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Komplizierte Beratungen Wie Corona die Arbeit der Frauen- und Familienhilfe verändert hat

Das Coronavirus hat die Arbeit in der Frauen- und Familienhilfe verändert. Beratungen finden jetzt am Telefon sowie manchmal im Grünen statt.
10.08.2020, 05:00 Uhr
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Von Klaus Grunewald

Arbeitslosigkeit, wenig Geld und geringe zwischenmenschliche Distanz in zu kleinen Wohnungen: Das sind oft ideale Voraussetzungen für häusliche Streitereien und Gewalt. Und ganz besonders in Corona-Zeiten warnten Experten in den vergangenen Monaten von einem Anstieg der Fälle. Im kleinsten Bundesland, zumal im Bremer Norden, können diese Befürchtungen bislang nicht bestätigt werden, wie eine Nachfrage im autonomen Frauenhaus Bremen-Nord, im St. Theresienhaus am Grohner Markt sowie im Sozialressort ergab.

„Alle haben geglaubt, das Coronavirus werde die Lage für Menschen in schwierigen sozialen Verhältnissen verschlimmern“, sagt Bernd Schneider, Pressereferent der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport, Anja Stahmann. Doch weder Häufigkeit noch Schwere der Konflikte seien spürbar angestiegen, stellt er mit Blick auf die vergangenen Wochen und Monate fest.

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Natürlich habe die Pandemie die handgreiflichen Auseinandersetzungen in der Familie nicht verschwinden lassen, stellt Schneider klar. Was auch Susanne Eilers vom autonomen Frauenhaus Bremen-Nord unterstreicht. Allerdings sei die oft prognostizierte Zunahme an Gewalttätigkeiten gegenüber Frauen in Bremen-Nord nicht eingetreten. Diese Erfahrung hätten auch andere Einrichtungen in Bremen gemacht. Die Sozialpädagogin, die seit 18 Jahren im Frauenhaus arbeitet, kümmert sich momentan um acht Frauen und sieben Kinder.

Alle sind bereits vor geraumer Zeit wegen physischer und/oder psychischer Bedrohungen durch ihre Männer ins Frauenhaus geflohen. Eine Frau hält sich bereits seit zwei Jahren in der beschützenden Wohnung auf. Eilers: „Mehr Frauen könnten wir zurzeit gar nicht aufnehmen, mussten aber bislang auch keine Wünsche negativ beantworten.“ Es musste noch keine Frau abgewiesen werden.

Lange Telefonate

Dass die Corona-Pandemie nicht mehr Anfragen beim Frauenhaus Bremen-Nord als bisher ausgelöst hat, hat Susanne Eilers zwar überrascht, wie sie unumwunden einräumt. Dennoch sei die Arbeit nicht weniger und zudem komplizierter geworden. Die persönlichen Beratungsgespräche zum Beispiel würden zur Zeit nicht mehr stattfinden, um Kontakte mit potenzieller Ansteckungsgefahr zu vermeiden. Stattdessen führt Susanne Eilers vermehrt Telefongespräche, die nicht selten mal eine Stunde lang dauern können.

Auch die Vermittlung von Wohnungen für in Not geratene Frauen ist nach den Worten der Sozialpädagogin schwieriger geworden. Früher habe ein Gespräch bei einem Wohnungsunternehmen relativ schnell zum Ziel geführt, heute müsse der Kontakt in der Regel per E-Mail gesucht werden. Und das sei allein schon aufgrund der Nachfragen zeitaufwendiger. Susanne Eilers: „Der Arbeitsaufwand hat sich auch ohne den Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt erhöht.“

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Ebenso wie im nordbremischen Frauenhaus hat das Coronvirus für eine Änderung der Arbeitsabläufe bei der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Theresienhaus mit Hauptsitz am Grohner Markplatz gesorgt. Dessen Träger ist die Stiftung katholische Kinder- und Jugendhilfe im Bistum Hildesheim. Das St. Theresienhaus, so heißt es im Leitbild der Einrichtung, biete Kindern, Jugendlichen und deren Familien Unterstützungsangebote und neue Perspektiven auch vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Anforderungen an. Torsten Stellmann von der Geschäftsführung: „Bremen-Nord ist nach wie vor ein sozialer Brennpunkt und damit ein Schwerpunkt unserer Arbeit.“

Beratung im Grünen

Die aber vollzieht sich inzwischen häufig im „Grünen und unter freiem Himmel“, wie Stellmann erläutert. Damit meint er die regelmäßigen Beratungsgespräche mit Kindern, Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten. Sie stehen im Mittelpunkt der Betreuungsarbeit, sich an der Philosophie orientiert, Familien so zu stärken, dass Kinder und Eltern wieder miteinander auskommen. Inzwischen verfügt die Einrichtung, deren Zentrale einst in der Vegesacker Weserstraße stand, über insgesamt sieben Niederlassungen in Bremen-Nord sowie im Kreis Osterholz. Dort kümmern sich 171 Fachkräfte vorwiegend um 70 Jugendliche.

Die Absicherung des Kindeswohls stehe im Vordergrund, sagt Torsten Stellmann und verhehlt nicht, dass Sars-CoV-2, wie der wissenschaftliche Name des neuartigen Virus lautet, die jungen Leute neben ihren familiären Problemen psychisch zusätzlich belaste. Und damit auch ihre Berater und Ansprechpartner im St. Theresienhaus. Zum Glück, so Stellmann, sei aber die befürchtete Explosion von neuen Betreuungsfällen ausgeblieben. Somit haben sich nach Erkenntnissen sowohl des Frauenhauses als auch des St. Theresienhauses Befürchtungen nicht bewahrheitet, wonach Stressfaktoren wie Isolation, beengte Wohnverhältnisse, finanzielle Nöte und Zukunftsängste vermehrt zu häuslichen Gewaltaktionen führen würden. Bernd Schneider: „Diese Einschätzung gilt für das Land Bremen insgesamt. Die Zahlen von häuslicher Gewalt sind nicht sprunghaft angestiegen, sondern eher unauffällig.“

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