Dreimal innerhalb kürzester Zeit gab es in Bremen Einsätze der Polizei, bei denen psychisch kranke Menschen auf offener Straße mit Messern oder Macheten drohten. Spektakuläre Fälle, doch für die Polizei nichts anderes als Routine: Fast 2500 Einsätze im Zusammenhang mit Menschen mit einer psychischen Störung gab es im vergangenen Jahr. Unterstützt wurde die Polizei bei einigen Fällen von Krisenteams des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Doch die können den Einsatz von Schusswaffen oder Elektroschockern durch die Polizei wie in den hochgefährlichen Situationen aus der vergangenen Woche nicht verhindern.
Zum einen spielt der Zeitfaktor eine Rolle: Bei dringenden Einsätzen, wie dem am vergangenen Sonnabend, als ein Mann im Viertel auf offener Straße Menschen mit einer Machete bedrohte, lautet die Vorgabe des Einsatzdienstes der Polizei, innerhalb von maximal acht Minuten am Ort des Geschehens zu sein. Bekommt sie keinen Zugang zu der Person und kann sie nicht beruhigen, wird das Spezialeinsatzkommando zur Unterstützung gerufen, erläutert Polizeisprecher Nils Matthiesen. Der sozialpsychiatrische Krisendienst brauche dagegen etwa eine Stunde, um vor Ort zu sein.
"Eigenschutz geht vor"
Zum anderen käme das Kriseninterventionsteam in derartigen Situationen zunächst ohnehin nicht an die Betroffenen heran. "Der Sozialpsychiatrische Dienst geht nicht in den engeren Gefahrenbereich, das wäre überhaupt nicht vorstellbar", sagt Polizeipräsident Dirk Fasse. Die Polizei lässt in solchen Fällen grundsätzlich niemanden in den Gefahrenbereich. Selbst Feuerwehr und Rettungskräfte kommen erst zum Zuge, wenn die Polizei für Sicherheit gesorgt hat.
Die Vorstellung, dass ein Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes versucht, direkt vor einer Person mit einer Machete stehend, beruhigend auf diese einzureden, während sich die Polizei im Hintergrund hält, fällt somit ebenso in die Kategorie "Hollywood" oder "Tatort", wie die Forderung, die Polizei möge in den Sekundenbruchteilen einer Messerattacke dem Angreifer gezielt in Schulter oder Beine schießen. Der Krisendienst begutachtet die Betroffenen in solchen Fällen erst, wenn sie sich in sicherem Polizeigewahrsam befinden.
Dies bestätigt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitsbehörde, an der der Dienst angedockt ist. "Wenn Waffen im Spiel sind, geht der Eigenschutz des Krisendienstes vor." Generell gebe es durchaus Fälle, in denen Krisendienst und Polizei gemeinsam vorgingen, so Lukas, der in diesem Zusammenhang von einer "kollegial guten Zusammenarbeit" spricht. Wie schnell der Krisendienst vor Ort sei, hänge von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere davon, wie die Polizei die Lage einschätzt und wie sich diese entwickelt. "Der Einsatz soll aber in der Regel innerhalb einer Stunde erfolgen."
Tatsächlich werde der Sozialpsychiatrische Dienst beziehungsweise dessen Krisendienst weitaus häufiger ohne Polizei tätig, in der Regel bei Krisen im häuslichen Umfeld. "Jeder, der in psychischen Krisen Hilfe benötigt, kann anrufen." Die Arbeit des Krisendienstes ist in den Sozialpsychiatrischen Dienst integriert, Der wiederum hält in Bremen an fünf Standorten Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen vor. Der Krisendienst arbeitet von Montag bis Freitag zwischen 8.30 Uhr und 17 Uhr von den fünf Zentren aus. Unter der Woche bis 23 Uhr und am Wochenende zwischen 8.30 Uhr und 17 Uhr gibt es ein zentrales Krisenteam, anschließend ein Krisentelefon. "Als Anlaufstelle, zur Beratung, da fährt dann aber keiner los", erläutert Fuhrmann. Reicht dies nicht, wird die Polizei alarmiert, die die Betroffenen gegebenenfalls ins Krankenhaus Bremen-Ost bringt. Früher sei der Krisendienst rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche im Einsatz gewesen, betont Fuhrmann. "Aus fachlicher Perspektive ist diese dauerhafte Erreichbarkeit absolut wünschenswert."
Nicht durchgehend erreichbar
Unabhängig von der Zusammenarbeit mit dem sozialpsychiatrischen Krisendienst sei der Umgang mit psychisch kranken Menschen für die Polizei von besonderer Bedeutung, sagt Nils Matthiesen. Weshalb schon angehende Polizistinnen und Polizisten im Rahmen ihrer Ausbildung im Erkennen und im Umgang mit solchen Menschen geschult würden; sowohl theoretisch als auch praktisch in Form von Einsatztrainings. Auch nach dem Studium sei dies fester Bestandteil der polizeilichen Fortbildung. "Der Umgang mit solchen Situationen wird in systemischen Einsatztrainings vermittelt und eingeübt."
Ein Blick in die Statistik verdeutlicht, warum die Polizei ein besonderes Augenmerk auf diese Art der Einsätze legt. 2022 wurden 2447 Fälle unter dem Stichwort „Gefährdungslage psychische Störung oder (versuchter) Suizid" erfasst. 2018 lag diese Zahl laut Innenbehörde noch bei unter 1000, seither ist sie kontinuierlich gestiegen. Wie oft die psychisch kranken Personen bewaffnet waren, registriert weder die Polizei noch die Gesundheitsbehörde. Von den 2447 Fällen im vergangenen Jahr endeten 1330 mit der sofortigen Unterbringung des Betroffenen in der Psychiatrie.