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Quartiersplanung Die Stadt von morgen

Bremen-Nord verändert sein Gesicht. Zahlreiche Bauvorhaben, wie das Speicherquartier in Vegesack oder das Steingutquartier in Grohn gestalten ganze Viertel um. Wie funktioniert Quartiersplanung?
07.11.2022, 12:09 Uhr
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Von Sophia Allenstein
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Bremen-Nord verändert sein Gesicht. Zahlreiche Bauvorhaben, wie das Speicherquartier in Vegesack, das Steingutquartier in Grohn oder das Dillener Quartier in Blumenthal, gestalten ganze Viertel um. Aber wie funktioniert Quartiersplanung überhaupt? Wer arbeitet mit wem zusammen, wer bestimmt, wie ein Quartier aussehen soll, und denkt man Stadt heute anders als früher? Darüber hat DIE NORDDEUTSCHE mit einem Architekten, einem Stadtplaner und einem Projektentwickler gesprochen.

Der Prozess

Wie aus einer ersten Idee eine Siedlung entsteht, ist bei jedem Bauvorhaben verschieden. „Es gibt kaum ein Verfahren, das identisch abläuft“, sagt Stadtplaner René Kotte, der für Großprojekte in Bremen-Nord zuständig ist. Einige Schritte sind jedoch bei vielen Projekten ähnlich. Grundstücke mit Potenzial macht die Stadt durch eine Bestandsanalyse ausfindig. Interessiert sich auch ein Investor für das Gelände, zeichnen Architekten erste Testentwürfe in Absprache mit Wirtschafts- und Bauressort. Die Rahmenbedingungen legt die Stadt vorher fest: Wo sollen Straßen verlaufen, wie dicht und hoch darf gebaut werden, wo entstehen neue Haltestellen für Busse und Bahnen? Auch der Anteil an Wohn-, Grün- und Gewerbeflächen gehört zu den Vorgaben.

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„Aus den Rahmenbedingungen der Stadt entwickeln wir eine Leitidee, auf die wir immer wieder zurückkommen“, erklärt Architekt Georg Schönborn, wie es dann an Zeichentischen und Computern der Architekturbüros weitergeht. Das Architekturbüro Schönborn Schmitz hat den Siegerentwurf für das Steingutareal gestaltet. Die essenzielle Idee des Entwurfes: „Ein Zentrum zu schaffen, wo man einkaufen oder essen gehen kann. Ein kleines Stückchen Stadt in der Stadt“. Alle gestalterischen Entscheidungen orientieren sich laut Schönborn immer an der Leitidee, um ein stimmiges Ganzes zu schaffen. Und: Allein eine gelungene Optik legitimiert noch keinen Entwurf, sagt der Architekt. Gute Ideen sollten sich immer historisch begründen lassen. Ein neues Quartier soll nicht nur gut aussehen, es muss sozial funktionieren.

Bauleitverfahren, Flächennutzungsplan, Absprachen mit der Baudeputation – ein neues Quartier zu bauen, ist ein äußerst komplexes Verfahren. Am Ende muss die Politik das Projekt absegnen, sonst bleiben die neuen Gebäude ein Wunschtraum. Die strikten behördlichen Regeln sorgen bei manchem Bauherren für Frust. „Für einen großen Teil der Vorgaben habe ich Verständnis“, sagt der Projektentwickler Olaf Mosel. „Aber teilweise geht es mir zu sehr ins Detail. Ich muss jetzt nicht die Gestaltung des Balkongeländers noch mit jemandem abstimmen.“ Neben den Architekten sind eine Vielzahl an Fachplanern – Statikern, Haustechnikplanern und weiteren – an der Umsetzung des Quartiers beteiligt.

Das Miteinander

Kriminalität, Vermüllung und Angsträume: Die Architektur unserer Städte kann soziale Probleme verschärfen. Oder sie abmildern. Der Architekt Georg Schönborn erklärt, wie man die Sozialstruktur eines Quartiers positiv beeinflussen kann. "Die Durchmischung eines Viertels mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist wichtig", sagt Schönborn. Und nennt noch zwei weitere Faktoren, die helfen können. "Wohn- und Arbeitsbereiche sollten nicht getrennt werden, sodass Viertel zu jeder Tageszeit belebt sind". Eine aktive Nutzung von Erdgeschossen als Läden, Cafés und Büros sei optimal, damit sich Menschen in Quartieren wohlfühlen.

Veränderungen in der Gesellschaft schlagen sich aber auch in Häusern, Wohnungen und Wohnformen nieder. So verweist Stadtplaner René Kotte auf den Stadtentwicklungsplan Wohnen, der regelt, wie Bremen mit dem demografischen Wandel umgeht. „In Bremen-Nord fehlen Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen, die insbesondere für Ältere attraktiv sind“, sagt Kotte. Hinzu kommt ein anderer Trend. "Die Haushalte werden immer kleiner, die Zahl an Single-Haushalten steigt. Eine einzelne Person hat heute in der Stadt mehr Platz zur Verfügung als früher.“ Scheidungen, lange Ausbildungsphasen oder der Tod eines Partners im Alter haben zur Folge, dass immer mehr Menschen allein leben. "Und auf einmal wohnt man allein im Einfamilienhaus", sagt Kotte. Die Stadt möchte mit dem Bau von barrierefreien Wohnungen Umzugsketten anstoßen. Wenn alleinstehende Personen vom Einfamilienhaus in ein Apartment ziehen, werden wieder Häuser für junge Familien frei.

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Um auch einkommensschwächeren Bürgern einen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen, gilt in Bremen eine Sozialwohnungsquote. Stellt die Stadt einen neuen Bebauungsplan mit mehr als 20 Wohneinheiten auf, sind die Bauherren verpflichtet, ein Drittel der Wohnungen als Sozialwohnungen zu vermieten. Ein neues Quartier soll zudem auf die Bedürfnisse von Bewohnern und Nachbarschaft eingehen. Fehlt es an Kindertagesstätten, Schulen oder auch Einzelhandel in der Region, wird dies in der Planung berücksichtigt.

Das Klima

In den letzten Jahren habe das Thema Klimaschutz, Klimaverträglichkeit noch mehr Raum in der Stadtplanung bekommen, sagt René Kotte. 2020 entschied sich die Bremer Regierung für eine Fotovoltaikpflicht bei Neubauten, im Juli diesen Jahres folgte die Entscheidung, neben Flachdächern in Zukunft auch die Dächer von Reihenhäusern zu bepflanzen.

Mit sechs Quadratmetern öffentlicher Grünfläche pro erwartetem Einwohner rechnet man bei der Stadt. Parks und Bäume sollen im Sommer hohe Temperaturen abfedern und den Bürgern zur Erholung dienen. Um mehr Grün in das Grau zu bringen, stellt die Stadt Extragrünflächen an Straßen zur Verfügung und pflanzt Bäume. Früher galt die Regel: Pro sechs Parkplätze braucht es einen Baum, heute ist ein Baum auf vier Parkplätze.

Im Zuge des Klimawandels erwarten Experten eine Zunahme von Starkregenereignissen. Vollgelaufene Keller und überflutete Straßen könnten eine Folge sein. In der Stadtplanung versucht man mit Grünflächen und Regenrückhaltebecken in der Kanalisation, diesem Szenario entgegenzuwirken. „Das Schlagwort lautet Schwammstadt“, erklärt René Kotte. „Eine Stadt, die bei Starkregenereignissen Wasser aufnehmen kann und es speichert“. Um schon bei der Errichtung die CO2-Bilanz eines Gebäudes zu senken, kommen dagegen Hybridbauweisen mit Holz infrage. Während der Nutzung hält eine gute Dämmung den Energieverbrauch niedrig und schützt damit das Klima.

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Wenn es um die Stadt von Morgen geht, treffen immer wieder widerstreitende Interessen aufeinander. „Man muss immer wieder Kernentscheidungen treffen. Ist ein Wald oder eine Kita wichtiger?“, sagt der Stadtplaner. „Brauchen wir mehr Fläche für Wohnungen oder Gewerbe?“. Bei großen Eingriffen in die Natur müssen die Bauherren Ausgleichsflächen schaffen, um bedrohten Tier- und Pflanzenarten nicht vollständig den Lebensraum zu nehmen. Der Artenschutz habe in den vergangenen 15 Jahren an Wichtigkeit gewonnen, sagt Kotte.

Und noch ein Faktor ist für eine nachhaltige Stadt von Bedeutung: Der Verkehr. Es wird mehr vom Rad aus gedacht und weniger vom Auto. Das Ziel: Verkehr vermeiden, verlagern und auf umweltfreundliche Verkehrsmittel setzen. Der Bau von Ladesäulen für E-Autos ist allerdings noch nicht Pflicht. „Wir können anregen, dass Ladesäulen bei neuen Quartieren gebaut werden, schreiben es aber meist nicht vor“, sagt Kotte.

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