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Nach Vorfall im Bremer Amateurfußball FC Oberneuland prangert Kindertransfers an

Der Regionalligist FC Oberneuland will juristisch dagegen vorgehen, dass Kinder und Jugendliche im deutschen Amateurfußball für hohe Summen die Vereine wechseln. Auslöser ist ein Vorfall in Bremen.
06.09.2021, 21:24 Uhr
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FC Oberneuland prangert Kindertransfers an
Von Jean-Julien Beer

Ein Vorfall aus dem Bremer Jugendfußball könnte Auswirkungen auf ganz Deutschland haben. Passiert ist es in diesem Sommer, beteiligt waren der FC Oberneuland und der SC Borgfeld. Man könnte diese Namen auch durch Blumenthal oder Schwachhausen ersetzen, sogar durch Vereine in Niedersachsen oder Thüringen. Es geht um Ablösesummen im drei- oder vierstelligen Bereich für Kinder und Jugendliche. Und um Eltern, die ihre Kinder aus eigener Tasche von Vereinen freikaufen, damit sie spielen können.

Im konkreten Fall wollten sieben Jugendspieler von Borgfeld nach Oberneuland wechseln. Nachdem der FCO den Nachbarverein darüber informiert hatte und die Familien der Spieler die Mitgliedschaft fristgerecht zum 30. Juni gekündigt hatten, verweigerte Borgfeld die Zustimmung zum Wechsel. Die Statuten des Bremer Fußballverbandes – und aller deutschen Landesverbände – lassen dies zu, was sinnvoll sein kann, wenn Mitgliedsbeiträge noch offen sind oder geliehene Sportkleidung nicht zurückgegeben wurde. Die Statuten besagen unter Paragraf 3 der Jugendordnung aber auch: Die Zustimmung zum Wechsel kann dadurch ersetzt werden, dass der neue Verein dem alten Klub eine Entschädigung zahlt. Sonst bleibt der Jugendspieler bis November gesperrt.

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Was in diesen Statuten auch noch geregelt ist, wissen viele Eltern oft nicht: Jedes Kind hat einen festen Preis, von der D-Jugend (zwölf Jahre alte Spieler und Spielerinnen) bis zu den A-Junioren (17 Jahre), je nach Spielklasse der ersten Mannschaft des neuen Vereins. Für einen D-Jugendlichen werden Ablösezahlungen von 25 Euro bis 1500 Euro aufgeführt, zuzüglich Bonuszahlungen pro Spieljahr. Das sind Netto-Beträge. Bei älteren Jugendlichen, in der B- oder A-Jugend, gehen diese Beträge auf bis zu 2500 Euro hoch. Letztlich ist das eine Verhandlungssache zwischen den Klubs, „aber diese Zahlen sind nicht weit weg von der Realität“, sagt Eddy Kary, der als Fußball-Abteilungsleiter des FCO die Verhandlungen in diesem Fall führte. Wie viel Geld zwischen Oberneuland und Borgfeld floss, darüber haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Nach Informationen des WESER-KURIER waren es insgesamt mehrere Tausend Euro für die sieben Jugendspieler. Teilweise gaben Eltern dem FCO das nötige Geld, um eine Sperre für ihre Jungs zu verhindern (siehe unten).

Diese Praktiken im Jugend- und Amateurfußball will FCO-Vorstand Uwe Piehl nun bekämpfen. Ihm geht es dabei nicht um den SC Borgfeld, seinen FCO oder andere Vereine. Sondern um die Sache. „Ein solcher Handel mit Kindern kann nicht im Sinne des Fußballs sein“, sagt Piehl, „das System gibt nichts her, um die Kinder zu schützen. Wenn Eltern ihre Kinder freikaufen müssen, sind wir an einem bedenklichen Punkt angekommen.“ Der FCO überlegt deshalb, mithilfe einer auf Sportrecht spezialisierten Anwaltskanzlei die bundesweit ähnlich geltenden Statuten für Wechsel von Nachwuchsspielern anzufechten. Piehl sieht gute Chancen: „Hier greift die Satzung des Fußballverbandes in die Grundrechte der Kinder und Jugendlichen ein. Und das soll rechtens sein?“ Zumal diese Jugendspieler keinerlei Vertrag haben, sie sind nur zahlende Vereinsmitglieder.

Auf den ersten Blick wirkt es meist aussichtslos, wenn eine Einzelperson oder ein kleiner Verein gegen die Statuten großer Verbände vorgehen will. Aber es gibt Fälle, wo das erfolgreich war. Der berühmteste ist die Klage des belgischen Fußballprofis Jean-Marc Bosmann, der erstritten hat, dass Profis nach Ende ihres Vertrages ablösefrei wechseln dürfen. Er revolutionierte damit 1995 den Weltfußball. In Norddeutschland legte sich der SV Wilhelmshaven wegen Ausbildungsentschädigungen für einen argentinischen Spieler mit dem Weltverband Fifa an und klagte bis zum Bundesgerichtshof.

Der Bremer Piehl sagt: „Was wir im Jugendfußball erleben, ist ein Missstand nicht nur in Bremen, sondern in ganz Deutschland. Es wird Zeit, dass sich das ändert.“ Es gebe in dieser Geschichte „auch keine Täter oder Opfer“, betont Verhandlungsführer Kary, „mal ist der eine Verein betroffen, mal der andere. Aber so geht es nicht weiter.“ Er sei überzeugt, „dass 98 Prozent der Eltern gar nicht wissen, dass ihr eigenes Kind ein Preisschild umhängen hat“.

Das sieht man beim SC Borgfeld ähnlich. Der kleine Bremer Verein genießt wegen seiner Jugendförderung einen exzellenten Ruf, gerade erst schaffte es Eren Dinkci von hier in die Profimannschaft von Werder, Julian Brandt wurde sogar Nationalspieler. Beide spielten übrigens auch beim FCO. Im vorliegenden Fall gehe es um ein generelles Problem im Nachwuchsfußball, meint Vorstand Thomas Kaessler: „Viele Jungs wollen möglichst hochklassig spielen, die Vereine wollen gute Mannschaften – aber nicht jeder Klub spielt mit jedem Jahrgang weit oben.“ Würde man alle frei wechseln lassen, würden von einer Saison zur nächsten ganze Mannschaften fortgehen, vielleicht sogar mit Trainer. „Das hätte nichts mehr mit einer nachhaltigen Entwicklung von jungen Spielern zu tun“, sagt er. Die Statuten wären „ein Regulativ, um solche Wechsel-Orgien unter Kontrolle zu halten“. Auch windige Spielerberater seien hier inzwischen ein Problem.

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Borgfeld nehme grundsätzlich kein Geld von Eltern an, „weil das für sozial schwächere Kinder ungerecht wäre“. Derlei müsse man vielleicht durch eine Selbstverpflichtung der Vereine unterbinden, meint er. Mit vielen Klubs könne man in Gesprächen Kompromisse finden, aber längst nicht mit allen. Kaessler appelliert an ein faires Miteinander unter den Vereinen, „denn eigentlich sollte ein Kind gar nicht wechseln, sondern in seinem Verein groß werden und dann zu den Herren oder zu einem überregionalen Verein wechseln.“ Hier sei auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gefragt, die Strukturen unterhalb der Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs zu verbessern.

FCO-Vorstand Uwe Piehl betont: „Wenn ein Profiklub aus der Bundesliga einen Jugendspieler holt, ist eine Ausbildungsentschädigung angemessen. Aber wenn Bremenligisten oder Bezirksligisten untereinander Geld für Nachwuchsspieler verlangen, ist das doch absurd.“ Dieses bundesweite System möchte der FC Oberneuland nun ins Wanken bringen, im besten Fall sogar zum Einsturz.

Zur Sache

Das sagt ein betroffener Vater:

"Es ist ein Unding"

Peter Zanft ist einer der Väter, die ihre Jungs im Ablösestreit zwischen Oberneuland und Borgfeld freikauften, aus eigener Tasche. Und er ist empört darüber. „Wenn Dorfvereine eine gute Jugendarbeit leisten, wirken sie wie ein Magnet auf talentierte Jungs, die es nicht in das Leistungszentrum eines Profivereins geschafft haben“, sagt er, „aber wenn diese Vereine untereinander Geld für die Spieler verlangen, ist das ein Unding.“

An Geld hatte Zanft nie gedacht, als sein heute 16 Jahre alter Sohn bei kleinen Vereinen in Niedersachsen begann. Erst als der Junge zum SC Borgfeld wechselte, wurden von seinem Ex-Verein in Heeslingen 350 Euro aufgerufen, erzählt der Vater: „Ich wollte aber nicht, dass es so läuft. Ich wollte keine Abhängigkeiten und bot an, das selbst zu zahlen.“ Doch Borgfeld habe kein Geld von ihm annehmen wollen und das mit Heeslingen geregelt.

„Als mein Junge jetzt zu Oberneuland wollte, weil wir uns dort alles angesehen hatten und vom Konzept überzeugt waren, erinnerte ich mich an die 350 Euro“, erzählt er. Er habe sich bei Borgfeld gemeldet: „Ihr habt damals Geld für meinen Jungen bezahlt, das gebe ich euch jetzt natürlich zurück.“ Doch man habe ihm gesagt, das reiche nicht, es würde zwischen den Vereinen nun um mehr als 1000 Euro gehen, so berichtet der Vater. Er habe 600 angeboten, ohne Erfolg.

Zwei Tage vor Saisonbeginn war die Sache noch nicht geregelt, dem Sohn drohte eine Sperre bis November. „Oberneuland hat uns  mitgeteilt, dass sie nicht so viel Geld für die sieben Jungs haben und der Wechsel wohl nicht klappt“, sagt Zanft. Um das zu verhindern, habe er „für drei der Jungs jeweils mehrere Hundert Euro an den FCO überwiesen“. Den Rest habe der Verein beigesteuert. Ihn bewegt das emotional: „Ich kenne viele Eltern, die auch talentierte Jungs haben, die aber nicht mal eben 400 oder 600 Euro aus der Haushaltskasse nehmen können, damit ihr Kind Fußball spielen kann. Das ist nicht die Lebensrealität vieler Familien. Ich finde diese Statuten sehr problematisch.“

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