Strahlend wedelt die junge Frau mit dem Bündel Papiere: Der Vertrag ist besiegelt! Aussicht auf ein eigenes Stück Land! Winzig zwar, aber das wird erstmal reichen. Caro heißt sie, und erzählt, dass sie in der Nähe wohnt und so gerne Gemüse isst. Selbst gegärtnert habe sie aber noch nie. Im Internationalen Garten Walle kann sie damit ganz einfach anfangen.
Jetzt blühen hier riesige Sonnenblumen, die Herbstanemonen stehen in voller Pracht. Kugelrunde Kürbisse leuchten aus dem Grün. Die Tomaten wollten in diesem Jahr selbst im Gewächshaus nicht so richtig werden – aber das ging ja in diesem Sommer vielen Gärtnern so, sagt Bernhard Winsemann, Vorsitzender des Vereins, der den Gemeinschaftsgarten verwaltet. Doch dafür biegen sich die Quittenbäume vor Früchten, und auch die verschiedenen Apfelsorten und die Birnen sind reif. In einem der Beete wachsen die zarten Blätter von Radieschen, Rauke und Feldsalat vorbildlich in Reih und Glied. In Winsemanns eigenem Gartenstück hat der Topinambur überhand genommen. Im Wildwuchs raschelt eine junge Kröte, und auf einer Blüte ruht sich ein hübscher kleiner Schmetterling aus. „Entschuldigung, den muss ich jetzt erst mal fotografieren“, sagt der begeisterte Gärtner.
Insgesamt rund 30 Freizeitgärterinnen und –gärtner bestellen hier Mini-Parzellen von je einem Dutzend Quadratmetern – die Jüngsten Mitte Zwanzig, die Ältesten in den Achtzigern. Manche tun das ordentlicher und ambitionierter, andere weniger. Rügen und Abmahnungen gibt es trotzdem nicht. Der Internationale Garten Walle ist ein Gemeinschaftsgarten, in dem jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll – und jede natürlich auch. Wer dem Verein beitritt, verpflichtet sich aber auch dem Wohle der Gemeinschaft. An einem Sonnabend pro Monat ist Großeinsatz, denn auf dem 2300 Quadratmeter großen Grundstück gibt es immer etwas zu tun, sagt Winsemann. Demnächst solle der Staketenzaun repariert werden, denn die Lücken seien inzwischen so groß, dass die Rehe aus der Nachbarschaft zum Abendessen kommen. Auch die Obstbäume müssen abgeerntet werden. Sie gehören allen, und darum werden auch ihre Früchte gerecht untereinander verteilt. Zwischendurch mal den Rasenmäher in die Hand nehmen – das ist hier eine Selbstverständlichkeit. Genauso wie die Pausen zwischendurch, um auf der Gartenbank die Seele baumeln zu lassen.
Eine richtige große Parzelle macht viel Arbeit. Für Menschen mit weniger Zeit und Ehrgeiz ist ein Stückchen Land in einem Gemeinschaftsgarten eine Möglichkeit, in kleinerem Stile zu gärtnern. Hier kann man voneinander lernen, Know-how, Material, Werkzeuge, tatkräftige Unterstützung und Produkte austauschen. So habe es auch bei ihm angefangen, erklärt der Waller. „Ich habe den Garten entdeckt, weil die Grundschulklasse meines Kindes damals hier ein Gartenprojekt durchgeführt hat.“ An die erste Ernte im Sommer 2016 kann er sich noch genau erinnern: Physalis, Kürbisse, Gurken und vor allem kiloweise Tomaten. „Das war ein großartiges Jahr! Und danach hatte ich Lust auf mehr.“
Gemeinschaftsgärten sind auch eine Methode, verlassene Gärten wieder aufzuwecken und zu beleben. 25 Kleinstgärtnerinnen und –gärtner legten vor zehn Jahren das zugewucherte Gelände zwischen Hagenweg und Fleetstraße frei. Die Freiwilligenagentur organisierte externe Unterstützung mit Muskelkraft und Geräten. „Eine Truppe Stahlwerker rückte an, um die Brombeeren zu roden, andere halfen beim Bau der Terrassenüberdachung“, weiß Winsemann.
Von Anfang an ging es den Initiatorinnen und Initiatoren aber vor allem darum, an diesem Ort Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu ermöglichen. Auch damals gab es in Bremen bereits Zuzügler aus Krisenregionen, und der Verein nahm aktiven Kontakt zu Bremer Flüchtlingsunterkünften und -organisationen auf, erzählt Winsemann. 2014 startete das Projekt „offene Gartentüre“. Einmal pro Woche öffnete sich die Parzelle für Menschen, die in Bremer Flüchtlingsunterkünften lebten, um ihnen einen Nachmittag lang die Gelegenheit zu geben, den grünen Garten zu genießen, zu gärtnern, zu spielen und Kontakte zu knüpfen. Noch heute sei die Zusammensetzung der Mitglieder „so gemischt wie die Waller Bevölkerung selbst“, erklärt Winsemann, der dem Verein seit 2017 vorsteht: Hier gärtnern unter anderem Menschen aus Brasilien, Syrien, der Türkei, dem Iran, dem Irak und aus Russland in guter Nachbarschaft mit den Einheimischen, und bringen ihr Wissen und diverse neue Pflanzen mit.
Die Pandemie verordnete auch den Vereinsmitgliedern monatelange Distanz. Die gewohnten Gemeinschaftsaktionen – Essen, Kaffeetrinken, Feste feiern – fielen aus. Doch nach dem strengen Lockdown zeigte sich auch, dass die Pandemie in vielen Menschen die Lust am Gärtnern geweckt hat. Allein bei der jüngsten Mitgliederversammlung lagen dem Verein sieben neue Anträge vor, erzählt Winsemann. Auch Caro freut sich darauf, jetzt den Boden für ihre erste eigene Ernte vorzubereiten. „Ich fange erstmal mit den einfachen Sorten an“, sagt sie. „Das wird schon was werden.“