Das erlebt Vegesack nicht alle Tage. Und entsprechend groß ist der Andrang. Männer, Frauen und ein paar Kinder strömen in Richtung Weserpromenade. Dort stehen sie gegen neun Uhr am Morgen dicht an dicht und guter Laune und warten. Manche haben Ferngläser dabei – für den scharfen Blick auf die Weser. Doch noch ist nichts zu sehen. Aber bald soll sich aus Richtung Bremen-Mitte das erste Schiff nähern. Und schemenhaft ist am Horizont auch er schon zu sehen: der Großsegler "Alexander von Humboldt II". Die große Schiffsparade beginnt, zieht am Vegesacker Utkiek vorbei, passiert die Signalstation und bietet den Menschen entlang der Promenade eine beeindruckende Schau.
Anlässlich des Deutschen Schifffahrtstages, der noch bis zum 2. Oktober in Bremen und Bremerhaven stattfindet und unter dem Motto "Nachhaltige Schifffahrt: Gemeinsam, klar, sauber!" die zentralen Zukunftsfragen der Schifffahrt beleuchtet, gehört zum Programm auch ein besonderes Highlight: die große Schiffs- und Bootsparade von Bremen nach Bremerhaven. "Die größte seit Jahrzehnten", hatte Iven Krämer vom Referat Hafenwirtschaft und Schifffahrt versprochen und rund 80 Schiffe und Boote unterschiedlichster Art in Aussicht gestellt.

Gisela Behrens (r) und Rita Gutsch schauen sich die Schiffsparade zum Deutschen Schifffahrtstag an der Weser an.
"Wir haben das in der Zeitung gelesen", erzählt Gisela Behrens vergnügt, während sie mit ihren Begleitern unterhalb der Signalstation am Geländer steht, von wo aus die Gruppe alles bestens überblicken kann. Erste Reihe, Poleposition sozusagen. "Wir haben uns extra den Wecker gestellt", berichten die Vegesacker. "Damit wir um neun Uhr hier stehen." Tatsächlich angekommen seien sie schon um halb neun. "Wie schön, dass wir heute nicht so einen Nebel haben wie gestern", freut sich Rita Gutsch, die Gisela Behrens begleitet. Das Wetter ist an diesem Morgen wie bestellt. Warme Sonnenstrahlen und beste Sicht.
Jedes Schiff wird begrüßt
Die allerbeste Sicht hat Brigitte Aschemann vom Verein Nautilus Vegesack. Sie sitzt oben in der Signalstation an der großen Panoramascheibe und greift bei jedem Schiff und Boot, das vorübergleitet, zum Mikrofon, um die Schaulustigen mit Informationen zu versorgen. "Wir grüßen ganz herzlich die ,Alexander von Humboldt II'", kann sie gerade noch sagen, dann bricht angesichts des grünen Schmuckstücks ein großes Hupkonzert an. Von allen Seiten ertönen durchdringend die Signale. Auch die Fähren, die in Vegesack und Lemwerder am Ufer bleiben müssen, um der Parade Vorfahrt zu gewähren und die fein herausgeputzt wurden, begrüßen die Schiffe mit einem lauten Hupen, das selten unbeantwortet bleibt. Die Leute auf den Schiffen – auf einem der Boote der Wasserschutzpolizei fährt an diesem Morgen auch Bremens Häfensenatorin Claudia Schilling mit – winken den Menschen an Land zu und die winken zurück. Oder umgekehrt. So genau ist das nicht auszumachen.
Es sind an diesem Morgen viele Kameras im Einsatz, um all die Eindrücke festzuhalten. Uwe Pikart aus Schönebeck fühlt sich "ein bisschen an die Kieler Woche erinnert" und setzt zum Fotografieren an. Ein anderer Besucher deutet beim Containerschiff "Aviso I" auf die Fracht und rechnet vor, dass für die 72 geladenen Container 72 Lastwagen unterwegs sein müssten, wenn sie über Land transportiert würden. Ein Ehepaar, das mit den Rädern aus St. Magnus gekommen ist und – nebenbei bemerkt – in Vegesack das Schulschiff vermisst, zeigt sich von den Segelschiffen "sehr beeindruckt". Die weiße "Großherzogin Elisabeth" hat zwar nicht alle Segel gesetzt, aber die kleinen Segel hoch oben in den Masten blähen sich trotzdem eindrucksvoll im Wind. "Wir begrüßen ganz herzlich die BV2", dringt nun wieder Brigitte Aschemanns Stimme aus dem Lautsprecher. Gefolgt vom dröhnenden Hin-und-Her-Hupen, wobei das Tuten der Signalstation einen recht eigenwilligen Klang hat. "Wie der Ruf eines Esels", kommentiert jemand. "Wie eine bölkende Kuh", finden andere.
Ein Schiff hat sich "eingeschmuggelt"
Dann heften sich die Blicke wieder auf die nächsten Schiffe: das Forschungsschiff "Atair" zum Beispiel, "das neben der Crew 15 Wissenschaftlern Platz zum Mitfahren bietet", wie das Publikum erfährt, die feuerrote "Elbe I", das Feuerschiff, "das 50 Mal gerammt wurde und dabei zweimal fast unterging", das Dampfschiff "Wal", die Kogge "Ubena von Bremen" oder die Senatsbarkasse "MS Senator", die "von der Burmesterwerft in Burg 1979 in den Dienst gestellt wurde". Brigitte Aschemann begrüßt mit der "Franziusplate" sogar "ein Schiff, das sich in die Parade eingeschmuggelt" hat.

Die "Wal" bei der Schiffsparade zum Deutschen Schifffahrtstag auf der Weser.
Nach anderthalb Stunden sind auf der Weser die letzten teilnehmenden Boote der Freizeitschiffer zu sehen, wie sie gen Bremerhaven schippern. Die zahlreichen Menschen verlassen allmählich die Uferpromenade, könnten aber am Mittag wiederkommen. Das Vegesack-Marketing hat ein Unterhaltungsprogramm mit Shanty-Chören und einer Filmpremiere über 400 Jahre Geschichte des Vegesacker Hafens angekündigt. Die Weser hat ihr Spektakel hinter sich. Der Fluss gehört nun wieder den pendelnden Fähren.