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Daniel Magel über Hood Training Die Stadt als Sportplatz

Vor 20 Jahren hat Daniel Magel die Idee vom Hood Training in Tenever ins Leben gerufen. Heute ist die Initiative anerkannter Träger der Jugendhilfe und über die Straßen der Stadt hinaus bekannt.
25.10.2020, 05:00 Uhr
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Die Stadt als Sportplatz
Von Lisa Urlbauer

Herr Magel, was ist Hood Training?

Daniel Magel : Hood Training ist soziale Arbeit, Lifestyle und eine Bewegung. Wir haben ein großes Angebot an Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. Sie haben die Möglichkeit, an verschiedenen Sportangeboten teilzunehmen und Ausflüge in den Hip-Hop zu machen, zum Beispiel mit Graffiti-Workshops. Wir bieten Hood Training in Schulen und als Ferienangebote an, außerdem haben wir eine offene Jugendarbeit.

Welche Sportarten gibt es im Hood Training?

Wir haben Kampfsporttrainer, die zum Beispiel Boxen, Grappling und Ringen anbieten. Außerdem haben wir Leute, die Calisthenics machen. Das ist Kraftsport mit eigenem Körpergewicht, den man am Boden oder an verschiedenen Sportgeräten ausüben kann, und dabei Übungen wie Klimmzüge, Handstand oder Kniebeugen macht.

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Dafür haben Sie in mehreren Stadtteilen Sportplätze eingerichtet.

Calisthenics-Parks nennen die sich. Dort gibt es unter anderem Klimmzugstangen, Sprossenwände, Affenleitern, Holme und Barren.

Warum ist Hip-Hop Teil des Konzepts?

Hip-Hop hatte als Jugendlicher einen riesigen Einfluss auf mich. Das war Straßentheater für Jugendliche aus Tenever, die sich kein Theater leisten konnten. Die Bilder sind bis heute drin. Deswegen fand ich es mega wichtig, neben dem Sport auch Elemente wie Graffiti und Rap einzubringen und sie für Jugendliche zugänglich zu machen.

Wen wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

An erster Stelle stehen Jugendlichen, die sich ein Training sonst nicht leisten könnten. Jugendliche, die schwer erreichbar sind und oft kein Bock haben, die aus sozioökonomisch schwachen Familien kommen, in denen sich Eltern nicht viel kümmern. Aber wer kommt, der kommt – auch Professoren-Kinder können bei uns trainieren. Es geht um die Gemeinschaft. Wir wollen mit dem Sport verschiedene Gruppen miteinander in den Austausch bringen und damit auch Rassismus und so einen Scheiß abbauen.

Wo findet das Hood Training statt?

Uns gibt es verteilt über die Stadt: in Tenever, im Schweizer Viertel, in Gröpelingen, Huchting, Kattenturm, Vegesack und Lüssum. Plus Delmenhorst, Stuhr und Osterholz-Scharmbeck.

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Ein Franchise-Angebot haben Sie auch entwickelt.

In Berlin gibt es eine Gruppe, die gerade ihre eigene Rechtsform gründet. Noch läuft das über uns, aber in Zukunft wollen wir die Verantwortung abgeben. Genauso wie für München und für Nordrhein-Westfalen. Wir sind offen für alle: In Karlsruhe haben wir auch eine Gruppe, die wir unterstützen. Die will bis 2030 zehn Parks bauen und ein Angebot etablieren.

Sie sind also dabei, das Hood Training über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen.

Neben der Schule und der offenen Jugendarbeit machen wir auch Fortbildungen für Sozialarbeiter, Lehrer und Pädagogen. Letztens hat mich einer aus Tirol angerufen und gefragt, wann es dort endlich die Hood-Training-Fortbildung gibt. Wir sind gut unterwegs.

Hood Training als Teil sozialer Arbeit.

Letztes Jahr haben wir mit einem Verlag eine Broschüre veröffentlicht, die jetzt in den Universitäten in den Bibliotheken für Sozialpädagogik liegt. Wir haben auf sechs Seiten unser Konzept niedergeschrieben. Bei uns sind gerade auch drei Praktikanten eingesetzt, die soziale Arbeit studieren. Wir sind Wissenschaft, wir sind Pädagogik. Das ist eine große Sache.

Wie ist die Idee zu Hood Training entstanden?

1996 sind wir mit der Familie auch Kasachstan nach Tenever gekommen. Dort habe ich Gleichgesinnte getroffen, die auch den Drang hatten, etwas zu machen. 2000 haben wir gesagt, dass wir eine Initiative gründen wollen. Damals haben wir im Kessler-Block vor seinem Abriss Räumlichkeiten von der Gewoba bekommen und mussten nur Strom und Wasser zahlen, keine Miete. Wir haben uns dort niedergelassen und angefangen, Trainer zu akquirieren. Wir hatten zwei Boxtrainer, denen wir eine Aufwandsentschädigung gezahlt haben. Wir haben andere Kids dorthin gerufen und mit ihnen zusammen geboxt. Das war die Idee.

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Und die ist immer noch aktuell.

Wenn wir uns gemeinnützig machen und Geld organisieren, dann haben wir was davon, die Kids und der ganze Stadtteil. Das war der Gedanke, der damals entstanden ist und bis heute noch lebt. Mittlerweile sind wir ein anerkannter Jugendhilfeträger und im Wohlfahrtsverband der Diakonie untergekommen.

Wie viele Jugendliche sind aktuell bei Ihnen im Training?

Wir haben in diesem Jahr in der offenen Jugendarbeit bisher gut 50 Jungs und 35 Mädchen im Alter bis zwölf Jahre erreicht. Bei jungen Erwachsenen bis 27 Jahre sind es 100 Jungen und 65 Mädchen. Darüber hinaus gibt es eine globale Gemeinschaft: Wir haben Anhänger in Kasachstan, der Ukraine, den USA, in Belarus, Algerien, Marokko und weiteren Ländern.

Von Tenever raus in die Welt...

Das passiert über Calisthenics. Leute kommen auf Jams, auf verschiedene Veranstaltungen, zum Beispiel Freestyle-Meisterschaften, bei denen wir Kleidung und Geräte sponsern. Die Sieger nehmen die Sachen dann mit in ihre Länder und unterstützen uns auf ihren Social-Media-Kanälen, überwiegend Instagram. Darüber wächst die Bewegung.

Wo kommt Calisthenics her?

Calisthenics hat es weltweit schon immer gegeben. In Kasachstan haben wir in der Schule an Reck und Barren und an Ringen trainiert – Sowjet-Style. In den USA haben die Jungs und Mädchen in Parks gerappt und getanzt. In Verbindung mit der Musik wurde dann eins gegen eins gebattlet: Wer tanzt krasser? Wer kann mehr Liegestütze machen oder Klimmzüge? Das ist der Hip-Hop-Aspekt an dem Sport.

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Seit 20 Jahren arbeiten Sie am Hood Training – welchen Herausforderungen mussten Sie sich in den vergangenen Jahren stellen?

Stolpersteine gibt es genug. Aber „Fall down seven times, stand up eight“ ist das, was wir in der Halle predigen und was bei jedem dazugehört. Man muss immer weitermachen. Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken.

Worauf sind Sie am meisten stolz?

Auf die Kids, die es schaffen, aus schlimmen Verhältnissen herauszukommen. Ich habe zweieinhalb Jahre Vollzeit in der JVA im Jugendvollzug gearbeitet und darüber auch einige Jugendliche erreicht. Mit 40 bis 50 hatte ich zu tun und bis heute melden sich noch einige bei mir und sagen, dass sie immer noch durchziehen und ihr Leben auf die Reihe bekommen haben. Das sind Sätze, die mich stolz machen.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Wir haben einige Pläne. Wir wollen Austauschprojekte mit Jugendlichen aus anderen Ländern organisieren. Außerdem planen wir, ein Show-Team aufzubauen, mit dem wir auf Tour gehen. Mit Studenten aus dem Masterstudiengang Public Health haben wir einen Businessplan für eine Gesundheitsapp geschrieben. Dafür wollen wir Sponsoren und Förderer akquirieren. Für die ganzen Kids und Jugendlichen, die sich keine Fitnessapps leisten können. Eine Seelsorge wird auch integriert. Außerdem wollen wir ein Haus aufbauen, eine Akademie.

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Was für eine Akademie soll das werden?

Ein Ort, an dem Musik aufgenommen und produziert werden kann, wo Battles und Jams stattfinden, in dem es ein Atelier für Graffiti gibt und wo natürlich auch Sport gemacht wird. Für Kids und Jugendliche, die gefördert werden müssen. Das ist unsere Herzenssache. Viele haben immer gesagt, was umsonst ist, ist nichts wert. Aber das ist Bullshit.

Das Gespräch führte Lisa Urlbauer.

Zur Person

Zur Person

Daniel Magel (38) stammt gebürtig aus Kasachstan und ist im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie nach Deutschland gekommen. 2000 hat er mit einer Gruppe von Freunden in Tenever die Jugendinitiative Hood Work (auf Deutsch: Arbeit in der Nachbarschaft) gegründet. Seit September vergangenen Jahres ist Hood Training eine gemeinnützige GmbH und seit Mitte dieses Jahres anerkannt als freier Träger der Jugendhilfe in Bremen. Das Hood Training wird derzeit in sieben Stadtteilen angeboten, außerdem in Delmenhorst, Stuhr, Osterholz-Scharmbeck und Berlin.

Info

Zur Sache

Hip-Hop als urbane Jugendkultur

Die Hip-Hop-Kultur findet ihre Ursprünge in den 1970er-Jahren in den afro-, latino-, und karibisch-amerikanischen Nachbarschaften New York Citys. Vor allem in der Bronx, einem Stadtteil, der zunehmend der Verarmung und sozialer Segregation ausgeliefert war und zum Symbol des urbanen Verfalls in den USA wurde.

Verbreitet und kultiviert wurde Hip-Hop auf Straßenpartys, die sich über mehrere Häuserblöcke zogen. In den 1980er-Jahren erreichte Hip-Hip Europa. Die vier Elemente der Hip-Hop-Kultur sind Rap, DJing, Breakdance und Graffiti. Noch heute versteht sich Hip-Hop als Street Culture, also als Kultur, die größtenteils auf der Straße gelebt wird.

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