Mal etwas weniger kritisch auf die Bremer Innenstadt-Experimente zu gucken, das wünschte sich Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) am Mittwochabend in ihrer Begrüßungsrede in der Kunsthalle. Unter dem Titel "Welche Innenstädte wollen wir?" hatte die Wirtschaftsförderung in Kooperation mit dem Stadtentwicklungsmagazin "Polis" zur mittlerweile vierten "Polis Keynote" eingeladen. Das Format will Austausch rund um die Themen Stadtentwicklung und Immobilienbranche suchen und bieten. Was Vogt als Wunsch an die Stadtgesellschaft formulierte, nutzten die auswärtigen Gäste, angereist aus Starnberg, Berlin und Hamburg, gern als Aufhänger, um die aus ihrer Sicht bereits gut vorangeschrittene Entwicklung der Bremer Innenstadt zu loben.
Auch wenn so manches andernorts realisierte Projekt zur Sprache kam – unter anderem die bemerkenswerte, als künstlerische Zwischennutzung angelegte magentafarbene Mega-Treppe, die es den Starnbergern ermöglicht, über einen meterhohen Bahndamm hinweg auf ihren See zu schauen – ging es an dem Abend um Grundsätzlicheres.
Michael Ehret, Projekt- und Quartiersentwickler und Investor, kritisierte die "excelbasierte Innenstadt", in ihrer Entwicklung vom Wunsch nach Rendite getrieben. Wer allein auf der Suche nach dem Maximalprofit sei und diesen als einzigen Maßstab für die Entscheidung seiner Mieterauswahl anlege, denke nicht im Kontext der gesamten Innenstadt. Die Grundannahme, ein Ladenlokal oder ein Gebäude an einen einzigen Mieter für eine einzige Nutzung abzugeben, müsse überdacht werden: Warum nicht aus einer Fläche vormittags ein Yoga-Studio, am Nachmittag einen Konferenzraum und am Abend einen Kursort für die Sprachschule machen?

Neben den beiden Hauptrednern Julian Petrin (l.) und Michael Ehret (2.v.l.) diskutierten auch Elena Dellasega (M.) und Johannes Busmann (r.) auf dem Podium, moderiert von Alexander Gutzmer.
Die Verzahnung von Immobilien mit dem öffentlichen Raum, die Zukunft der Erdgeschosse – traditionell als Ladengeschäfte ausgelegt, inzwischen oft genug leerer Raum, auf dem sich Lager- und Büroetagen türmen –, die Frage, welche Räume für alle eine Innenstadt bieten muss, wenn die Kosten für die privaten Räume weiter steigen: All dies, meint Ehret, muss wichtiger sein als die reine Renditeüberlegung.
Wohnen am Puls der Dinge
Julian Petrin, Mitgründer des Hamburger Stadtentwicklungsbüros Urbanista, schaut ebenfalls auf das, was eine Innenstadt bieten können sollte – auch mit Blick auf das, was sie einst geboten hat. "Jede Innenstadt gibt ein Versprechen", ist seine Überzeugung. Und dieses Versprechen steht auf sechs Säulen, die idealerweise ein gelingendes Zentrum balancieren. Petrin spricht von der althergebrachten Faszination, in der Stadt die Waren der Welt kaufen zu können, dort zu arbeiten, wo das ökonomische Herz pulsiert, und dort seine Zeit zu verbringen, wo man etwas erleben kann.
Neben Handel, Arbeit, Kultur und Freizeit soll das Zentrum Petrin zufolge aber noch mehr bieten können: Es soll das Versprechen einlösen, am Puls der Dinge zu leben, der ideale Ausgangs- und Ankommenspunkt zu sein, und schließlich ein Ort der bürgerschaftlichen Identifikation und der Teilhabe im politischen Sinne. Als Wohnort, als Mobilitätsknotenpunkt und politisches Zentrum erhält die Innenstadt damit weitere Funktionen.
Dieses Zusammenspiel habe gelitten, der Handel sei zur mit Abstand größten Säule emporgeschossen, der Bereich des Wohnens hingegen stark geschrumpft. Aus dieser Perspektive forderte Petrin, Projekte zu stärken, die verschiedene dieser Säulen verknüpfen und unterschiedlichen Nutzungen nebeneinander Raum bieten. So etwas wie das Groninger Forum zum Beispiel, das Bibliothek, Kino, Museum und Café verbindet, oder Gebäude, in denen Büros, Wohnungen und ein Bürgerzentrum Platz finden. Eine Lehre seinerseits: "Kuratieren statt managen, ermöglichen statt planen" – und als Politik auch mal die Kontrolle abgeben.