Die Luft wird dünner für die fünf Angeklagten im Landgerichtsprozess um eine zweitägige Geiselnahme im April 2016 in Huchting. Dabei schien sich alles in ihrem Sinne zu entwickeln, nachdem das 50-jährige Opfer als Hauptbelastungszeuge Ende August völlig überraschend die Aussage verweigert hatte. Und mit ihm auch noch andere Zeugen. Dass ihr Schweigen erkauft worden sein könnte, stand bereits beim letzten Verhandlungstermin im Raum. Doch nun hat sich der böse Verdacht erhärtet: Der Vorsitzende Richter Thorsten Prange nutzte die Anträge der Verteidiger auf Haftverschonung, um ausführlich aus Telefonmitschnitten und SMS-Protokollen zu zitieren – und auf dieser Grundlage sämtliche Anträge wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr abzulehnen.
Laut Prange weisen die abgehörten Gespräche auf massiven Druck auf die Zeugen hin. Um einen 68-Jährigen werde man sich „kümmern“, hieß es in einem Telefonat. Tatsächlich erschien der Zeuge nicht vor Gericht. Umgekehrt scheint auch das Opfer der Geiselnahme beachtliches Verhandlungsgeschick entwickelt zu haben. Den Telefonmitschnitten ist zu entnehmen, dass die Ex-Geisel anfangs 250 000 Euro von jedem Tatbeteiligten verlangte.
Eine Forderung, die bei seinen Verhandlungspartnern einigen Unmut hervorrief. „Dann hat der Typ alles verdient, was ihm geschehen ist“, zitierte Prange die Gegenseite. Die wollte zunächst offenbar nicht mehr als 70 000 Euro springen lassen. Schließlich scheint man sich auf 150 000 Euro verständigt zu haben. Dazu der süffisante Kommentar des Vorsitzenden Richters: „Verhandlungen über Entschädigungsleistungen sind nicht untersagt. Aber wenn solche Zahlungen Aussagen von Zeugen bestimmen sollen, dann ist das eine unzulässige Einflussnahme.“
Zeugen möglicherweise vorbereitet worden
Besonders pikant: Nach den Telefonmitschnitten scheint es, als seien mehrere Zeugen in einer Anwaltskanzlei auf ihren Auftritt vor Gericht vorbereitet worden. Erhielt doch einer der Abgehörten die Anweisung, drei Zeugen „zum Anwalt zu bringen, um ihnen beizubringen, wie sie vor Gericht sprechen sollen“. Es gibt auch gute Gründe für die Annahme, dass in der Kanzlei die gütliche Einigung zwischen dem Zeugen und seinen Peinigern schriftlich besiegelt werden sollte. Ein Vermittler erklärte laut Mitschnitt, es sei „alles gut gelaufen“. Dabei spielte auch die bange Frage eine Rolle, ob Richter Prange Lunte gerochen habe.
Für das Gericht gibt es auch ohne Zeugen keinen Grund, den Prozess einzustellen. Die Telefonmitschnitte der österreichischen Behörden, wo das Geiselopfer wegen Drogenhandels zu einer 18-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, spielen Prange in die Hand. Ebenso wie die Mitschnitte der Bremer Staatsanwaltschaft, die bei Ermittlungen gegen einen türkisch-kurdische Drogenhändlerring als „Zufallserkenntnis“ nähere Aufschlüsse zum Fall des Geiselopfers ans Licht brachten. Den Antrag der Verteidigung, zur Sichtung der Mitschnitte die Verhandlung auszusetzen, schmetterte Prange ab.
Das Geiselopfer war im April 2016 geschlagen und gedemütigt worden. Kurz zuvor hatte er sich am Überfall auf eine Teestube in Huchting beteiligt. Angeblich im Auftrag eines Mannes, der sich beim illegalen Glücksspiel in der Teestube betrogen fühlte und sich so sein Geld zurückholen wollte. Die fünf Angeklagten sollen ihr Opfer entführt haben, um Informationen über seine Hintermänner in Erfahrung zu bringen. Die Verhandlung wird am Dienstag, 25. September, um 9.15 Uhr fortgesetzt.