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Andreas Bovenschulte Bremens Bürgermeister: Ein Jahr „besser als befürchtet“

Jahresrückblick 2023: Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte zieht Bilanz. Was hat ihn positiv überrascht? Wie geht es weiter? Das Interview zum Jahreswechsel.
31.12.2023, 07:10 Uhr
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Bremens Bürgermeister: Ein Jahr „besser als befürchtet“
Von Silke Hellwig

Herr Bovenschulte, mit welchen drei Wörtern würden Sie das Jahr 2023 beschreiben?

Andreas Bovenschulte: Schwierig, interessant und – mit ein paar Wörtern mehr – dann doch besser als befürchtet.

Inwiefern interessant?

Das Jahr war schwierig, wie die Vorjahre, keine Frage. Aber es gab auch Überraschungen.

Im Negativen – wie der Nahostkonflikt?

Im Negativen, bedauerlicherweise, aber auch im Positiven. Ein Beispiel: Die Studierendenzahlen sind bundesweit gesunken. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass das auch für Bremen gilt. Aber hier sind sie gestiegen.

Das ist gut, aber nicht nur gut, weil die Hochschulen in Bremen unterfinanziert sind.

Das ist uneingeschränkt positiv, weil es zeigt, dass Bremen für junge Menschen interessant ist.

Wenn sie länger bleiben als ein oder ein paar Semester.

Klar, am besten ist es, wenn sie lange hierbleiben und anschließend auch in Bremen arbeiten. Aber dazu müssen sie erst einmal herkommen. Unsere Aufgabe ist es zu schauen, wie wir die derzeitige positive Tendenz verstärken können.

Wohl nicht, indem man den geplanten Bau eines Hörsaalgebäudes abbläst, weil man ihn nicht mehr finanzieren kann ...

Indem man die Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen noch stärker herausstellt und indem man – und das ist einer der wichtigsten Punkte neben einer guten Lehre – genug bezahlbaren Wohnraum anbietet. In der Innenstadt gibt es etliche Projekte, mit denen Wohnungen für Studierende geschaffen werden sollen. Und nicht zu vergessen: Speziell für Jurastudentinnen und -studenten wird das Studium in Bremen mit dem neuen Standort am Domshof noch einmal deutlich attraktiver werden.

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Dennoch sind die Hochschulen finanziell nicht so ausgestattet, wie sie es sich wünschten. Ist das nicht von Nachteil, wenn die Zahl der Studenten steigt?

Jeder neue Studierende bringt uns im Länderfinanzausgleich einen vierstelligen Betrag. Das reicht nicht, um alle Kosten des Studiums zu finanzieren, aber es hilft. Und ja, es wäre schön, wenn wir mehr Geld für die Wissenschaft zur Verfügung stellen könnten, zumal unsere Hochschulen und Institute – was kaum jemand weiß – im bundesweiten Vergleich besonders viele Drittmittel einwerben. 

Das finanziert nicht den Bau des Hörsaalgebäudes.

Nein, aber dort zeichnet sich eine kostengünstigere Lösung mit der gleichen Funktionalität ab. Wir müssen uns darauf einstellen, in den nächsten Jahren mit weniger Ressourcen mehr rauszuholen. Das ist unser Anspruch: Wir wollen pro eingesetztem Euro mehr Ergebnis bekommen und schneller und effizienter werden.

Das im Jahr 2023 in Bremen zu hören, ist allerdings etwas irritierend. Das muss in Bremen doch schon seit Jahren das Maß aller Dinge sein.

Ist es auch. Aber nicht nur in der Wirtschaft müssen Prozesse fortlaufend optimiert werden, sondern auch in der öffentlichen Verwaltung. Durch neue Technologien, aber auch durch schlankere Prozesse. Der erste Schritt ist immer, sich zu fragen, welche behördlichen Abläufe unbedingt notwendig sind. Im zweiten Schritt muss man dann das Notwendige technisch optimieren.

Der dritte Schritt wäre, infrage zu stellen, was man seit Jahren tut, also eine kritische Aufgaben- und Ausgabenkritik.

Absolut, das gehört auch dazu. Ein gutes Beispiel für Verfahrensvereinfachung ist das Wohngeld. Da ist es uns gelungen, den Bearbeitungsstau zügig aufzulösen. Dazu waren auch Überstunden nötig und ein unermüdlicher Einsatz der Mitarbeiter, aber genauso wichtig war, die Abläufe anzupassen und mehr Pragmatismus walten zu lassen.

Warum war das nicht schon viel früher möglich?

Zugegeben: Es gibt noch viel zu tun, aber es ist schon mehr passiert, als häufig vermutet wird. Nehmen wir das Beispiel Gewerbeanmeldungen. Die sind schon seit Längerem unkompliziert vollelektronisch möglich.

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Haben die Erfahrungen in der Pandemie oder der Druck der Energiekrise dazu geführt, dass man festgestellt hat, dass manches doch fixer gehen kann, wenn man nur will?

Diese Erfahrungen waren sicher hilfreich. Bremen hat in der Corona-Zeit gelernt, dass man vieles sehr schnell und undogmatisch umsetzen kann, wenn es sein muss. Wir brauchen noch viel mehr von diesem Geist. Niemand bestreitet ja, dass Bremen in der Krise zielgerichtet gehandelt hat, ob beim Impfen oder bei den Hilfen für die Wirtschaft. 

Das ist für einen Stadtstaat auch etwas leichter als für ein großes Flächenland.

Sicher haben wir als kleines Land potenziell Vorteile, die wir auch noch besser nutzen könnten. Manchmal stehen wir uns aber noch selbst im Weg, was unbürokratisches und undogmatisches Handeln betrifft.

Sie haben ja noch drei Jahre Zeit, um das zu verbessern.

Ich hoffe, ich habe sogar noch etwas mehr Zeit.

Können Sie auch drei Wörter für das Jahr 2024 nennen?

Schwierig, Zuversicht und Wende zum Besseren.

Hoffen Sie auf eine Wende zum Besseren oder gibt es belastbare Hinweise?

Meines Erachtens ist die Stimmung derzeit schlechter als die Lage. Richtig ist, dass die Wirtschaft in diesem Jahr bundesweit und vielleicht auch in Bremen schrumpfen wird. Auch für das nächste Jahr sieht es bislang nicht rosig aus. Aber wir sind doch weit davon entfernt, in eine Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes zu stürzen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir etwas zuversichtlicher nach vorne schauen, statt ständig nur schwarzzumalen. Dafür gibt es auch in Bremen durchaus Anlass.

Zum Beispiel?

Ich hätte nicht ernsthaft gedacht, dass wir vor dem Hintergrund von Krieg, Energiekrise und Inflation in diesem Jahr auf einen Besucherrekord in Bremen zusteuern. Das hat mich sehr positiv überrascht. Auch der Weihnachtsmarkt hat sich trotz des vielen Regens als Besuchermagnet erwiesen. Aus dem Handel höre ich zwar keinen Jubel, nehme aber auch keine Verzweiflung wahr. Mir zeigt das: Es liegt nicht nur, aber auch in unserer Hand, die Dinge nach vorne zu entwickeln. 

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Es gibt aber auch Faktoren, die man kaum beeinflussen kann wie den Fachkräftemangel. Wie soll man in dieser Frage Zuversicht entwickeln?

Das ist eine Herausforderung, keine Frage. Aber auch hier kann mehr Pragmatismus nicht schaden. Ich bin ein großer Fan von Aus- und Weiterbildung. Aber wenn wir nicht genug Personen mit fachspezifischen Abschlüssen haben, müssen wir den Quereinstieg ermöglichen. Wie gut das funktionieren kann, sieht man beispielsweise bei der BSAG, wo Studierende mit entsprechender Kurzausbildung Straßenbahnen lenken. Diesen Pragmatismus und diese Flexibilität müssen wir auch anderswo walten lassen, wie zum Beispiel in Kitas und Schulen.

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Das stößt bei Eltern, Lehrern und Erzieherinnen nicht unbedingt auf große Begeisterung.

Wenn wir es könnten, würden wir alle Klassen und Kitas ausschließlich mit ausgebildeten Fachkräften ausstatten, aber das ist momentan leider unmöglich. Ich habe kürzlich zum 50-jährigen Bestehen meiner alten Penne in Sarstedt im Landkreis Hildesheim gesprochen. Zur Vorbereitung habe ich in alten Berichten geblättert. 1973, als die Schule eröffnet wurde, gab es für die fünften Klassen nur eine Viertagewoche, 15 Schulstunden in der Woche und kaum Deutschunterricht, weil Lehrerinnen und Lehrer fehlten. Das galt so lange, bis der Lehrermangel überwunden war. Von 15 Wochenstunden sind wir zum Glück weit entfernt, aber auch wir müssen vor dem Hintergrund des Lehrermangels Kompromisse bei den formalen Qualifikationsanforderungen machen.

Die Lebensverhältnisse der Schülerinnen und Schüler waren damals allerdings anders, beispielsweise was die Sprache betrifft.

Sicher, ich will unsere derzeitigen Probleme auch nicht schönreden. Aber früher war eben auch nicht alles Gold. Trotzdem wurden am Ende Lösungen gefunden.

Sie sind Optimist. Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?

Aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit: Ich hätte Ende 2020, Anfang 2021 nie gedacht, dass unsere Wirtschaft so gut durch die Corona-Krise kommen würde. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Bremen 2021 das zweithöchste und 2022 das höchste Wirtschaftswachstum unter den Bundesländern haben wird, hätte ich gesagt: Träum' weiter. Dass wir Corona so gut meistern würden, konnte natürlich niemand ahnen, aber mit schwierigen Situationen kann man so oder so umgehen: schwarz sehen, jammern und mit verschränkten Armen zusehen, wie es weitergeht. Oder gucken, wie man gemeinsam die Dinge zum Guten wenden kann. 

Kennen Sie keine Momente des Verzagens?

Wer zum Verzagen neigt, darf alles werden, aber nicht Politiker. Angela Merkel hat mal gesagt: Egal wie die Situation ist, die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns Antworten, nicht nur ratloses Schulterzucken. Damit hat sie absolut recht. Man darf nachdenken und reflektieren und sich dafür auch Zeit nehmen, aber am Ende erwarten die Menschen, dass die Politik ihre Arbeit macht. Natürlich bin ich wie jeder andere Mensch auch mal frustriert. So hat mich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt des Bundes nicht gerade freudig gestimmt, weil sich daraus unmittelbare Folgen auch für bremische Projekte ergeben.

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Gibt die Ampelregierung genügend Antworten?

Die objektive Leistungsbilanz der Ampelregierung kann sich durchaus sehen lassen. Viele Punkte des Koalitionsvertrags wurden bereits erfolgreich abgearbeitet. Aber die derzeitigen Umfragewerte für die Koalition, die SPD und den Bundeskanzler sind natürlich höchst unbefriedigend. Und ich bestreite auch nicht, dass das äußere Bild, das die Bundesregierung derzeit abgibt, verbesserungsfähig ist. Man kann lange darüber diskutieren, was die Ursachen dafür sind.

In Bremen hingegen herrscht weitgehende Einmütigkeit – noch?

Wir arbeiten verlässlich und konstruktiv zusammen. Dabei hatten wir schon eine erste Bewährungsprobe zu meistern in Form eines weiteren Nachtragshaushalts für dieses Jahr. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass es noch zu Diskussionen mit verstärkter Höflichkeit kommen wird. Das lehrt einen die Lebenserfahrung. 

Verstärkte Höflichkeit? Was ist das?

Dass man, ich sag mal, etwas sehr intensiv miteinander diskutiert.

Worauf freuen Sie sich mit Blick aufs nächste Jahr?

Ich habe die Hoffnung und die Zuversicht, dass wir endlich grünes Licht aus Brüssel für unsere industriellen Großprojekte bekommen, insbesondere für die Weiterentwicklung unserer Hütte. Ich freue mich auf den Tag, wenn wir damit richtig loslegen können und sich etwas bewegt. Privat freue mich darauf, wieder mehr Musik zu machen und weiterhin zweimal in der Woche morgens zu laufen. Weil mir beides guttut. Und ich freue mich darauf, jeden Tag etwas Neues kennenzulernen. Wie beispielsweise jüngst das Zentrum für Industriemathematik an der Uni – ungeachtet des etwas sperrigen Namens ein Ort des Optimismus und des Zukunftsvertrauens.

    Das Gespräch führte Silke Hellwig.

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Zur Person

Andreas Bovenschulte ist seit 2019 Präsident des Senats. In diesem Jahr stellte er sich erstmals den Wählern in Bremen, nachdem er 2019 nach der Bürgerschaftswahl Carsten Sieling im Amt beerbt hatte. Der Jurist war zuvor Bürgermeister in Weyhe und kurzzeitig Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion.

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