Noch immer kann Ina Hora kaum fassen, was sich am Sonnabend kurz nach dem Werderspiel gegen Schalke 04 in ihrer Gaststätte ereignet hat. Die Eckkneipe „Die Uhr“ an der Einmündung der Stader Straße in die Hamburger Straße ist nach eigener Darstellung ein „gemütliches Lokal“ nur zehn Fußminuten vom Weserstadion entfernt. „Meine Gäste sind Pi mal Daumen Ü 50“, sagt Ina Hora. „Die feiern auch, wenn Werder verliert. Das sind alles normale Menschen.“
Doch am Samstag war plötzlich alles anders. „Auf einmal war die Polizei da und hat den Laden dicht gemacht“, berichtet die Wirtin. Es sei alles abgesperrt gewesen, niemand habe das Lokal verlassen dürfen. Der Grund: Die Polizei vermutete in der Kneipe einige der Männer, die kurz zuvor einen 47-jährigen Schalke-Anhänger und seinen 20-jährigen Sohn angegriffen hatten. Der Vater wurde dabei schwer verletzt, der Sohn kam mit Blessuren davon. Die Polizei durchsuchte die Gaststätte und nahm nach eigenen Angaben 21 „tatverdächtige Männer“ fest, bei denen Mundschutz und Sturmhauben gefunden wurden.
Ina Hora war von der Polizeiaktion „völlig überrumpelt“. Noch immer sitzt ihr der Schreck in den Knochen, derlei hat sie zuvor noch nie erlebt. Sie betont, die Polizisten hätten sich absolut korrekt verhalten. „Die kamen rein, haben die Situation erklärt, und ich habe ihnen alles gezeigt. Ich bin die Letzte, die da nicht kooperiert.“ Nach ihrem Empfinden dauerte die Untersuchung ein bis zwei Stunden. In der drangvollen Enge habe sie nicht wahrgenommen, dass jemand aus ihrem Lokal abgeführt worden sei. Dass es 21 Männer gewesen sein sollen, erscheint ihr allerdings kaum möglich. „Bei so vielen wäre mein Laden zu drei Vierteln leer gewesen.“
Unterdessen laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung und eines besonders schweren Falls von Landfriedensbruch. Es sei aber noch „viel zu früh“, um bereits jetzt erste Erkenntnisse mitzuteilen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Passade. Damit sei frühestens im Laufe der Woche zu rechnen, wenn ein Ermittlungserfolg präsentiert werden könne.
Spekulationen um Ultrakneipe
Laut Polizei gehörten Vater und Sohn zu einer etwa zehnköpfigen Gruppe von Gästefans, die durch die Stader Straße ging. Nach Information von Schalke 04 kam sie an einer Kneipe der Werder-Ultras „Wanderers“ vorbei. Ob es einen Zusammenhang gebe, ist einer Schalke-Sprecherin zufolge aber unklar. „Das ist pure Spekulation.“
Zu dem schwer verletzten Mann, der noch immer in einem Bremer Krankenhaus liegen soll, hat der Verein keinen Kontakt, noch nicht einmal die Namen von Vater und Sohn seien bekannt. Inzwischen stehe man aber mit dem SV Werder in Verbindung. „Es gibt Überlegungen, gemeinsam etwas für den Mann zu machen. Und das soll mehr sein als nur eine Karte.“ Gern würde Schalke auch den Sohn unterstützen, der bei seinem Vater ausharre und sicher Hilfe in der fremden Stadt gebrauchen könne.
Zum Auswärtsspiel in Bremen waren laut Innenressort 4900 Gästefans angereist, darunter 360 gewaltbereite und 65 gewaltsuchende Personen. Bereits im Vorfeld hatte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) die Begegnung als Risikospiel eingestuft und ein Fanmarschverbot angeordnet. Konkret bedeutet das: Die Polizei setzte für die Schalke-Anhänger, die per Bahn aus Gelsenkirchen eingetroffen waren, einen Bus-Shuttle vom Hauptbahnhof zum Stadion und wieder zurück ein. Insgesamt wurden auf diese Weise rund 1000 Personen befördert.
Die attackierten Schalke-Anhänger waren eigenständig unterwegs. Der Polizei zufolge stürmten 20 bis 30 größtenteils vermummte Personen aus einer Gaststätte auf die Gruppe zu und griffen zunächst den Sohn an. Nach Zeugenaussagen trugen diverse Angreifer einen Mundschutz und Quarzhandschuhe, die durch ihre Sandfüllung die Schlagkraft verstärken, einige hätten ihr Gesicht hinter Werder-Schals verborgen. Der Vater sei dazwischen gegangen und dann selbst geschlagen worden. Auch, als er schon zu Boden gegangen war, sei noch auf ihn eingetreten worden.
Der Einsatz der Polizisten vor Ort war nach Kenntnis der Schalke-Sprecherin eigentlich schon beendet, die Beamten seien zufällig am Ort des Geschehens vorbeigekommen. Die Polizei sei „bestens aufgestellt“ gewesen und habe den Einsatz „gut abgearbeitet“, sagt eine Sprecherin des Innenressorts.
Beweggründe unklar
Was die Werder-Fans bewogen haben könnte, die Schalker Fan-Gruppe zu attackieren, liegt derzeit völlig im Dunkeln. Die Ultraszene gilt als hermetisch abgeriegelt. Wegen des Streits um die Umbenennung des Weserstadions in „Wohninvest Weserstadion“ gibt es derzeit keine Kommunikationskanäle zum Verein. Das erklärte Werder-Aufsichtsratschef Marco Bode kürzlich in einem Interview. Spekulationen über einen Hooligan-Hintergrund der Gästefans haben sich bislang nicht konkretisiert.
Um die Tat aufzuklären, arbeiten szenekundige Polizeibeamte aus Bremen und Gelsenkirchen zusammen. Dabei finde ein intensiver Austausch über die Fan-Gruppen statt, sagte eine Bremer Polizeisprecherin. Der länderübergreifende Polizeikontakt ist keine Reaktion auf den jüngsten Zwischenfall, sondern eine Dauereinrichtung. Derweil will das Innenressort erst einmal die laufenden Ermittlungen abwarten, bevor es eine konzeptionelle Bewertung anderer Risikospiele gibt.
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