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Zahl der Kinderärzte sinkt Versorgung im Bremer Norden: Praxen mit Problemen

Im Januar haben Ärzte einen Brandbrief an die Behörde geschickt – und erst jetzt eine Antwort bekommen. Dabei gehen Mediziner davon aus, dass schnell gehandelt werden muss, um die Versorgungslage zu verbessern.
23.05.2024, 18:00 Uhr
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Versorgung im Bremer Norden: Praxen mit Problemen
Von Christian Weth

Seit Monaten ist die Situation der Nordbremer Kinderärzte so schwierig, dass sie sich Ende Januar mit einem Brandbrief an die Behörde gewandt haben. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) sollte sagen, was sie unternimmt, damit Praxisstellen nicht unbesetzt bleiben – so schnell wie möglich. Nur schnell ist die Antwort auf das Schreiben nicht gekommen, sondern vergangene Woche. Das Ressort spricht von einem Bürofehler. So sagen es Joachim Schlage und Andreas Mühlig-Hofmann. Die beiden Blumenthaler Mediziner für Kinderheilkunde sind enttäuscht vom Umgang des Ressorts mit ihrer Lage. Und nur froh, dass zumindest die Opposition mehr Interesse zeigt.

Erst haben CDU-Politiker nach dem Brandbrief mit Nordbremer Kinder- und Hausärzten gesprochen, jetzt hat sich der gesundheitspolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion ihren Praxisalltag angeschaut. Für zwei Stunden wurde Rainer Bensch zum Hospitanten. Am Montag vergangener Woche war das. Der Nordbremer Abgeordnete wollte sehen, was die Mediziner ihm und anderen Parteivertretern beim vorangegangenen Austausch erzählt haben. Und Schlage und Mühlig-Hofmann waren bereit, es ihm zu zeigen. Der Politiker erlebte Szenen im Wartezimmer, am Empfang und in Behandlungsräumen – und sagt, am Ende überrascht gewesen zu sein von den vielen Menschen, die vor und im Haus gewartet haben.

Dabei war das Patientenaufkommen ein ganz normales Aufkommen. Zumindest aus Sicht der beiden Mediziner. Mühlig-Hofmann spricht von einem Hunderter-Tag. Was Schlage so übersetzt, dass 100 Kinder von ihm und seinem Kollegen untersucht wurden. Was ihm zufolge eben nichts Ungewöhnliches mehr ist. Genauso wenig wie ihr Patientenstopp: Um das Pensum zu schaffen, können sie nur noch Kinder behandeln, die im näheren Umfeld wohnen. Und so wie sie machen das längst auch andere Praxen. Notgedrungen. Weil die Zahl der Ärzte sinkt, kommen immer mehr Patienten auf einen Mediziner. Nach Schlages Rechnung gibt es noch zwölf Kinderärzte im Bremer Norden – macht ein Minus von drei Kollegen innerhalb weniger Monate.

Alle haben nach einem Nachfolger gesucht, niemand hat einen gefunden. So steht es im Brandbrief an die Senatorin. Und auch, woran das aus Sicht der Mediziner liegt. Schlage und Mühlig-Hofmann sagen, dass der Norden der Stadt für viele Ärzte, die im Zentrum wohnen, zu weit weg und zu schlecht erreichbar ist. Dass immer mehr Mediziner nicht das finanzielle Risiko einer Praxiseröffnung tragen, sondern lieber Angestellte sein wollen. Und dass längst nicht nur Vollzeitstellen gefragt sind. Auch Schlage würde gerne seine Stunden reduzieren, nur kann er es nicht, weil er bisher niemanden gefunden hat, der dann an seiner Stelle in der Praxis ist. Und die Aussichten, dass sich irgendwann die Lücke schließen lässt, werden immer schlechter.

Schlage und Mühlig-Hofmann gehen nämlich davon aus, dass in den nächsten sechs Jahren noch vier weitere Kinderärzte aufhören – und sich das Problem für die Patienten und die verbleibenden Mediziner noch einmal vergrößert, wenn wieder keine Nachfolger gefunden werden. Dann, glauben die beiden Mediziner, wird die Lage im Bremer Norden so sein, wie sie schon jetzt in Bremerhaven ist. In der Seestadt fehlen inzwischen so viele Mediziner für Kinderheilkunde, dass eine Mutter eine Petition gestartet hat, die in wenigen Wochen von 1500 Menschen unterschrieben wurde. Sie fordern den Magistrat auf, Geld bereitzustellen, um Ärzte anzuwerben und den Standort attraktiver zu machen. Und die Kassenärztliche Vereinigung soll das flankieren.

Die beiden Blumenthaler Ärzte finden die Forderung gut. Auch sie haben eine. Schlage und Mühlig-Hofmann glauben, dass es helfen würde, wenn in Blumenthal ein medizinisches Versorgungszentrum geschaffen wird – eine Art Ärztehaus, bei dem die Stadt zur Bauherrin werden kann oder zur Trägerin. Oder zu beidem. Sie sind davon überzeugt, dass viele Mediziner unter einem Dach auch viel Interesse von außerhalb hervorrufen würde, im Stadtteil zu arbeiten. Zum Beispiel als Angestellter. Zum Beispiel in Teilzeit. Zum Beispiel in einem Team, zu dem auch Sozialarbeiter und internationale Fachkräfte gehören, weil es in den Praxen schon lange nicht mehr nur um Medizin geht und um Patienten, die ausschließlich deutsch sprechen.

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Auch Unionspolitiker Bensch verspricht sich viel von einem medizinischen Versorgungszentrum. Doch hält er es für ausgeschlossen, dass im nächsten Haushalt dafür Mittel da sein werden. Und dass es so schnell kommen kann, wie es kommen müsste, damit die Probleme in Blumenthal in den nächsten Jahren nicht so groß werden, wie es Ärzte befürchten. Bensch findet, dass sich Bremen nicht allein auf den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung zurückziehen sollte. Er plädiert dafür, dass sich die Behörde mehr einbringt und die medizinische Versorgung neu denkt, damit die Verhältnisse nicht überall so werden, wie sie in Bremerhaven inzwischen sind. Wegen des Ärztemangels werden die Mitglieder der Gesundheitsdeputation im Juni in der Seestadt tagen.

Kristin Viezens erklärt, dass dem Ressort die Situation der Ärzte bewusst ist – und dass es deshalb gegensteuert. Nach Angaben der Sprecherin von Gesundheitssenatorin Bernhard gibt es mehrere Projekte und Konzepte, um die Mediziner zu entlasten. Dazu zählt sie die Gesundheitsfachkräfte in den Quartieren, neue Anlaufstellen wie das Hebammenzentrum und eben den Plan, ein medizinisches Versorgungszentrum zu schaffen, das unter kommunaler Trägerschaft steht. Wegen der angespannten Haushaltslage kann Viezens jedoch weder sagen, wann es kommt, noch wo es gebaut wird. Was sie sagen kann, ist nur: Bei der Standortentscheidung wird es eine Rolle spielen, welches Gebiet die meisten Probleme hat.

Dass die Antwort auf den Brandbrief erst jetzt an die Kinderärzte gegangen ist, bedauert die Behörde nach ihren Worten sehr. Laut Viezens ist der Bürofehler durch einen Personalwechsel entstanden: Das Schreiben der Mediziner ist nicht weitergeleitet worden.

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