Herr Behrens, Sie verwirklichen lieber Projekte auf dem Land als in der Stadt. Warum?
Norbert Behrens: Ich bin seit 41 Jahren im Job und in Norddeutschland aktiv – zwischen Sylt und Göttingen, Dortmund und Berlin. Unser Büro hat rund 50 Mitarbeiter, und wir sind vor allem im Wohnungsbau aktiv, insbesondere für kommunale Gesellschaften. Wir wissen, was wir tun. Wir halten uns mit unseren Projekten überwiegend im Umland von Großstädten auf, weniger in den Städten selbst, weil die Verwaltungen dort nicht nur unverhältnismäßige Ansprüche stellen, sondern die Entscheidungsprozesse dort auch sehr aufwendig und langwierig sind.
Das gilt für alle Großstädte oder vor allem für Bremen?
Das gilt auch für andere Großstädte, aber für Bremen im Besonderen. Die Entscheidungsprozesse in Bremen sind sehr speziell. Wir arbeiten gerade an einem Projekt in der Bismarckstraße. Es geht um das Grundstück, auf dem der Aleco-Biomarkt angesiedelt war. Nach dieser Erfahrung steht für mich fest: Es wird das letzte Projekt sein, das ich in Bremen verwirkliche. Ich habe die Nase gestrichen voll.
Warum?
Ich bin davon überzeugt, dass wir unseren Job beherrschen. Es fällt mir schwer, zu akzeptieren, dass subjektive Gestaltungsfragen bei einem Einzelobjekt von Verantwortlichen in der Baubehörde über Baugenehmigungen entscheiden. Aber vor allem fehlt mir jedes Verständnis für den ungeheuren Zeitaufwand.
Woraus leiten Sie ab, dass nach Geschmack entschieden wird?
Weil wir es genauso in der Bismarckstraße erleben. Der Besitzer des Grundstücks, mit dem wir schon viele Projekte verwirklicht haben, hat uns um einen Entwurf für einen Neubau gebeten. 2019 haben wir der Stadt einen Entwurf vorgestellt. Er wurde nicht akzeptiert.
Warum? Weil er dem Bebauungsplan oder Gestaltungssatzungen nicht entspricht?
Es gibt für diesen Bereich keinen Bebauungsplan. Man ist damit davon abhängig, dass man sich individuell mit dem Bauressort abstimmt. Das war uns klar. Uns war aber nicht klar, dass individuelle Geschmacksfragen einzelner Personen ausschlaggebend sind. Wir haben ein vierstöckiges Gebäude mit einem Flachdach aus hellem Stein vorgesehen. Was wir jetzt bauen sollen, ist ein Gebäude mit Dach aus rotem Backstein.
Gibt es dafür Gründe?
Die Stadt beziehungsweise die Mitglieder des städtischen Gestaltungsgremiums finden, dass ein solches Gebäude besser in die Umgebung passt. Dieses Gremium setzte sich aus der Senatsbaudirektorin, externen Architekten, beispielsweise aus Kopenhagen, den Stadtteil- und anderen Behördenvertretern zusammen. Dort wurde unser Entwurf diskutiert. Das Flachdach gefiel Teilen des Gremiums nicht, die Farbe der Fassade, der Zuschnitt der Wohnungen.
Wurde dieses Missfallen näher begründet?
Nein.
Lässt es sich aus der Umgebung des geplanten Baus herleiten? Müssen sich Gebäude nicht an die Nachbarschaft anpassen?
Selbstverständlich. Aber wie gesagt, wir sind vom Fach. Es gibt keinen Architekten, der blind ein Gebäude plant, ohne das Umfeld in seine Überlegungen einzubeziehen. Es gibt unterschiedliche architektonische Auffassungen über die Frage, wie eine Baulücke geschlossen wird. Die einen sind der Meinung, dass sich der Neubau vollkommen der Umgebung anpassen soll. Andere vertreten die Auffassung, dass man ganz bewusst dokumentieren sollte, dass das Gebäude aus einer anderen Epoche stammt. Man kann auch beides kombinieren – ein neues Gebäude, das Gestaltungselementen älterer Bauten aufgreift und neuzeitlich umsetzt.
Welche Auffassung vertreten Sie?
Wir haben uns entschieden, an dieser Ecke bewusst ein Gebäude zu verwirklichen, das noch in Jahrzehnten dokumentiert, dass es etwa aus dem Jahr 2020 stammt. Gemeinsam mit dem Bauherren wollten wir einen Punkt an der Ecke setzen, und das Gebäude ausdrücklich nicht gestalterisch an die Zeiten anlehnen, aus denen die Häuser aus dem direkten Umfeld stammen. Aber der Bauherr und wir haben keine Chance: Entweder wir bauen so, wie es dem Gremium gestalterisch genehm ist oder wir können die Baugenehmigung vergessen.
Grundsätzlich ist es doch richtig, dass die Stadt nicht jeden bauen lässt, was er will und wie er will.
Absolut. Man muss auf gewisse Dinge Rücksicht nehmen, und es muss eine übergeordnete Instanz geben, die darauf achtet. Wir haben selbstverständlich Bestandsanalysen gemacht und ausführlich begründet, worauf sich unser Entwurf stützt. Gäbe es detaillierte Vorschriften, denen er nicht entspricht, wären die Ansprüche irgendwo formuliert, könnte ich das noch nachvollziehen. Dann hätten wir selbstverständlich von Anfang an anders geplant. Aber es geht, wie gesagt, um individuelles Gefallen, und damit habe ich ein Problem. Dabei werden im Übrigen auch Argumente übergangen, die sonst in Bremen eine große Rolle spielen.
Was meinen Sie?
Als wir mit den Planungen begonnen haben, gab es noch keine Energiekrise. Trotzdem hat unser Auftraggeber großen Wert darauf gelegt, dass dieses Gebäude aus Umweltaspekten eine bestmögliche Energiebilanz erreicht. So war beispielsweise für die gesamte Dachfläche eine Fotovoltaik-Anlage zur Stromerzeugung vorgesehen. Auf einem Flachdach kann man natürlich viel wirkungsvoller Sonnenenergie nutzen als auf geneigten Dächern. Das Gebäude soll, sofern es noch verwirklicht werden kann, komplett ohne fossile Brennstoffe auskommen.
Was sagt der Investor zu den Verhandlungen mit dem Bauressort?
Er fügt sich, ihm bleibt nichts anderes übrig. Das größte Problem ist: Der Weg von unserem Entwurf 2019 bis zu dem nach den Wünschen des Gestaltungsgremiums abgeänderten Entwurf hat anderthalb Jahre gedauert. Das liegt auch daran, dass dieses Gremium nur in großen Abständen zu tagen scheint. Das mag daran liegen, dass Architekten aus dem Ausland zu den Sitzungen anreisen müssen. Das leuchtet mir im Übrigen auch nicht ein – als ob es in Bremen nicht genug hervorragende Architekten gäbe.
Wie geht es in der Bismarckstraße weiter?
Die enorme Zeitverzögerung hat dazu geführt, dass sich die Baukosten in etwa verdoppelt haben. Dafür kann niemand etwas, aber jeder weiß, dass Zeitverzug bei Bauprojekten eine große Rolle spielt – finanziell. Das beginnt schon bei den Einnahmeausfällen in der leer stehenden Immobilie. Der Bioladen wurde nur verlegt, weil an seiner Stelle ein neues Gebäude entstehen sollte. Der Investor überlegt ernsthaft, ob er überhaupt noch baut. Man muss es klar sagen: Er soll bauen, was er nicht bauen will, zu Preisen, die er nicht kalkuliert hat.
Und wenn er nicht mehr baut?
Dann bleibt das unansehnliche Gebäude, das momentan dort steht, wird renoviert und wieder vermietet. Damit wäre an dieser Stelle architektonisch nichts gewonnen. Ganz abgesehen davon, dass dann die möglichen Obergeschosse nicht bebaut werden, eine Baulücke bleibt und keine Wohnungen entstehen, die doch dringend benötigt werden. Alles wäre besser als das, was sich dort jetzt befindet.
Es gibt immer noch keine Baugenehmigung, obwohl das Bauressort signalisiert hat, "fristgerecht" zu genehmigen.
Gegenüber dieser Zeitung hieß es aus dem Bauressort, dass unsererseits noch Unterlagen gefehlt hätten oder fehlten. Das stimmt nachweislich nicht. Alle nachgeforderten Unterlagen sind fristgerecht und unmittelbar eingereicht worden. Mir ist schleierhaft, was in dieser Behörde vor sich geht. Aber ich bin der Meinung, es muss mal Tacheles geredet werden. Ich kenne genug Kolleginnen und Kollegen und Investoren, die das nicht anders sehen, aber mit ihrer Meinung hinterm Berg halten, weil sie befürchten, dass sie es noch schwerer haben könnten.
Aus dem Bauressort hieß es, dass Ihre Planungen eine zu große Fläche in Anspruch nehmen sollte.
Der Vorwurf, dass eine größere überbaubare Fläche beantragt wurde, als genehmigungsfähig wäre, entbehrt jeder Grundlage. Es wurde nicht mehr beantragt als bisher überbaut. Und es gibt, wie gesagt, keinen rechtskräftigen Bebauungsplan, der Einschränkungen vorsieht.
Wie läuft es Ihrer Erfahrung nach in anderen Großstädten?
Durchaus ähnlich. Die Bauwirklichkeit und Investitionstätigkeit haben sich vom Verwaltungsapparat komplett abgekoppelt. In den entscheidenden Gremien spielt die Wirtschaftlichkeit einer Investition keine Rolle mehr. Aber wenn jemand in einer Stadt ein paar Millionen investieren will, kann er doch wohl erwarten, dass die Fragen, die bei einem Projekt zu klären sind, zügig geklärt werden. Jeder Tag, der verstreicht, das erleben wir gerade ganz extrem, kostet Geld. Bis wir mit dem Entwurf für die Bismarckstraße beim Gestaltungsgremium überhaupt vorstellig werden durften, vergingen schon Monate. Die einzigen Beteiligten, für die Zeit überhaupt eine Rolle gespielt hat, waren die Vertreter des Beirats und des Ortsamts Mitte/Östliche Vorstadt.
Inwiefern?
Der Beirat und die Anwohner wollen, dass an dieser Ecke endlich etwas geschieht. Das Gebäude dort ist unansehnlich, mit Graffiti beschmiert, ein Bauzaun sichert es ab.
Falls es noch zu einem Neubau kommen sollte, hat das gesamte Prozedere mehr als drei Jahre gedauert. Ist das üblich?
Bremen ist dafür bekannt, dass es schwierig ist. Wenn man in Bremen die erste große Hürde genommen hat und das Gestaltungsgremium dem Projekt seinen Segen gegeben hat, das höre ich auch von anderen Bremer Kollegen, dauert es noch einmal deutlich länger als anderswo, bis man eine Baugenehmigung erhält. Das ist das, was mich am meisten in Rage bringt: Wenn die Stadt bei der Gestaltung mitreden will, muss ein Bauherr erwarten können, dass sie ihm sagt, was sie will und dann zügig die Voraussetzungen schafft, damit es losgehen kann.
Bremens ehemaliger Bausenator Joachim Lohse hat vor Jahren gesagt, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehe, auch aus rechtlichen Gründen.
Jeder qualifizierte Architekt kennt die Vorschriften und Gesetze und die Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden. Für mich stellt sich die Frage, weshalb Amtsvertreter jede Berechnung noch einmal langwierig nachprüfen müssen.
Dafür, dass es schwierig ist, wird aber noch relativ viel gebaut in Bremen.
Das wird sich in der Zukunft voraussichtlich ändern, wenn überlange Genehmigungsverfahren zu unverhältnismäßigen Preissteigerungen führen. Ansonsten vermute ich, dass sich Bauwillige irgendwann in ihr Schicksal fügen. Wir tun das auch. Falls aus dem Gebäude in der Bismarckstraße tatsächlich noch etwas werden sollte, werde ich dort einfach nicht mehr langfahren. Ich war gerade in München auf der Immobilienmesse Expo Real. Bei diesem Branchentreff habe mit Berufskollegen und Investoren auch über die Praxis der Baugenehmigungen in Bremen geredet. Unsere Erfahrungen haben sich auf breiter Front bestätigt. Aber ich hoffe, dass auch im Bauressort einmal ankommt, in welcher Krise sich die Bauwirtschaft befindet. Um die vor uns liegenden Herausforderungen zu bewältigen, sollte jeder seinen Beitrag leisten. Immer wieder zugesagte, aber nie eingehaltene beschleunigte Genehmigungsverfahren im Planungs- und Bauressort wären ein guter, erster Schritt.