Halsschmerzen, Schürfwunden, Fieber: Frank Wösten hat in der Notaufnahme schon immer mit Patienten zu tun gehabt, die keine echten Notfälle sind – doch jetzt kommen immer mehr Menschen mit Halsschmerzen, Schürfwunden und Fieber zu ihm, weil sie sonst nicht wissen, wohin. Die sagen, dass sie keinen Hausarzt haben und dass irgendjemand sie doch behandeln muss. Seit Jahren geht das so. Erst kamen zwei bis drei die Woche, inzwischen kommen ein bis zwei am Tag. Der Chef der Notaufnahme und ärztliche Direktor des Nordbremer Klinikums ist nicht der einzige Mediziner, der das erlebt.
An diesem Morgen waren zwei Männer bei ihm, die über Husten klagten, der nicht weggehen will. Sie sagten, dass sie ihn seit zwei Wochen haben, aber keinen Hausarzt, der sie untersuchen könnte. Die Männer meinten, es bei mehreren Praxen probiert zu haben. Doch bei allen habe es nur geheißen, dass neue Patienten momentan nicht aufgenommen werden. Wösten kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es tatsächlich so war, wie es die beiden Männer geschildert haben. Was der Chefmediziner des Krankenhauses aber mit Sicherheit weiß, ist: Die Taschentücher, in die sie husteten, waren rot vor Blut.
Immer mehr Menschen haben keinen Hausarzt
Echte Notfälle waren sie trotzdem nicht. Das hat Wösten ihnen auch gesagt. Und dass sie deshalb warten müssten, bis die Patienten mit schwerwiegenderen Symptomen behandelt sind. Später, nachdem die Männer geröntgt waren, erklärte er ihnen, was er allen erklärt, die als Patient ohne Hausarzt kommen: dass er ihnen keine Tabletten für eine Langzeittherapie verschreiben und sie auch nicht an einen Facharzt überweisen könne, weil das Klinikärzte nicht dürfen. Darum riet er ihnen, am Abend wiederzukommen und den Bereitschaftsdienst der Kassenärzte aufzusuchen, der gleich neben der Notaufnahme ist. Quasi einen Flur weiter.
Wösten führt keine Statistik darüber, wie oft Menschen ins Krankenhaus an der Hammersbecker Straße kommen und sagen, dass sie keinen Hausarzt haben. Doch seiner Einschätzung nach nimmt ihre Zahl seit Jahren, seit es wiederholt vorgekommen ist, dass Blumenthaler Allgemeinmediziner einen Praxisnachfolger suchten, aber keinen fanden, kontinuierlich zu. Auch Michel Gabert meint das. Der Hausarzt erlebt es inzwischen immer öfter, dass er und seine Kollegen während ihres Bereitschaftsdienstes bei der Kassenärztlichen Vereinigung von Patienten gefragt werden, ob sie nicht in ihren Praxen aufgenommen werden können.
Gabert, Chef der Kommission, die für den Dienst zuständig ist, hat sich erst in der Vorwoche mit anderen Kassenärzten ausgetauscht. Die beiden beherrschenden Gesprächsthemen: Immer weniger Mediziner in speziellen Quartieren und Patienten ohne Hausarzt. Auf die Fragen von Menschen, die zu ihm in den Bereitschaftsdienst kommen, muss er schon seit Längerem immer gleich antworten: Nein, auch die Praxis, in der er arbeitet, hat einen Aufnahmestopp verhängt. Sie ist in Lüssum-Bockhorn, einem Ortsteil, den Gabert für unterversorgt hält, obwohl die Vereinigung der Kassenärzte sagt, dass es in Bremen eine Überversorgung gibt.
Anrufe bei Hotline des Patientenservice nehmen zu
Er fände es darum besser, wenn die Vereinigung umdenken und den Bedarfsplan für die Stadt kleinteiliger ausarbeiten würde. Nicht nur die bremenweite Versorgung mit Praxen muss ihm zufolge stimmen, sondern auch die in jedem Stadtteil, Ortsteil und Quartier. Gabert tritt damit für etwas ein, was immer wieder gefordert wurde. Zum Beispiel von Ärztegruppen. Zum Beispiel von Senatoren. Nur, fragt die Kassenärztliche Vereinigung, was nützt es zu wissen, dass in einem Viertel weniger Ärzte sind als in einem anderen, wenn man keinen Mediziner zwingen kann, in diesem oder jenem Wohngebiet eine Praxis zu eröffnen.
Nach Rechnung von Gabert gibt es im Bremer Norden 128 Allgemeinmediziner und Fachärzte, von denen 35 im Pool des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes sind. Ihm zufolge ist dieser Wert seit Jahren konstant. Anders als die Zahl der Patienten, die von den Bereitschaftsärzten nach Dienstschluss der Praxen behandelt werden. Mit Ausnahme einiger Schwankungen und der beiden vergangenen Corona-Jahre ist sie gestiegen: von 8754 Behandlungen in 2014 auf 11.290 in 2019. Beim Bereitschaftsdienst für Kinder gibt es ebenfalls ein Plus. Hier ging es im selben Zeitraum von 3302 Fälle auf 4023 rauf.
Christoph Fox hat noch mehr Ziffern, die größer werden. Seit Jahren registriert der Sprecher der Vereinigung der Kassenärzte mehr Anrufe bei der Hotline des Patientenservice. Nahmen 2014 noch 14.071 Menschen telefonisch Kontakt zu ihm auf, waren es 2019 schon 37.694 und in den beiden vergangenen Corona-Jahren mal knapp über, mal knapp unter 100.000 Personen. Fox sagt auch, was aus der Statistik nicht hervorgeht: Dass unter den Anrufern immer mehr Leute sind, die nach Hausärzten und freien Kapazitäten fragen – auch wenn die Servicenummer dafür gar nicht eingerichtet worden ist.