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Neuer Blick auf die Stadt Mit der Bahn kreuz und quer durch Bremen – und darüber hinaus

Bahnfahren bedeutet oft, unter Zeitdruck zu stehen. Umso schöner ist es, sich von diesem zu befreien. Mit der 3 und der 4 geht es kreuz und quer durch Bremen, das ist spannend und schweißtreibend zugleich.
17.08.2023, 05:00 Uhr
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Mit der Bahn kreuz und quer durch Bremen – und darüber hinaus
Von Björn Struß

Bremen, das Dorf mit Straßenbahn. Es schwingt immer etwas Heimatstolz mit, wenn diese Blüte des Bremer Understatements bemüht wird. Aber Bremen ist alles andere als ein Dorf, an der Fläche bemessen ist die Stadt sogar etwas größer als München. Und abgesehen von Bre men-Nord lassen sich weite Teile mit der Straßenbahn erreichen. Wer mit ihr unterwegs ist, steht meist unter Zeitdruck: den Anschluss kriegen, zur Arbeit kommen, die Freunde nicht warten lassen. Umso schöner ist es, sich von diesem Stress zu befreien. Die Bahn bietet das Privileg, sich sehr entspannt einen neuen Blick auf Bremen zu verschaffen. Los geht's.

12:25 Dreh- und Angelpunkt meines Ausflugs ist die Domsheide. Hier kreuzen sich die Linien 3 und 4. Letztere fährt auf einer Gesamtlänge von 23 Kilometern sogar über die Landesgrenze hinaus, bis nach Lilienthal. Dort möchte ich gepflegt einkehren, so mein erstes Tagesziel. Es ist ein sonniger Tag, aber nicht zu heiß. Ideales Ausflugswetter. Die 4 rollt wie bestellt an, aber einsteigen möchte ich nicht. Denn es ist kein Nordlicht – die im Jahr 2020 mit viel Tamtam präsentierte Neuanschaffung der BSAG. Das zweitbeste Modell reicht mir heute nicht. Nach zehn Minuten folgt die Ernüchterung, es ist der Oldie: die GT8N. Dies ist sozusagen die Holzklasse im Bremer Nahverkehr, das Auslaufmodell.

12:42 Kleine Kippfenster und etwas Fahrtwind reichen nicht, um Hitze, Schweiß und Mief aus der Bahn zu pusten. Nächster Halt ist der Hauptbahnhof, was mir die Ansage vom Band sogar auf Englisch mitteilt. Hier ist das Gedränge am größten: Mütter mit Kinderwagen, Senioren mit Rollatoren, gehetzte Urlauber mit viel Gepäck. Weiter geht es Richtung Dobben. Zu meiner Rechten sehe ich einen grauen Gebäudeblock mit vielen Rissen. Das mutmaßlich ehemalige Schaufenster ist verrammelt, am Boden breitet sich der Grünspan aus. Der Verfall seiner Immobilie scheint den Eigentümer offenbar nicht zu stören. Das Leid und Elend – für das Bahnhofsumfeld leider keine Übertreibung – endet nach dem Kreuzen der Bahngleise. Schnell prägen stolze Anwesen das Straßenbild, willkommen in Schwachhausen.

13:25 Nach gut 45 Minuten erreiche ich mein Ziel: Lilienthal, Endstation. Hinter mir liegen Wiesen mit sattem Grün, eine lange Allee mit gepflegten Bäumen, an der alten Wümmebrücke hätte ich mir ein Kanu leihen können. Ich steige aus, ein Landwirt brettert mit Trecker und Anhänger vorbei. Das Dorf mit Straßenbahn, hier passt das wirklich. Doch wo kann ich einkehren? Ich bin nicht im Ortszentrum, die Endstation war vermutlich einfach eine günstig gelegene Stelle für den Wendekreis. Aber doch, das muss ein Restaurant sein: der Palast von Kreta. Nur leider öffnet dieser erst um 17 Uhr. Also, wieder in die Bahn und zurück zur Haltestelle Lilienthal-Mitte. Das "La Vita" bietet mir ein schattiges Plätzchen und Tagliatelle für 10,90 Euro. Der Espresso ist inklusive – ein Preis-Leistungs-Verhältnis, als hätte die Inflation noch nicht zugeschlagen.

15:30 Hipp-Hipp-Hurra, die Nordlicht ist da! Eine Stunde, und das wieder in der Holzklasse, ging es aus Lilienthal in einem Rutsch in den Bremer Süden. Hier endet die 4 in Obervieland, Haltestelle Arsten. Auch diese Endstation hat nichts zu bieten, deshalb geht es flugs zurück. Und meine Augen strahlen, als die top-moderne Bahn vorfährt. Außer mir steigt lediglich eine weitere Frau ein, die Straßenbahn habe ich fast für mich allein. Und hier kann sie ihre PS auf die Schiene bringen, denn bis Huckelriede muss sie sich die Gleise nicht mit dem Straßenverkehr teilen. Die Haltestelle Kirchweg stellt mich vor eine schwierige Entscheidung. Die Eisdiele am Werdersee, bei sonnigem Wetter ein wahrer Kindertraum, ist sehr verführerisch. Aber die Angst, nicht mehr in einer klimatisierten und wohlriechenden Bahn zu sitzen, ist größer. Ich bleibe sitzen.

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16:23 In der Linie 3 habe ich nach dem Umsteigen die Obernstraße hinter mir gelassen und kreuze die viel befahrene Bundesstraße 6. Es folgt ein in Bremen einmaliger Anblick: Hochhäuser! Links der Weser Tower, rechts zunächst ein geschwungenes Geschäftsgebäude und dann Bömers Spitze, die durch ihre schmale Front umso höher wirkt. Wenig später lässt eine Baugrube erahnen, wie es mit diesem jungen Stadtteil weitergeht. Auf dem alten Kellogg-Gelände entsteht die sogenannte Überseeinsel. In Sichtweite ist ein Mega-Projekt vollendet und vermietet: die neue Zentrale der Zech-Gruppe. Nach mehr als vier Jahren Bauzeit prägt der "erhobene Zeigefinger" von Kurt Zech das Erscheinungsbild des Europahafens.

17:30 Das Viertel zeigt sich als Ausgehmeile im Abendlicht von seiner schönsten Seite. Die 3 fährt mich in Richtung Weserwehr, hinter mir liegen die historischen Sehenswürdigkeiten samt Touri-Traube vor den Stadtmusikanten. Das Thermometer zeigt mehr als 20 Grad. Die Bremer genießen ihren Feierabend bei Wein und Bier, die Tische im Freien sind voll besetzt. In der Bahn sitze ich derweil noch in der schwül-heißen Luft des Tages. In diesem Nordlicht streikt die Klimaanlage. Aussteigen und den Abend genießen wäre jetzt die beste Entscheidung. Aber auch die letzte Endstation für diesen Tag muss erreicht werden, Durchhalten lautet die Devise. Fazit: Von einer Fahrt zu jeder Endstation ist abzuraten, der Freizeitwert ist überschaubar. Aber wohl dem, der im Herzen der Stadt für spontane Stopps reichlich Zeit einplant. Um 18:05 erreiche ich nach 5,5 Stunden wieder die Domsheide. Ich bin verschwitzt, aber um einige Eindrücke reicher.

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