Von Erdbeben ist Bremen bislang verschont geblieben. Doch Kritiker der Erdgasförderung befürchten, dass sich das in absehbarer Zukunft ändern könnte. Der Grund: Bei ihrer Suche nach Erdgasvorkommen ist die Deutsche Erdöl AG (Dea) bis unmittelbar an die Landesgrenze herangerückt. Anfang 2019 sollen sogenannte Vibro-Trucks in den Landkreisen Osterholz, Verden, Rotenburg und Diepholz erste Messungen vornehmen. Dagegen haben sich vor Ort bereits Bürger-initiativen formiert. Und nun erreicht der Protest auch Bremen. Es müsse ein Verbot der Gasförderung in dicht besiedelten Gebieten geben, fordert Derik Eicke, SPD-Vorsitzender in Oberneuland.
Die Erdgaskritiker warnen aber nicht nur vor Gebäudeschäden infolge von Erdbeben. Ihre Sorge gilt auch dem Trinkwasser. Bei der Gasförderung in Verden-Scharnhorst werde giftiges Lagerstättenwasser in einem Wasserschutzgebiet zurück in die Tiefe verpresst – und zwar ausgerechnet in dem Reservoir der Rotenburger Rinne, aus dem Bremen 60 Prozent seines Trinkwassers beziehe. „Da befürchten wir, dass es irgendwann zu einem Zwischenfall kommt“, sagt Martin Busch, Sprecher der Bürgerinitiative „Walle gegen Gasbohren“ aus Verden. So wie 2011/12 in Völkersen bei Langwedel, als durch undichte Rohre die oberste Grundwasserschicht verseucht wurde.
Einen Grund zur Beunruhigung sieht die Dea dagegen nicht. Der Austritt des Lagerstättenwassers in Völkersen sei eine „sehr lokal begrenzte Kontamination“ gewesen, betont Dea-Sprecher Heinz Oberlach. „Dabei sind definitiv keine Schäden entstanden.“ Auch eine Erdbebengefahr kann er nicht erkennen. Schon allein von Erdbeben zu reden, hält er für überzogen – „Erdstöße“ treffe es besser. Womit er keineswegs verniedlichen, wohl aber relativieren wolle.
„Erdstöße in der Region sind nicht geeignet, um Häuser zum Einsturz zu bringen“
Mit den Ereignissen in Groningen – erst im Januar 2018 wurde die Erdgasförderregion von einem Erdbeben der Stärke 3,4 erschüttert – seien die Vorfälle nicht vergleichbar. „Die Erdstöße in unserer Region sind nicht geeignet, Häuser zum Einsturz zu bringen.“ Der letzte große Erdstoß sei im April 2016 registriert worden.
Für Erdgaskritiker Busch sind solche Aussagen nur Beschwichtigungsversuche. „Bei Erdgasförderung ist immer mit Schäden an Häusern zu rechnen“, betont er. Ein Ärgernis vor allem deshalb, weil Hausbesitzer niemals den vollen Schaden ersetzt bekämen. Daran ändere auch die Schlichtungsstelle nichts, die bei Streitfragen die Höhe des Schadensersatzes festlegen soll. Schwer ins Gewicht fallen auch Vorwürfe einer massiven Gesundheitsgefährdung durch die Erdgasförderung.
Eine erhöhte Krebsrate im Umkreis von Bohrungen bei Rotenburg deutet laut Busch auf die Auswirkungen eingeatmeter Umweltgifte hin. Die Verwaltung vor Ort sei gerade dabei, ein Krebsregister zu erstellen, um gesicherte Daten zu bekommen. Die Dea bestreitet jedoch einen Zusammenhang mit der Gasförderung.
Vor „ständigen Lecks in Industrieanlagen“ warnt derweil der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Erdgasförderung sei mit jeder Menge Risiken behaftet, sagt der Bremer Nabu-Geschäftsführer Sönke Hofmann. Die Förderung des fossilen Energieträgers sieht er als verantwortungslos an. „Man spielt mit Giften herum. Wer weiß, was mit dem verpressten Zeug unter der Erde noch passieren kann?“
Die Messungen im Bremer Umland sind für Januar und Februar 2019 angesetzt. Sie reichen von Lilienthal im Norden bis nach Thedinghausen im Süden. Dabei geht es laut Dea-Sprecher Oberlach nur noch darum, sich Gewissheit über ein „paar blinde Flecke“ zu verschaffen. Die Auswertung der gesammelten Daten werde mindestens ein Jahr oder länger dauern. Erst danach falle eine Entscheidung über Probebohrungen, die überdies einzeln genehmigt werden müssten.
So oder so ist die Erdgasförderung in Niedersachsen kein Modell mit Zukunft. Nur noch zwölf bis 15 Jahre gibt die Dea der Erdgasförderung, danach sind die unterirdischen Lagerstätten ausgebeutet. Hinzu kommt, dass es sich bei dem niedersächsischen Erdgas um minderwertigeres L-Gas handelt, die Stromversorger in Deutschland aber gerade auf hochwertigeres H-Gas umstellen.
Dem SPD-Mann Eicke als Veranstalter eines kürzlich abgehaltenen Infoabends unter dem Titel „Die niedersächsische Gasförderung – auch ein Bremer Problem!“ ist das egal. Für die Bremer Bevölkerung sei die niedersächsische Erdgasförderung spätestens jetzt „kein theoretisches Thema“ mehr, warnt Eicke und kündigt an, die Menschen weiter sensibilisieren zu wollen. Denn: „Wenn’s in Völkersen bebt, merkt man es in Verden. Und wenn es in Lilienthal bebt, werden wir es merken.“