Die Nachricht, dass für Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt für das zweite Halbjahr 2024 durch einen Buchungsfehler beim Jobcenter Bremen kein Geld mehr zur Verfügung steht, hat bei den Trägern und deren Beschäftigten im Bremer Südosten für große Verunsicherung gesorgt. Sie fürchten den Verlust des sozialen Zusammenhalts und drohende Perspektivlosigkeit in den Quartieren.
Bürger nutzen Angebote
Es ist eine Liste, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit hat: Die Bremer Tafel in Hemelingen, das Mütterzentrum in Tenever, das Mobile in Hemelingen, der Kinderbauernhof in Tenever, das Familien- und Quartierszentrum in der Vahr und das Bürgerzentrum Neue Vahr – das sind nur einige Einrichtungen im Bremer Südosten, die in der einen oder anderen Form Arbeitsgelegenheiten und Qualifizierungen anbieten. Tausende Bürger nutzen die Angebote, die zum Teil nur durch diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen existieren.

Anne Higgen sieht in Arbeitsmarktmaßnahmen einen Mehrwert für alle Bürgerinnen und Bürger.
"Der erste Gedanke war: Katastrophe", beschreibt Claudia Schlosser vom Mütterzentrum Tenever die Nachricht vom Buchungsfehler beim Jobcenter. Derzeit sind beim Mütterzentrum 23 Beschäftigte in sogenannten AGH-Maßnahmen (Arbeitsgelegenheiten, früher: Ein-Euro-Job) angestellt.
Der zweite Gedanke sei gewesen, was nun mit den Angeboten für die Bewohner Tenevers geschehe. "Wir haben 12.000 Kontakte mit unseren Angeboten, wenn so etwas wegbricht, dann ist das auch für den Stadtteil eine Katastrophe."
Viele Menschen lebten in Armut, und Tenever sei stark von Migration geprägt. "Das führt dazu, dass kulturelle Regeln nicht bekannt sind oder auch, dass die Sprache nicht so richtig sitzt." Viele könnten sich Fort- und Weiterbildungen nicht leisten oder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. "Viele sitzen also zu Hause und können sich nicht nach außen öffnen." Davon betroffen seien besonders Frauen, wenn sie sich noch um die Familie kümmerten.
Maßnahmen als gesellschaftlicher Kitt
"Über unsere Angebote bieten wir Kontaktmöglichkeiten", erklärt Schlosser. Die AGH-Maßnahmen führten Menschen niedrigschwellig an Arbeit heran. Neben jungen Menschen, die Aussicht haben, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, würden auch Menschen beschäftigt, die eher keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt haben – zum Beispiel durch Erkrankungen. "Auch für diese Menschen ist die Arbeit wichtig, weil sie darin einen Sinn finden und Selbstwirksamkeit erfahren", sagt Schlosser.
Ähnlich sieht es Astrid Eggerking vom Beschäftigungsträger Bras, der in Osterholz mehrere Projekte, unter anderem das Schweizer Café und die Fahrradwerkstatt auf dem Ellener Hof betreibt. "Das Schweizer Café ist zu einem echten Treffpunkt im Quartier geworden." Essen, Trinken und Veranstaltungen zu einem geringen Preis sind der Nutzen für die Bewohner des Quartiers. "Zum Kinderbauernhof können Kinder hingehen, bei denen die Eltern vielleicht nicht das Geld haben, um in den Zoo oder in den Urlaub zu fahren."
In beiden Projekten sind Menschen über andere Beschäftigungsmaßnahmen angestellt, aber auch diese Maßnahmen sind von den Kürzungen im Jobcenter betroffen. So seien anstehende Vertragsverlängerungen nicht mehr finanziert worden, sagt Eggerking. Die Betroffenen landen damit wieder beim Jobcenter. "Die fallen in ein Loch, und die Folgekosten dürften höher sein."
Die Frage, ob es sich die Gesellschaft leisten kann, das soziale Netz weiter zu zerschneiden, stellen auch Jobst von Schwarzkopf und Anne Higgen vom Arbeitersamariter Bund (ASB), der unter anderem im Café im Mehrgenerationenhaus Mobile in Hemelingen Menschen in AGH-Maßnahmen beschäftigt. "Die Maßnahmen sind sozialräumlich verankert", betont Schwarzkopf. Im Café wird nicht nur ein günstiges Essen für Gäste und Anwohner angeboten, sondern in Zusammenarbeit mit der Tafel auch ein kostenloses Schulfrühstück zubereitet. "Wir machen außerdem einen Fahrdienst für Seniorinnen und Senioren." Sprich: Die Maßnahmen wirken weit über das Teilnehmerfeld hinaus.
Projekte gesichert bis Jahresende
Inzwischen gibt es eine Lösung, die eine Weiterführung der meisten Projekte bis Ende des Jahres sichert. Allerdings: Dafür greift das Jobcenter Bremen auf Mittel des kommenden Jahres zu. Das heißt, dass das Problem verlagert, aber nicht grundsätzlich gelöst wird, denn mit dem noch zu verabschiedenden Bundeshaushalt droht die nächste Einsparrunde bei den Jobcentern.

Jobst von Schwarzkopf fragt sich, wie es mit Eingliederungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose weitergeht.
"Wir sind nur teilzufrieden", sagt Schwarzkopf. Denn bisher sei ungeklärt, wie es mit anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen neben den AGH-Maßnahmen weitergehe. Maßnahmen, über die der ASB in diesem Jahr vier Menschen in reguläre Arbeitsplätze bringen konnte. "Es ist nur ein Aufschub", sagt er dann auch mit Blick auf das Jahresende. "Bei den jetzigen Ergebnissen muss gestrichen und verkleinert werden." Für Hemelingen könnte dies bedeuten, dass das Schulfrühstück, der Fahrdienst oder auch die Öffnungszeiten des Kaufhaus Hemelingen eingestellt beziehungsweise eingeschränkt werden müssten.
Anne Higgen warnt: "Wenn Projekte erst einmal geschlossen sind, dann glaube ich nicht, dass sie wieder anlaufen können." Mit Blick auf das Café sagt sie: "Wir haben hier eine komplette Infrastruktur, die nicht einfach so wieder aufgebaut werden kann." Die Politik müsse jetzt Interesse zeigen. "Die Probleme, die entstehen, kommen nicht in Berlin an, die werden wir hier vor Ort sehen."
Drastischer drückt es Eggerking aus: Sollte es zu massiven Kürzungen kommen, drohe vielen Menschen in Tenever Perspektivlosigkeit. "Und dann wären wir dort, wo wir vor 20 Jahren waren", sagt sie mit Blick auf die eigentlich überwunden geglaubte Phase des Ortsteils als sozialer Brennpunkt.