Niklas Rischbieter, Raum- und Verkehrsplaner von der Planersocietät Frehn Steinberg Partner GmbH, steht mit einer Gruppe von rund einem Dutzend Viertelbewohnern in der Straße Vor dem Steintor. Er verteilt Brillen, mit deren Hilfe die Teilnehmer des Fußverkehrschecks im Beiratsgebiet Östliche Vorstadt die Seh-Einschränkungen älterer Menschen nachvollziehen können. "Das ist ja 'ne krasse Nummer, ich kann weder rechts noch links etwas sehen", befindet SPD-Ortsparlamentarierin Bianca Wenke.
Ziele des Checks
Die Planersocietät ist vom Mobilitätsressort mit der Durchführung des Fußverkehrschecks beauftragt worden. In Bremen werden, wie bereits berichtet, derzeit Fußverkehrschecks in fünf Ortsteilen durchgeführt, darunter auch in der Östlichen Vorstadt. Ziel ist es, gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie Fußwege in Zukunft attraktiver und sicherer gestaltet werden können. Außerdem soll die Entwicklung eines Fußwegenetzes vorangetrieben werden. Dafür stehen pro Stadtteil 10.000 Euro zur Verfügung. Unter anderem sollen Verkehrssicherheit, Aufenthaltsqualität, Schulwegemobilität und Barrierefreiheit verbessert werden.

Zwischen parkenden Fahrrädern und Autos bleibt für Fußgänger nur wenig Platz.
Dass in all diesen Punkten deutlicher Verbesserungsbedarf besteht, wird bei dem Rundgang deutlich, der vor dem Haus im Viertel beginnt und endet und über Hollerstraße, Vor dem Steintor, an der Sielwallkreuzung vorbei wieder zur Straße "Im Krummen Arm" führt. Die Mitarbeit der betroffenen Bürger ist gefragt. Vom Haus im Viertel der Bremer Heimstiftung kommend ist die Gruppe, bestehend aus Ortsparlamentarierinnen, Behörden-Vertreterinnen, Eltern und Anwohnern, ins Steintor flaniert und findet sich nun in einer lauten, konfliktbeladenen Straßenverkehrssituation wieder. Radfahrer und Autos jagen vorbei, Straßenbahnen rauschen heran, halten, lassen Fahrgäste aussteigen. Klarer Fall: Wer hier nicht gut sehen kann, mit einem Rollator unterwegs ist oder aber, wie die Kinder der nahe gelegenen Grundschule an der Schmidtstraße, zu klein ist, um den Überblick behalten zu können, ist der Verlierer.

Bei Schulschluss kommt es vor der Grundschule an der Schmidtstraße zu Gefahrensituationen.
Oder, wie es Daniel Fries aus Peterswerder, dessen Tochter die Grundschule an der Schmidtstraße besucht, formuliert: "Das ist hier erst freigeschaltet ab 18. Wir vergessen die Alten und die Jungen, das ist tragisch." Niklas Rischbieter fragt: "Wo kreuzen die Schulkinder denn hier die Straße?" "Na hier", gibt Schulelternsprecherin Anna Körber zurück. Und eine Anwohnerin aus dem Haus im Viertel ergänzt: "Das macht meine Enkeltochter genauso. Denn die Ampeln befinden sich von hier aus gesehen am Ende der Welt." Ein weiterer Hindernisgrund komme dazu, ergänzt die Elternsprecherin: "Da drüben ist die Helenenstraße, vor der es öfter zu Streitereien und Auseinandersetzungen kommt. Vor diesem Umfeld haben die Kinder Angst und meiden es." Also nähmen sie die direkte, ungeschützte Querung über die Straße Vor dem Steintor.
Fries zeigt auf einen SUV, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt. "Ein Kind kann nicht darüber hinweg sehen und realisieren, wie schnell dahinter auf dem Radweg Räder heranrauschen." Gern sähe der Vater hier eine Bedarfsampel. Fries befürwortet zum Schutz von Kindern und Menschen mit Einschränkungen zudem eine Parkverbotszone an Kreuzungen, um sie einsehbarer zu machen, und er schlägt vor, den Parkverkehr auf eine Seite zu verlagern. Außerdem regt er einen jährlichen Tag des Schulweges an zwecks Sensibilisierung der anderen Verkehrsteilnehmer.
Anna Körber hat eine klare Forderung: "Alles, was schnell ist, bitte auf die Straße. Das bedeutet: Rad- und Autoverkehr!" Oft seien Fahrräder hier mit einem höllischen Tempo unterwegs. Sie schiebt den Rollator, den Henning Rischbieter mitgebracht hat, noch ein Stück weit weiter das Steintor hoch. Kein Ferrari unter den Rollis, sondern ein Kassen-Modell, wie sich herausstellt. Wie sich das für sie anfühlt? "Extrem anstrengend und unkomfortabel, vor allem bei dem Slalom um Hindernisse herum", sagt sie. Von dem anstrengenden Kopfsteinpflaster in den Seitenstraßen gar nicht zu reden. "Davon bekommt man ja als Rolli-Fahrer eine Gehirnerschütterung", meldet sich eine andere Viertelbewohnerin zu Wort.
Einziger Lichtblick in Höhe der Holler Straße: der abgesenkte Bürgersteig, der so erst seit wenigen Wochen besteht. Der Weg über die Holler Straße ist mit einer planen "Brücke" in rotem Backstein versehen worden, die das Queren erleichtert. Hier wurde Denkmalschutz mit Barrierefreiheit verbunden. Allerdings, so wird aus der Gruppe unisono kritisiert: Jetzt, in der dunklen Jahreszeit fehle es an Beleuchtung, es sei einfach extrem dunkel.
Fußgänger als schwächstes Glied
Die Mütter der Schulkinder berichten außerdem, wie sie wegen der zugeparkten Bürgersteige rundum oft mit ihren Kinderwagen und den Grundschülern an der Hand auf die Fahrbahn ausweichen und sich dann mit Rad- und Autofahrern den verbleibenden Platz teilen müssten. Abermals wird klar, dass Fußgänger oft die schwächste Gruppe in Sachen Mobilität ist. Luca Halder, Leiterin des Hauses im Viertel, zeigt auf das Areal rund herum: "Da stehen überall Fahrräder, Mülltonen und Verkehrsschilder herum und blockieren den Fußweg." Ihr Vorschlag: Die Fahrradbügel, die am Ende der Schmidtstraße auf dem Bürgersteig stehen, sollten besser auf der Straße angebracht werden, dort, wo sich jetzt noch Parkplätze befinden. Auch die Verkehrsschilder könnten auf die Straße wandern.
Daniel Fries ergänzt: Er halte ein Passierverbot für Autos, sobald mittags Schulschluss an der Schmidtstraße ist, für sinnvoll. Wie gefährlich für die Kinder die Situation ist, zeigt sich gerade jetzt am Mittag: Die Grundschüler strömen aus dem Schulgebäude und sind direkt mit dem Autoverkehr konfrontiert. "Vor der Schule müsste das Halteverbot ausgeweitet werden. Hier gibt es überhaupt keine Hinweise, dass sich hier eine Schule befindet", meldet sich Schulleiterin Sonja Kirchhoff zu Wort.