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Bremer Kriminalitätshotspot Polizei am Hillmannplatz: „Aber was ist, wenn Sie wieder weg sind?“

Seit gut vier Wochen tun Beamte in den Polizei-Containern am Hillmannplatz ihren Dienst. Wir haben zwei Polizisten auf ihrer Runde durch das Quartier begleitet und um eine erste Bilanz gebeten.
02.10.2024, 05:00 Uhr
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Polizei am Hillmannplatz: „Aber was ist, wenn Sie wieder weg sind?“
Von Marc Hagedorn

Die beiden Polizisten kommen keine fünf Meter weit, da werden sie schon zum ersten Mal angesprochen. Ein älterer Herr stellt sich ihnen in den Weg und sagt: „Ich bin einer von denen, die sich beschwert haben.“ Falk Böhm erinnert sich selbstverständlich. Er hat mit dem Mann erst vor Kurzem über die Situation am Hillmannplatz gesprochen und ihm bei der Gelegenheit auch gleich seine E-Mail-Adresse gegeben. Der Herr freut sich nun, dass er einen Ansprechpartner bei der Polizei hat. Das gibt ihm fürs Erste ein besseres Gefühl.

Für das Gefühl von Sicherheit

Genau das ist eine Aufgabe, die Falk Böhm und sein Kollege Stephan Clemens an diesem Tag haben. Sie sollen den Menschen ein Gefühl von Sicherheit geben, von dem man annehmen muss, dass viele es in den vergangenen Monaten verloren haben. Ganz sicher gilt das für die Veranstalter des Weinsommers, die in diesem Jahr ihr Fest nicht mehr auf dem Hillmannplatz ausgerichtet haben, weil sie Sicherheitsbedenken hatten. Der Befund trifft auch auf mehrere Anlieger zu, die in den vergangenen Wochen in Leserbriefen ihre Sorge um die Zukunft des Platzes geäußert haben.

470 Straftaten hatte die Polizei an diesem Ort im Jahr 2021 registriert, rund 650 waren es 2022, fast 1000 im vergangenen Jahr. Anwohner und Geschäftsinhaber haben sich im November zusammengetan und einen privaten Sicherheitsdienst engagiert, der in den Nächten am Wochenende im Einsatz ist. Und jetzt ist auch noch die Polizei auf den Hillmannplatz gezogen.

Böhm und Clemens gehören zu den Beamten, die seit gut vier Wochen werktags in zwei Schichten und am Wochenende auch in Nachtschicht Dienst in dem blauen Container mit der Aufschrift Polizei tun. An diesem Tag gehen sie mit dem WESER-KURIER auf Streife. Wie hat sich die Situation rund um den Hillmannplatz in den vergangenen Wochen verändert? „Es ist besser geworden“, sagt der Herr, der die beiden Polizisten angesprochen hat, „aber was ist, wenn Sie wieder weg sind?“

Böhm, 56, und Clemens, 42, sind zu lange dabei, als dass sie sich falsche Hoffnungen und den Bürgern falsche Versprechungen machen würden. „Unsere Klientel hat ja nicht aufgehört zu existieren, es gibt sie noch“, sagt Böhm, „sie hält sich jetzt nur an einem anderen Ort in der Stadt auf.“ Die Klientel, das sind Junkies und alkoholkranke Menschen, Dealer und Diebe. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an einen Ort wie den Hillmannplatz zurückkehren, wenn die Polizei hier nicht mehr so präsent sein sollte wie im Moment, ist sehr hoch.

Die Sucht schläft nie

„Wir fangen dort an“, sagt Clemens und zeigt Richtung Contrescarpe. Gut eineinhalb Stunden werden er und sein Kollege an diesem Vormittag zu Fuß unterwegs sein und ein Areal zwischen Wallanlagen, Bürgermeister-Smidt-Straße, Breitenweg und Auf der Brake abschreiten. Was sie erwartet, wissen sie nicht. „Jeder Tag ist anders“, sagt Böhm. Das liegt auch daran, dass die Sucht nie schläft, ihr ist es egal, ob es wie heute Montagmorgen ist oder Freitagnacht. Die Sucht hält die Szene in Bewegung. Tatsächlich begegnen Böhm und Clemens auf ihrer Runde einigen Gesichtern mehrmals.

„Ein Splitter Crack kostet fünf Euro“, sagt Clemens, „der Stoff wirkt vielleicht für 15 bis 30 Minuten. Das heißt, dass die Konsumenten zehn Euro pro Stunde benötigen.“ Manchmal lässt der Stoff die Abhängigen tagelang nicht zur Ruhe kommen. „Da können Sie ja mal ausrechnen, über welche Summen wir hier sprechen“, sagt Böhm. Dafür prostituieren sich einige, andere betteln oder stehlen.

Böhm und Clemens sind Kops, so nennt die Bremer Polizei Beamte, die als Kontaktpolizisten in den Stadtteilen ganz nah am Bürger sind. Sie haben ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte, „wir begegnen allen Menschen auf Augenhöhe“, sagt Böhm. Genauso treten sie an diesem Tag auch rund um den Hillmannplatz auf.

Am Gebäude der Stadtsparkasse sitzt eine Bettlerin. Die junge Frau redet ohne Punkt und Komma, vermutlich auf rumänisch oder bulgarisch. „Alles gut bei Ihnen?“, fragt Clemens. Die Frau schaut auf, Clemens wiederholt seine Frage: „Alles okay?“ Daraufhin nestelt die Frau an ihrem Kopftuch und fingert ein Handy heraus, das sie gut versteckt ans Ohr geklemmt hat. Deshalb redet sie so viel. Bevor sich Clemens verabschiedet, reicht er der Frau noch ein Faltblatt, den sogenannten Sozialstadtplan, der alle Angebote für Menschen mit wenig Geld und ohne Wohnung auflistet: Notunterkünfte, Kleiderkammern, medizinische Hilfen, Duschmöglichkeiten, Drogen- und Suchthilfe.

Ein Aufgebot an Uniformierten

Man kann nicht sagen, dass an diesem Vormittag wenig Uniformierte in der Bahnhofsvorstadt unterwegs wären. Das Ordnungsamt hat einen mobilen Einsatzcontainer an der MOIN-Skulptur in den Wallanlagen aufgestellt. Ein zweiter Polizei-Container steht am Tivoli-Hochhaus am Bahnhofsplatz. Und dann sind zur selben Zeit auch noch Mitarbeiter der sogenannten Taskforce aus uniformierten und zivilen Beamten der Polizei und des Ordnungsdienstes unterwegs. Als Böhm und Clemens eine offensichtlich drogenabhängige Frau und einen Mann im Rollstuhl ansprechen wollen, winkt die Frau ab. „Die Kollegen waren doch gerade erst hier.“

Rechnet man die Videoüberwachung am Hillmannplatz, die Soko „Junge Räuber“ und die sogenannten Vierer-Streifen aus Bundespolizei, Polizei, Ordnungsdienst und der DB Sicherheit am Hauptbahnhof dazu, kommt man auf ein umfassendes Maßnahmenpaket, das das SPD-geführte Innenressort von Senator Ulrich Mäurer geschnürt hat. Konkrete Zahlen zur Sicherheit am Hillmannplatz kann die Polizei zwar noch nicht nennen, was eine Sprecherin gut vier Wochen nach Aufstellen des Containers aber sagen kann: „Delikte wie Körperverletzung und Autoaufbrüche gehen zurück.“

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Gestritten wird über den Preis für die geballte Behördenoffensive. Böhm und Clemens zum Beispiel fehlen während ihrer Dienste am Hillmannplatz an zwei Tagen in der Woche an ihren eigentlichen Einsatzorten, das sind die Straßen in der Altstadt und im Stephaniviertel, in Peterswerder und in Hulsberg. Als Kops gehen sie auch in Schulen, machen dort Gewaltprävention und kümmern sich um die Schulwegsicherheit. In Altenheimen klären sie über die Tricks von Betrügern bei Schockanrufen auf. „Irgendetwas davon bleibt auf der Strecke“, sagt Clemens, „man fühlt sich zerrissen.“

Zuletzt hatte die Polizeigewerkschaft die spartanische Ausstattung der Container kritisiert. „Die Kollegen am Tivoli-Hochhaus haben nicht mal Strom für eine Kaffeemaschine“, sagt Böhm, der sich nicht vorstellen mag, wie kalt es im Winter ohne Heizung dort wird. Als Toiletten dienen Dixi-Klos. „Wir haben am Hillmannplatz das Glück, dass uns einige Geschäftsinhaber ihre Toiletten benutzen lassen.“

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Beifang auf der Runde

Böhm und Clemens machen auf ihrer Runde durch die Stadt viel Beifang. Clemens stellt immer wieder E-Roller zur Seite, die mitten auf dem Gehweg abgestellt worden sind. Am Café Papagei ist ein Bauzaun umgekippt, den Hinweis geben die Beamten sofort an die benachbarte Baubehörde weiter. An der Ecke Bürgermeister-Smidt-Straße/Birkenstraße fotografiert Böhm eine Müllhalde und meldet den Fund über die Mängelmelder-App, damit der Dreck – vollgestopfte Säcke, aufgeplatzte Dosen und aufgeweichte Kartons – beseitigt werden.

Am Theaterberg trinken zwei Männer Bier aus Dosen und Schnaps aus Flaschen. „Meister, ist das hier verboten oder was?“, ruft einer der beiden, als Böhm sich ihnen nähert. „Nein, ist nicht verboten, ist ja kein Spielplatz“, sagt Böhm, „aber räumt bitte hinterher den Müll weg.“ „Machen wir immer“, antwortet der eine, „ich habe doch selbst zwei Kinder.“ „Ihr könnt sonst auch zum Nelson-Mandela-Platz gehen“, schlägt Böhm vor. „Nee, nee, lass‘ mal“, sagt der andere, „da sind doch nur die völlig Durchgeknallten. Wir müssen gleich noch zur Arbeit.“ Bei diesen Worten müssen Böhm und Clemens schmunzeln. Manchmal werden auch sie noch überrascht.

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