Seit mehr als 70 Jahren schien es eine Gesetzmäßigkeit zu sein: Im roten Bremen räumt die SPD ab, stellt den Bürgermeister und prägt selbst Koalitionszeiten die Politik des Landes. Bürgerschaftswahlen waren so aufregend wie ein Pferderennen, bei dem man weiß, dass der favorisierte Vollblüter mit mehreren Längen Vorsprung durchs Ziel geht. Entsprechend fiel die Beachtung im Rest der Republik aus, nämlich zumeist recht mäßig.
Diesmal ist alles anders, die Wahl verspricht jede Menge Spannung. Fast alles scheint möglich: Fortsetzung von Rot-Grün, linkes Dreier-Bündnis, Große Koalition, Jamaika, vielleicht sogar eine Ampel. Es ist sogar fraglich, ob die SPD den nächsten Bürgermeister stellen kann.
Bereits jetzt stößt die Wahl am 26. Mai auf großes Interesse. Überregionale Medien wie „Spiegel“, „Süddeutsche“ und „RTL“ berichteten zu Jahresbeginn. Und der Überfall auf AfD-Chef Frank Magnitz sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Doch nicht nur die Medien, auch die Parteispitzen in Berlin beobachten diese Wahl ganz genau. Der Grund: Sie ist die einzige halbwegs repräsentative Landtagswahl des Jahres in den alten Bundesländern. Im Herbst wird zwar auch in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt.
Doch dort gibt es die typischen Wahlmerkmale des Ostens: AfD und Linke sind viel stärker als im Westen, FDP und Grüne hingegen schwächer aufgestellt. Auch die ebenfalls am 26. Mai stattfinde Europawahl taugt nur bedingt als Erkenntnisgewinn für die Parteizentralen: Der Wahlkampf findet wenig Interesse, die Wahlbeteiligung liegt erfahrungsgemäß bei unter 50 Prozent.
Ende für Parteichefin Andrea Nahles?
Den Wahltag in Bremen dürfte vor allem die SPD-Spitze mit gemischten Gefühlen verfolgen. Geht es doch für die Genossen darum, den dramatischen Negativtrend der vergangenen Monate zu stoppen. Klar, die SPD wird nicht wie gegenwärtig in den bundesweiten Umfragen bei 15, 16 Prozent landen, doch ein Ergebnis unter 25 Prozent käme für Bremer Verhältnisse einer Katastrophe gleich. Es wäre nach den Desastern bei den Landtagswahlen in Bayern (9,7 Prozent) und Hessen (19,8) ein weiterer Sargnagel für die SPD – und für Andrea Nahles vielleicht ihr Ende als Parteichefin.
Die SPD und ihr Spitzenkandidat Carsten Sieling wollen vor allem mit sozialen Themen punkten, etwa mit einem höheren Landes-Mindestlohn und Einführung einer Kindergrundsicherung. Das Echo darauf wird auch für die Bundes-SPD interessant sein, fordern doch viele Mitglieder vehement eine Rückbesinnung auf die sozialen Wurzeln der Partei.
Richtig spannend wird es auch für die CDU. Ein Sieg für Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder in der SPD-Hochburg wäre eine Sensation. Der neue Schwung in der Bundespartei nach dem Dreier-Machtkampf um den Parteivorsitz bekäme noch einmal Auftrieb. Ein Erfolg gäbe Parteichefin Annette Kramp-Karrenbauer Rückendeckung: Präsentiert sich die Bremer CDU doch mit den Hauptthemen Bildung, Digitalisierung und Mobilität betont auf der Höhe der Zeit. Ein Rezept, das „AKK“ auch der Bundes-CDU verschreiben will – gegen den Willen ihres Gegenspielers Friedrich Merz.
Stets eine Art Heimspiel hatten die Grünen in Bremen. Hier, wo 1979 alles begann: Sie schafften erstmals den Sprung in ein Landesparlament. Kann die Öko-Partei ihren Höhenflug fortsetzen? Gewinnt das Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck immer noch die Herzen und Stimmen der Menschen? Spitzenkandidatin Maike Schäfer jedenfalls passt gut zur neuen Grünen-Optik. Allerdings: Das Traumergebnis von 2011 mit 22,5 Prozent ist kaum zu toppen.
Keine "Lencke-Steiner-Show"
Zu einer Weichenstellung könnte die Wahl für die FDP werden, denn auf Bundesebene wirkt sie ein wenig lethargisch. 2015 war das Ergebnis der Bremen-Wahl auch für die Bundespartei ein Riesenerfolg, sie kämpfte damals um die Rückkehr in den Bundestag. Doch diesmal soll der Wahlkampf nicht zur „Lencke-Steiner-Show“ werden. Ein gewisses Risiko, auch für die Parteispitze in Berlin.
Die Bremer Linken hingegen haben ein Luxusproblem: Ihre Umfragewerte von bis zu 17 Prozent liegen weit über dem Bundesschnitt. Sollten die Dunkelroten am Ende aber wesentlich schlechter abschneiden, wird die Ursachenforschung nicht lange auf sich warten lassen. Zumal der Landesverband für einen pragmatischen Kurs steht, der in Teilen der Partei kritisch gesehen wird.
Die AfD hat in Bremen keinen leichten Stand. Ein Achtungserfolg wäre auch für die Bundespartei ein wichtig, deren Umfragewerte leicht rückläufig sind.
Prognose: Wohl keine der Parteien wird am 26. Mai locker und entspannt auf das Wahlergebnis warten können – weder in Bremen, noch in Berlin.