Läuft alles nach Plan, eröffnet die Hans-Wendt-Stiftung im August ihr Kinderhaus an der Arend-Klauke-Straße. Die Kita wird sich allerdings von anderen unterscheiden: In der Einrichtung werden auch zwei sogenannte Schwerpunkt-Plus-Gruppen untergebracht, in denen Kinder mit einem besonderen Förderbedarf betreut werden.
Dass ein solches Angebot in Vegesack gebraucht wird, hat sich laut Nadine Wernicke bei einer Stadtteilkonferenz herausgestellt. "Dabei wurde sehr deutlich, dass es gerade in Vegesack extrem viele Kinder mit einem hohen Förderbedarf gibt", sagt die pädagogische Leiterin der Kinderhäuser. Das gelte insbesondere für den Bereich der Sprachförderung. Diese Kinder würden nun vorrangig einen Kitaplatz bekommen. "Da die Einrichtungen ohnehin schon sehr viele Kinder mit einem Förderbedarf betreuen, können sie praktisch keine weiteren mehr aufnehmen", erzählt sie. "Deshalb sollten die Träger Ideen einbringen, wie die Einrichtungen vor Ort entlastet werden können."
Also hat die Hans-Wendt-Stiftung ein Konzept für eine sogenannte Schwerpunkt-Plus-Sprachgruppe erarbeitet. In der sollen 15 Kinder betreut und gleichzeitig auf die Schule vorbereitet werden. Die Sprache ist allerdings nicht ihr einziges Manko. "Die Kinder waren noch nie in einem Kindergarten. Also müssen sie das System Kita erst einmal kennenlernen", betont Wernicke. Dazu zähle etwa, dass sie die Erfahrung machen, gemeinsam mit anderen Kindern in einer Gruppe betreut zu werden. Oft stellen die Erzieherinnen und Erzieher dann weitere Förderbedarfe fest, die bis dahin noch nicht erkannt wurden, weil die Kinder eben noch nie in einer Kita waren.
Damit die Kleinen umfassend unterstützt werden können, braucht es in dieser Gruppe mehr Personal als üblich. Neben einer Erzieherin soll auch eine Sprachheilpädagogin sowie eine Person im Freiwilligen Sozialen Jahr beziehungsweise im Bundesfreiwilligendienst eingesetzt werden. "Darüber hinaus wollen wir eine Ergotherapeutin und eine Logopädin im Haus haben, die aber gruppenübergreifend arbeiten sollen", so die pädagogische Leiterin.
Diese Kräfte werden auch in der zweiten Schwerpunkt-Plus-Gruppe unterstützen, die sich auf den Übergang der Kinder fokussiert. "Wir wollen den Mädchen und Jungen einen guten Einstieg in der Kita ermöglichen", sagt Wernicke. Das Angebot richte sich etwa an Kinder, bei denen eine Autismus-Spektrums-Störung diagnostiziert wurde. Gerade dieser Zielgruppe falle es schwer, sich in einer Gruppe mit 20 Mädchen und Jungen zurechtzufinden. Deshalb sollen sie zunächst in einer Gruppe mit zehn Kindern betreut werden, sodass sie in Ruhe in der Einrichtung ankommen können. Ist das geglückt, wechseln die Kleinen in eine reguläre Gruppe. Einen festen Zeitrahmen dafür gibt es allerdings nicht. "Das ist sehr individuell", erzählt sie.
Jörg Angerstein betont, dass die Kinder in ihrer Persönlichkeit und Individualität betrachtet werden. "Kinder, die gewisse Förderbedarfe haben, werden nicht in ein System gepresst, das im Grunde genommen ihrer Individualität widerspricht", sagt der Vorstand der Hans-Wendt-Stiftung. Die Sichtweise müsse vom Kind ausgehen. Ansonsten gebe es immer wieder Systemverlierer. "Wir müssen versuchen, für jedes einzelne Kind eine Lösung zu finden, damit sie eine gedeihliche Entwicklung nehmen", so Angerstein. "Denn diese Mädchen und Jungen werden die zukünftige Stütze unserer Gesellschaft sein."
Mit ihrem neuen Ansatz will die Hans-Wendt-Stiftung die Kleinen genau dort abholen, wo sie stehen. "Alle Kinder sind uns wichtig und haben die gleichen Rechte darauf, die bestmögliche Betreuung zu bekommen", sagt er. "Und das gilt wirklich für alle Kinder, und nicht nur diejenigen, die ins System passen."
Denn die Zahl derer, die aus dem Raster fallen, steigt stetig. "1,6 Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren haben keinerlei Berufsausbildung in diesem Land, weil sie aus den Systemen herausgefallen sind", sagt Jörg Angerstein. "Die Grundwerte legen wir im frühkindlichen Bereich. Und das ist unsere Aufgabe: Den Kindern den bestmöglichen Start in ihr eigenes Leben zu geben."
Die Kita an der Arend-Klauke-Straße ist nicht die einzige, in der die Hans-Wendt-Stiftung Schwerpunkt-Plus-Gruppen eröffnet. Ein weiteres Angebot dieser Art schafft der Träger in der Kita Lindenhofstraße in Gröpelingen. Derzeit sieht der Plan vor, dass beide Einrichtungen zur gleichen Zeit eröffnen.
Sowohl in Vegesack als auch in Gröpelingen handelt es sich um ein Modellprojekt, das zunächst auf zwei Jahre angelegt ist. "Dann müssen wir schauen, ob das Konzept, so wie wir es umgesetzt haben, auch erfolgreich war", sagt Nadine Wernicke. Erst danach wird sich entscheiden, ob das Angebot auf weitere Standorte ausgeweitet wird.