Weitaus höher als bislang angenommen ist der Schaden durch nicht bearbeitete Akten im Sozialzentrum in der Vahr: Auf mindestens 1,5 Millionen Euro beläuft sich der Verlust für die Stadt Bremen. Das geht aus dem jetzt vorliegenden Abschlussbericht der Innenrevision hervor, der am kommenden Mittwoch in der Sozialdeputation auf der Tagesordnung steht. Wie berichtet, war im Mai noch von einer Schadenssumme von knapp 65.000 Euro die Rede. Die Innenrevision schlägt teils drastische Konsequenzen vor, die bis zur Auflösung des Amts für Soziale Dienste reichen.
Laut Abschlussbericht erhielt die Innenrevision erstmals Mitte Juli Kenntnis über Fehlbeträge „in einem größeren Umfange“. Dass der Millionenschaden im Bereich der Wirtschaftlichen Jugendhilfe (WJH) zunächst übersehen wurde, hat nach Angabe der Innenrevision mit fehlenden Unterlagen in den sogenannten Rückstandsordnern zu tun. Der Grund: Die zuständigen Beschäftigten bearbeiteten die Kostenerstattungsfälle nur mit selbst geführten Wiedervorlagen, statt sie an die Referatsleitung zu melden. Im Krankheitsfall gerieten Zahlungs- und Mahnfristen daher „aus dem Blick“.
Geldforderungen nicht verfolgt
Das Ergebnis der ungewöhnlichen Arbeitsorganisation: Geldforderungen wurden nicht verfolgt und Spitzabrechnungen – also die Berechnung tatsächlich entstandener Kosten – nicht durchgeführt. Dadurch verjährten Kostenerstattungsansprüche und Forderungen des Amtes gegenüber Trägern der Jugendhilfe. Den Schaden beziffert das Amt für Soziale Dienste mit Stand vom 30. September auf mehr als 1,41 Millionen Euro.
Zugleich erhöhte sich die Schadenssumme aus nicht geltend gemachten Rückzahlungen für Unterhaltsvorschüsse von 65.000 auf 83.000 Euro. Zusammen ergibt sich so eine Summe von knapp 1,5 Millionen Euro. Weitere Aktenbestände aus den Jahren 2020 bis 2022 werden derzeit aufgearbeitet. Nach einer groben Kalkulation belaufen sich die ausstehenden Summen auf einen mittleren einstelligen Millionenbetrag.
Die Innenrevision betont, für die „prekäre Situation“ im Sozialzentrum in der Vahr lasse sich „nicht die eine ursächliche Erklärung finden“. Personalausfälle sind demnach nur ein Bestandteil des Gesamtproblems. Zusätzlich habe die Referatsleitung die Situation lange Zeit unterschätzt, mehrfache Unterstützung aus anderen Sozialzentren habe keine dauerhafte Entlastung gebracht.
Zwei parallele Ziele gibt die Innenrevision aus: Erstens müssten alle Fälle abgearbeitet werden, deren Verjährung zum Jahresende droht. Die Aufarbeitung der restlichen Vermögensschäden soll dann binnen weniger Monate über die Bühne gehen, damit ein Neustart zum 1. April 2024 zu gewährleisten sei. Die dringende Empfehlung lautet, kurzfristig ein Team von erfahrenen Verwaltungskräften auf freiwilliger Basis zusammenzustellen. Dazu bedürfe es „eines unbürokratischen Lösungsansatzes in Bezug auf die Einsatzzeiten“ am Wochenende oder in den Abendstunden. Ergänzend müssten bestimmte Anreize wie angemessene Vergütung oder ein Freizeitausgleich hinzukommen.
Drei Varianten
Aus Sicht der Innenrevision ist es unabdingbar, die Wirtschaftliche Jugendhilfe nach ihrer Stabilisierung neu aufzustellen. Um das zu erreichen, bringen die Experten drei Varianten ins Spiel. Die erste Variante sieht den Fortbestand der WJH im Sozialzentrum in der Vahr vor, allerdings unter besonderer Aufsicht der Jugendamtsleitung für einen Zeitraum von zwei Jahren. In der zweiten Variante würde die betroffene WJH aufgelöst und einer anderen WJH zugeschlagen. „Diese Variante ließe sich zeitlich relativ schnell umsetzen“, heißt es im Abschlussbericht.
Mehr Zeit würde nach Einschätzung der Innenrevision die dritte Variante beanspruchen: die Zentralisierung aller vier regionalen Wirtschaftlichen Jugendhilfen in Form einer eigenen Abteilung im Amt für Soziale Dienste, wobei auch zwei getrennte Standorte in Bremen-Stadt und Bremen-Nord in Betracht kämen. Dieses Modell favorisiert die Innenrevision.
Der „weitestgehende Eingriff“ ist der Innenrevision zufolge, das Amt für Soziale Dienste aufzulösen und an seiner Stelle ein jeweils eigenständiges Jugend- und Sozialamt zu schaffen. Die bisherigen sechs Sozialzentren würden dadurch entfallen, die WJH im Jugendamt direkt dem Amtsleiter unterstellt. Für die Umsetzung veranschlagt die Innenrevision mehrere Jahre.
Hart geht die Innenrevision mit dem Personalrat ins Gericht. Dessen „sehr weites Beteiligungs- und Mitbestimmungsrecht“ führe zu einem Festhalten an den bisherigen Organisationsstrukturen. Es sei Sache des Gesetzgebers, das Personalvertretungsgesetz zu ändern. „Die Innenrevision würde eine solche Initiative begrüßen.“