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Forschungsprojekt Wie Forscher Lebensmittel in Bremen nachhaltig produzieren wollen

Forscher entwickelt einen Weg, um Lebensmittel in Bremen besonders nachhaltig zu produzieren. Bislang gibt es eine Zucht mit Hühnern, Aquakulturen und einer Salat- und Gemüsekultur. Jetzt wird größer gedacht.
06.11.2022, 07:28 Uhr
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Von Björn Lohmann
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Fische, Algen, Wasserlinsen, Insekten und Hühner: Was nach einem recht speziellen Buffet klingt, könnte Baustein einer zukünftigen nachhaltigen Nahrungsproduktion sein. Im Forschungsprojekt „UrbanAqua – Urbane aquatische Kreislaufwirtschaft für Bremen“ wollen das Alfred-Wegener-Institut (AWI), die Hochschule Bremen sowie die Unternehmen Acheron, Polyplan und Farmcycle eine ressourceneffiziente Alternative zu klassischer Landwirtschaft und Fischzucht erproben. Das Ergebnis soll es in drei Jahren auf den lokalen Markt schaffen.

„Im Januar kann es wahrscheinlich endlich losgehen“, freut sich Anja Noke, Professorin für Umweltbiotechnik an der Hochschule Bremen. Sie ist nicht nur an dem Projekt beteiligt, dessen Koordination inzwischen beim AWI liegt, sie ist auch dessen Initiatorin. Ursprünglich sollte sich die Forschung auf das Start-up Watertuun im Überseehafenbereich konzentrieren, das eine aquaponische Produktion entwickelte – die gemeinsame Aufzucht von Wassertieren und Pflanzen.

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„Aber durch Corona und die Bundestagswahl waren die Gelder, mehr als zwei Millionen Euro, erst mal eingefroren und es ging nicht weiter“, erinnert sich Noke. Jetzt ist die Freigabe wahrscheinlich nur noch eine Formsache, doch die Projektidee ist weiter gewachsen. „Unser Modellstandort wird nun das Unternehmen Acheron auf dem ehemaligen Kelloggs-Gelände“, berichtet die Initiatorin. Acheron könne mit seinen Finanzmitteln und seinem Management ein Projekt dieser Größe besser handhaben.D

Das ist geplant

Doch was soll da mitten in Bremen eigentlich genau entstehen? Bislang gibt es eine Zucht mit etwa 100 Hühnern, Aquakulturen und eine Salat- und Gemüsekultur. Künftig sollen vor Ort auch Insekten gezüchtet und eine Warmwasseraquakultur für Wels und Tilapia etabliert werden. Die HS Bremen steuert die Zucht von Wasserlinsen und Mikroalgen bei. „Das wollen wir alles vor Ort integrieren“, sagt Noke, und sie hat dafür gute Gründe.

Der wichtigste Grund ist wohl das Nährstoffrecycling, das sowohl Kosten bei der Abfallentsorgung als auch bei der Nährstoffbeschaffung vermeidet: Die Fische werden gefüttert. Aus deren Ausscheidungen werden Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor zurückgewonnen, die den Algen und dem Gemüse zugeführt werden. Aus den Algen werden wieder Futtermittel. Parallel dazu nutzt das Projekt Reststoffe der Lebensmittelindustrie, um Insekten zu kultivieren. Diese können an die Fische oder Hühner verfüttert werden. Der Hühnerkot könnte wiederum von den Insekten genutzt werden, und deren CO2-haltige Abluft ist ihrerseits Nährstoff für die Algen.

„Die immensen Vorteile dieser Produktionsweise sind der erheblich geringere Wasserverbrauch im Vergleich zur landwirtschaftlichen Produktion auf dem Acker oder der Aquakultur ohne Wasserkreislaufführung und die generelle Unabhängigkeit vom Außenklima, was ja in Zeiten des Klimawandels zunehmend relevant wird“, erläutert Noke. Dürren, Starkregen und andere Wetterextreme spielten in diesen geschlossenen Anlagen keine Rolle. „Und der zweite wesentliche Vorteil ist die Ganzjahresproduktion und deutlich höhere Flächenproduktivität.“

Diesen Nachteil gibt es

Allerdings gibt es auch einen Nachteil: Sowohl das Wasser als auch die Produktionshalle müssen geheizt werden. Der Energiebedarf ist somit deutlich höher als in der konventionellen Landwirtschaft. Doch dafür verfolgt das Projekt einen nachhaltigen Ansatz: Die Wärme soll vor allem aus dem Hafen-, beziehungsweise Weser-Wasser und der Abwärme benachbarter Industrieanlagen gewonnen werden. Nicht zuletzt ist so ein System hoch sensibel: Fällt ein Baustein zum Beispiel durch eine Krankheit aus, kann der komplette Produktionskreislauf instabil werden.

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Neben einigen technologischen Fragen möchten die Projektbeteiligten auch Fragen der Wirtschaftlichkeit klären und den Lebenszyklus des Gesamtkonzepts bewerten. „Der Vorteil ist, dass wir viele Produktionsmodule übereinander stapeln können, was im Stadtgebiet teure Fläche spart“, erläutert Noke. „Aber dann brauchen wir viel Strom für die Beleuchtung.“ Eine Möglichkeit könnte es sein, die Anlagen künftig auf Supermarktdächern zu errichten, wo dann eine Etage tiefer die Produkte verkauft werden könnten.

Warum mehr Automatisierung notwendig ist

„Dadurch können sich Konsumenten leichter mit den Produkten identifizieren und wären eher bereit, höhere Marktpreise zu bezahlen“, vermutet die Forscherin. Denn dass das System teurer sein wird als bestehende Angebote, glaubt Noke schon: „Gewächshausbetreiber in den Niederlanden haben 30 Jahre Erfahrung und ihr System aufs letzte Mü optimiert. So weit sind wir noch nicht.“ Um preislich konkurrenzfähig zu werden, wäre mehr Automatisierung nötig. Doch auch die lohnt sich erst ab einer gewissen Größe.

Alternativ könnte man das Polykulturhaltungssystem des Forschungsprojekts wohl auch mit mindestens ein bis zwei Hektar Gewächshausfläche außerhalb des Stadtgebiets realisieren. In Nokes Augen würde das jedoch an Charme einbüßen, den ein urbanes nachhaltiges System zur Lebensmittelproduktion bietet. Daher steht jetzt schon fest: Läuft ab Januar alles nach Plan, dürfte es in Bremen in drei Jahren die ersten nachhaltig produzierten Lebensmittel aus dem Projekt in der Direktvermarktung im Überseehafen geben.

Zur Sache

Marine Bioökonomie

Das Forschungsprojekt UrbanAqua ist Teil des sogenannten Innovationsraums Bioökonomie auf Marinen Standorten. Bis zu 20 Millionen Euro stellt darin das Bundesforschungsministerium für derzeit 79 Organisationen aus Forschung und Wirtschaft bereit, um bis 2025 Themen der blauen Bioökonomie zu bearbeiten – von der Lebensmittelproduktion über Bioraffinerien bis zur Reinigung mit Nährstoffen belasteter Gewässer. Weitere Informationen: www.blaue-biooekonomie.de

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