Wie entsteht SPD-Politik in und für Bremen? In den letzten Jahren galt da eine klare Hierarchie. Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat Generalprokura, ein Nebenzentrum der Macht existiert in Gestalt der Bürgerschaftsfraktion, und ganz selten gibt die Partei auch mal einen Mucks von sich. Man muss aber aufpassen, dass man ihn nicht überhört.
Dass die Landes-SPD kaum wahrnehmbar ist – jedenfalls nicht mit programmatischen Vorstößen – hat vor allem mit ihrem scheidenden Vorsitzenden Reinhold Wetjen zu tun. Der 71-Jährige erweckte nie auch nur den Anschein, er wolle die Kreise des Bürgermeisters stören. In einem Reformpapier, das aus dem Beginn von Wetjens Amtszeit stammt, hieß es zwar, die Bremer SPD müsse "nach außen sichtbarer und im Inneren erlebbarer" werden. Doch weder das eine noch das andere wurde eingelöst. In Erinnerung bleiben von der Ära Wetjen eher strategische und taktische Fehler. Der größte war sicherlich die Gebietsreform der Unterbezirke. Wetjen wollte die beiden Parteigliederungen im Bremer Stadtgebiet – die Unterbezirke Stadt und Nord – miteinander verschmelzen, was angesichts zurückgehender Mitgliederzahlen wirtschaftlich nachvollziehbar gewesen sein mag. Der Landeschef unterschätzte aber völlig das Ausmaß des Widerstandes der Genossen nördlich der Lesum. Der Konflikt wurde bis zur Bundesschiedskommission der Partei hochgegeigt, und noch ist nicht klar, ob er womöglich die ordentlichen Gerichte beschäftigten wird. Das Verhältnis des nun in Auflösung begriffenen Unterbezirks Nord zur Landesspitze ist jedenfalls völlig zerrüttet. Es wird Jahre dauern, bis die Scherben gekittet sind.
Wenig Weitsicht bewies Wetjen auch beim innerparteilichen Streit um die Vertiefung der Unterweser zwischen Bremerhaven und Brake. Der einflussreiche Arbeitskreis Klima und Umwelt hatte in der SPD Bremen-Stadt ein Votum gegen dieses Infrastrukturprojekt durchgesetzt, was die Bremerhavener Genossen richtig auf die Zinne brachte. Wetjen unterschätzte die Sprengkraft des Themas, sodass es auf dem letzten Landesparteitag im Januar fast zu einem heftigen Showdown auf offener Bühne gekommen wäre. Im letzten Moment wurde vereinbart, einen Arbeitskreis einzurichten, in dem Vertreter der Unterbezirke Stadt und Bremerhaven unter Vermittlung des Landesvorstandes Kompromissmöglichkeiten ausloten sollten. Getagt hat diese Arbeitsgruppe bisher kein einziges Mal. Man versucht, das Problem auszusitzen.
Der voraussichtliche neue Landesvorsitzende Falk Wagner erbt also zwei nervige Baustellen, dazu das allgemeine Problem des Mitgliederschwunds und der mangelnden Präsenz der Partei in einem Bundesland, in dem die Sozialdemokratie früher in breiten Schichten der Bevölkerung verwurzelt war. Aber Wagner ist eben auch das größte Talent, das diese Partei in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Der 35-jährige Bürgerschaftsabgeordnete gehört der SPD seit 20 Jahren an. Er durfte zunächst bei den Jusos und später im Unterbezirk Stadt Führungserfahrung sammeln, kennt sich also bestens aus in der Partei, die er künftig führen soll. Dass der gebürtige Hamburger ein sympathischer Typ und zugewandter Gesprächspartner ist, schadet sicher auch nicht.
Vielleicht war es sogar besser für Wagner, dass er bei der Regierungsbildung im Sommer vergangenen Jahres nicht schon den Sprung in den rot-grün-roten Senat schaffte. Das war kurze Zeit im Gespräch, bevor sich der Bürgermeister für Özlem Ünsal als Chefin des Bau- und Verkehrsressorts entschied. Falk Wagner kann warten. Er weiß, dass er zur innersten Führungsreserve der SPD gehört und viele in ihm sogar einen künftigen Bürgermeister sehen.
Seine Aufgabe wird es nun zunächst sein, das in die Tat umzusetzen, was bei Reinhold Wetjen Ankündigung blieb: die Partei wieder sichtbarer zu machen, ihr Profil zu geben und ihr jüngere Menschen zuzuführen – und zwar nicht nur solche, die gerade ein Politologiestudium abgeschlossen haben und über die Betätigung in der Partei gern an eine A13-Stelle im öffentlichen Dienst gelangen würden. Gefragt sind Antworten der SPD auf Brot-und-Butter-Themen. Auf Probleme, mit denen sich Otto Normalmensch im Alltag konfrontiert sieht: Mangel an bezahlbarem Wohnraum und Kita-Plätzen, Vermüllung von Straßen und Plätzen, öffentliche Sicherheit, um nur wenige Stichwörter zu nennen.
Wagner sollte da präsenter sein als sein Vorgänger. Es muss auch nicht jeder inhaltliche Vorstoß mit dem Rathaus abgestimmt sein. Der Letzte, der Wagner solches Profilierungsstreben verübeln dürfte, wäre Andreas Bovenschulte. Der hatte während seiner Zeit als Landesvorsitzender zwischen 2010 und 2013 stets auch die Werbetrommel für sich selbst gerührt und mit Vorschlägen wie der Rekommunalisierung des Stromnetzes das politische Rampenlicht auf sich gezogen. Wer irgendwann selbst im Rathaus sitzen will, kann sich bei Bovenschulte was abschauen.