins Nichts schlägt.
Am Ende, wenn die Hoffnungslosigkeit wächst, stimmt Petras leider noch das garstig weltpolitische Lied an, zeigt Realfilme zerbombter Stadtviertel und eine Atomexplosion, in der Leonardo da Vincis vitruvianischer Mensch verglüht.
Damit wirkt Schubert doch sehr überfrachtet. Einmal mehr zeigt sich, dass eine Bebilderung der "Winterreise" der Musik keineswegs auf die Sprünge hilft. So darf man den pessimistischen Abend eher als Anregung begreifen, sich daheim mal wieder Peter Pears oder Dietrich Fischer-Dieskau anzuhören.