Es ist jedes Mal dasselbe. Von den Justizbeamten begleitet, nimmt Jürgen Schneider* im Saal des Bremer Landgerichts Platz, um fortan unentwegt auf den Boden zu starren. Stumm, reglos, apathisch sitzt der Angeklagte da – und schweigt. Bis zuletzt. Am ersten Prozesstag, Dienstag, 27. August 1996, vertagt Richterin Hilka Robrecht das Verfahren daher bereits nach zehn Minuten. Lange zielt die Anklage auf Mord, doch am 23. Oktober ist der Vorwurf vom Tisch.
Das Ziel der Staatsanwaltschaft, Schneider lebenslang einzusperren, jedoch bleibt. „In besonders schweren Fällen“, sagt der heutige Oberstaatsanwalt Frank Passade, „kann – wie im Fall Schneider – auch ein Totschlag eine lebenslange Strafe nach sich ziehen.“ Grundsätzlich müsse die Schuld eines in einem Todesfall Angeklagten dafür so schwer wiegen, dass sie der eines Mörders gleichkomme.
Due Bedeutung des Motivs
Auf Totschlag stehen an sich lediglich fünf bis 15 Jahre Gefängnis. Anders als viele meinen, bedeutet eine Verurteilung wegen Mordes hingegen eine das gesamte Leben währende Freiheitsstrafe, auch wenn der Häftling – bei guter Führung – nach 15 Jahren auf Bewährung freikommen kann. Der entscheidende Unterschied zwischen Mord und Totschlag liegt im Motiv und in der Art der Tat begründet. „Das Motiv sagt uns eine Menge über die Tat an sich und ihre Hintergründe“, erläutert Jagoda Matic, Pressesprecherin der Polizei Bremen. Daher sei es das ermittlungsleitende Element – schon allein, da es den Personenkreis der Tatverdächtigen einschränke. Vor Gericht sei ein nachvollziehbares Motiv schließlich das maßgebliche Indiz, um ein Tötungsdelikt vom Strafmaß her gleichrangig zum Mord einzustufen.
Äußerungen des Angeklagten sind dabei häufig unabdingbar. Mangelt es an plausiblen Beweggründen, stellt das Strafgesetzbuch (StGB) weitere Möglichkeiten bereit, auch wegen Totschlags auf eine lebenslange Haftstrafe zu entscheiden. Der häufigste Fall ist die heimtückische Tötung eines vertrauensseligen, wehrlosen Menschen, etwa eines Kindes. Der Zweithäufigste: die lange geplante Tat, bei der ein Opfer geradezu hingerichtet wird, zum Beispiel in Form einer (qualvollen) Verbrennung. Auch wer aus Habgier oder grausam handelt, oder aber mit gemeingefährlichen Mitteln, wird mit dem Strafmaß eines Mörders bedacht. Dasselbe gilt, sobald eine Tat eine andere verdecken soll oder etwa eine Tötung eine andere Straftat, den Raub, ermöglicht – der Raubmord (Raub mit Todesfolge).
Nach mehr als 20 Prozesstagen folgt am Donnerstag, 19. Dezember, die angestrebte Höchststrafe. Ermittler, Verteidiger, Zeugen und Besucher verfolgen die 45-minütigen Urteilsbegründung. Nach Auswertung von nahezu 300 Indizien heißt es: lebenslänglich aufgrund dreifachen Totschlags im besonders schweren Fall. Das entscheidende Puzzleteil ist der Hinweis auf den Fundort der Kinder, der vom Tatverdächtigen selbst kommt, Stichwort Täterwissen.
Das Auffinden habe zu einer erdrückenden Beweislage geführt, blickt Matic zurück. Dennoch: „Erst die Gesamtwürdigung aller Indizien kann am Ende dafür sorgen, dass bei dem Gericht die Überzeugung entsteht, dass ein Täter die Tat begangen hat.“ Schneider sei zwar, so Richterin Robrecht, „ein guter Familienvater und ein erfolgreicher Unternehmer“ gewesen, habe jedoch in zwei Welten gelebt und sein geringes Selbstwertgefühl mit Größenfantasien auszugleichen versucht. Zwar sei eine Persönlichkeitsstörung bei ihm festzustellen, diese führe allerdings nicht zum Ausschluss der Verantwortlichkeit. „Weder Ihre Frau noch Ihre Kinder haben Anlass zu Ihrer Tat gegeben“, gab sie dem Verurteilten mit auf den Weg. „Alle drei haben Ihnen vertraut.“
Samt Untersuchungshaft sitzt Jürgen Schneider seit 1995 ein, mittlerweile in der Justizvollzugsanstalt Hannover. „Im Frühjahr 2010 hat es eine erste Anhörung gegeben, im Herbst 2010 – nach Ablauf von 15 Jahren – wäre erstmals eine vorzeitige Haftentlassung möglich gewesen“, sagt Passade. Bis dato letztmals im Herbst 2020 begutachtet, darf Schneider frühestens 2022 darauf hoffen, freizukommen. Alle zwei Jahre entscheiden Ärzte und Justiz neu.
*Name von der Redaktion geändert

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