Die Corona-Herbstwelle zeigt sich: In Bremen und Niedersachsen nimmt die Zahl der Neuinfektionen zu. Die Fragen, vor denen Gesundheitsbehörden stehen: Wie hoch baut sich die Infektionswelle auf? Und mit welchen schärferen Maßnahmen muss ab welchem Zeitpunkt gegengesteuert werden? Bremen will zur Einschätzung der Pandemielage auf ein neues Instrument als Frühwarnsystem setzen: „Abwasseruntersuchungen sollen eine Rolle im Hinblick darauf spielen, was sieben bis zehn Tage später auf uns zukommt“, sagt Silke Stroth, Staatsrätin im Gesundheitsressort.
Abwassermonitoring: Bremen gehört zu Forschungsprojekt
Bremen gehört mit 19 weiteren Städten und Gemeinden einem bundesweiten Forschungsprojekt für ein Abwassermonitoring an. Seit Februar werden in der Kläranlage Seehausen regelmäßig Abwasserproben entnommen, die, tiefgefroren an ein Labor in Karlsruhe verschickt, dort auf das Sars-Cov-2-Virus und seine Varianten untersucht und schließlich mit den Infektionszahlen abgeglichen werden. Acht bis 14 Tage im Voraus könne im Abwasser der Anstieg der Viruslast nachgewiesen werden, denn sobald eine Person infiziert sei, scheide sie Bruchstücke des Virus über den Toilettengang aus, erklärte Christoph Bernatzky, Leiter Technologie und Innovation bei Hansewasser in Bremen, zum Projektstart.
Was dies in der Praxis bedeutet, zeigten im Sommer Ergebnisse aus Köln: Laut dem Leiter des Gesundheitsamtes, Johannes Nießen, habe die offizielle Inzidenz in der Stadt an einem Freitag bei 800 gelegen. „Durch die Abwasseranalyse wissen wir aber, dass sie tatsächlich bei über 1500 liegt“, sagte Nießen den Zeitungen der "Funke-Mediengruppe". Die Abwasseranalyse erfasst auch Infektionen von Menschen, die keine oder noch keine Symptome haben und demzufolge oft nicht getestet sind. Die Analyse koste wenig und der Aufwand sei gering, betonte Nießen.
Bremen muss laut dem Sprecher der Gesundheitsbehörde, Lukas Fuhrmann, auf grünes Licht vom Robert Koch-Institut (RKI) und vom Bundesgesundheitsministerium warten, um Daten zur Viruslast im Abwasser nutzen zu können. In Eigenregie sei dies nicht möglich. „Die Werte gehen nach Berlin, wir hängen völlig von der Freigabe ab.“
Die Ergebnisse sollen auch im neuen Pandemieradar auf der RKI-Internetseite veröffentlicht werden – neben Daten wie der Sieben-Tage-Inzidenz, der Hospitalisierungsrate oder der Anzahl freier Intensivbetten. Das Radar solle als Frühwarnsystem dienen – unter anderem durch das Abwassermonitoring, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im September im Bundestag.
Abwassermonitoring in anderen Ländern bereits Standard
Noch gibt es nichts zu sehen. Ein Sprecher des Ministeriums teilte dem WESER-KURIER mit, es werde „mit Hochdruck daran gearbeitet, die Daten zum Abwassermonitoring im Pandemieradar zeitnah zu veröffentlichen“. Voraussetzung sei, dass Datenerhebung und -auswertung vereinheitlicht würden und damit vergleichbar seien. In anderen Ländern Europas ist ein Abwassermonitoring schon länger Standard.
Die Sorge gilt dem Gesundheitssystem – aktuell insbesondere den Kliniken. „In den letzten Tagen beobachten wir eine deutliche Zunahme der Corona-Patientenzahlen“, sagt Timo Sczuplinski, Sprecher der Gesundheit Nord. Setze sich dies fort, müssten die Patienten in Kürze wahrscheinlich wieder auf separaten Corona-Stationen gebündelt werden. Dies habe wiederum personelle Auswirkungen auf andere Stationen.
Darauf weist auch das St. Joseph-Stift hin. Hinzu kämen Ausfälle bei den Beschäftigten durch Krankheit oder Isolation. „Zudem beurteilen wir die starke physische wie psychische Belastung des Personals nach mehr als zwei Jahren Pandemie als äußerst problematisch“, so Sprecher Maurice Scharmer. Das bestätigt auch Krankenhaushygieniker Johannes Albers in der Roland-Klinik: „Insbesondere unter den Pflegenden besteht ein höherer Krankenstand aufgrund anderer Erkrankungen. Ob ein Zusammenhang mit dem Dauerstresszustand ,Corona‘ besteht, scheint zumindest ein Teil der Erklärung.“
Lage an Kliniken verschärft sich
Das Rotes-Kreuz-Krankenhaus hat eine zweite Infektionsstation umgewidmet, so Sprecherin Dorothee Weihe. „Wir sehen vermehrt viele richtig kranke Covid-Patienten, nicht den Beinbruch mit zufälligem Corona-Beibefund.“ Stiegen die Zahlen, müssten wahrscheinlich Eingriffe verschoben werden. Die Kapazitäten seien „schon auf Kante genäht“. Mehr infizierte Patienten meldet auch das Diako: „Wir sind in Planung und Umsetzung, weitere Kapazitäten zur Verfügung zu stellen“, sagt Sprecherin Regina Bukowski. OPs seien nicht verschoben worden; die Personallage sei jedoch anspruchsvoll.