- Wie funktioniert das System?
- Wer hat die Software entwickelt?
- Bremst der Assistent automatisch?
- Was spricht gegen mehr Automatisierung?
- Welche Zukunft hat künstliche Intelligenz im ÖPNV?
Autos, Fußgänger, Radfahrer: In Bremen teilen sich die Straßenbahnen den Verkehrsraum mit vielen anderen Fahrzeugen und Menschen. Auf einer eigenen Trasse fahren sie nur abschnittsweise. Die Fahrer und Fahrerinnen der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) müssen deshalb besonders aufmerksam sein. Das gilt umso mehr, wenn sie mit den älteren Bahnen unterwegs sind – Assistenzsysteme, wie man sie aus modernen Autos kennt, gibt es in diesen Fahrzeugen serienmäßig nicht. Um die Sicherheit zu erhöhen und die Fahrer zu entlasten, rüstet die BSAG jetzt nach: Zehn Straßenbahnen des Typs GT8N-1 hat das Unternehmen bereits mit einem intelligenten Kamera-System ausgestattet. 33 weitere Bahnen dieses Modells sollen laut BSAG bis zum Jahresende folgen.
Wie funktioniert das System?
Eine Kamera hinter der Windschutzscheibe erfasst das Geschehen in Fahrtrichtung. Das System erkenne Personen und Fahrzeuge, aber auch Verkehrsschilder, erklärt Sören Wassmann, der bei der BSAG im Bereich Unternehmensentwicklung arbeitet und das Projekt betreut. Der Fahrer wird auf einem Display vor möglichen Kollisionen gewarnt, erhält dort zudem Informationen über Geschwindigkeitsbegrenzungen und mögliche Durchfahrtsverbote. „Geschwindigkeit“, ertönt das akustische Signal, wenn der Fahrer zu schnell ist. „Achtung, Achtung“, heißt es, als zwei Frauen mit ihren Rollatoren die Gleise überqueren. Mehrmals pro Sekunde werden Abstand und Bewegungsrichtung automatisch erfasst. Man habe sich bewusst für Textansagen entschieden, da beispielsweise ein Piepen kaum von den Umgebungsgeräuschen zu unterscheiden sei, sagt BSAG-Sprecher Andreas Holling.
Wer hat die Software entwickelt?
Hinter dem System steckt das Bremer Unternehmen Just Add AI, das künstliche Intelligenz (KI) für verschiedene Firmen und Anwendungsbereiche entwickelt. Die BSAG habe sich im Bereich Digitalisierung weiterentwickeln wollen, sagt Wassmann. 2019 sei der Kontakt mit Just Add AI über einen Workshop zustande gekommen; 2021 habe man sich dann zur Kooperation bei der Straßenbahn-Aufrüstung entschlossen. Das System sei nach den Wünschen und Bedürfnissen der BSAG entwickelt worden. „Ich war selbst erstaunt, worauf die Fahrer alles achten müssen“, sagt Kai Harmening, Projektverantwortlicher bei Just Add AI.
Bremst der Assistent automatisch?
Nein. Obwohl das technisch machbar wäre, haben sich Auftraggeber und Entwickler aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden. „Unser oberstes Gebot ist es, den Fahrdienst nicht zu stören“, sagt Wassmann. Dabei gehe es auch um die Sicherheit der Fahrgäste. Der Fahrer könne die Situation am besten einschätzen. Um diesen nicht zu irritieren, melde das System längst nicht alle erfassten Daten, betont Harmening. Gewarnt werde nur, wenn es wirklich notwendig sei. Eher nehme man es in Kauf, eine kritische Situation nicht anzuzeigen, als Fehlmeldungen zu produzieren. Das heiße aber auch: „Wenn das System sich meldet, sollte der Fahrer reagieren.“
Was spricht gegen mehr Automatisierung?
Eingriffe in die Fahrzeugsteuerung wären laut Harmening mit strengeren Auflagen und mehr Kontrollen verbunden. Zudem dauere eine solche Umrüstung ungleich länger, als die Kameras anzubringen. Nicht zuletzt ist fraglich, ob der Einbau automatisierter Bremssysteme und ähnlicher Technik sich finanziell lohnen würde schließlich sind die betroffenen Bahnen teilweise schon 20 Jahre alt und haben eine ungewisse Restlebensdauer. Die BSAG setzt deshalb vorerst auf Systeme, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand mehr Sicherheit schaffen sollen. „Die Nachrüstbarkeit muss sehr einfach sein, das war uns wichtig“, sagt Wassmann. Die Kameras könnten schnell installiert werden – anders sei es bei Radarsensoren, die außen am Fahrzeug angebracht werden müssten. Harmening erklärt, dass man sich bei der Entwicklung am System der Tesla-Autos orientiert habe.
Welche Zukunft hat künstliche Intelligenz im ÖPNV?
Entwicklungen sehe er bei der BSAG zunächst vor allem im Bereich der Straßenbahn, sagt Wassmann. KI-Experte Harmening nimmt auch die Busse ins Visier. In dieser Sparte würden bislang vor allem Systeme genutzt, die eigentlich für Lkw konstruiert worden seien. Ideal sei das nicht, sagt er. Künstliche Intelligenz spielt deutschlandweit im ÖPNV eine zunehmend größere Rolle – nicht nur bei der Unfallvermeidung, sondern auch bei der Verkehrsplanung. Die Deutsche Bahn versucht mithilfe von KI, die Betriebsabläufe im S-Bahn-Verkehr zu optimieren. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen damit laut eigenen Angaben 58.000 Verspätungsminuten vermieden.