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Verursachern auf der Spur Wie Bremer Abfalldetektive gegen Müllsünder vorgehen

Das Beseitigen von illegalen Müllkippen kostet den Bremer Steuerzahler jährlich eine Million Euro. Um die Umweltsünder zu erwischen, setzt die Stadtreinigung Ermittler ein. Unterwegs mit zwei von ihnen.
12.09.2023, 05:00 Uhr
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Wie Bremer Abfalldetektive gegen Müllsünder vorgehen
Von Kristin Hermann

Es stinkt fürchterlich. Anders lässt es sich nicht beschreiben. Zahlreiche Müllsäcke liegen neben einem Haus am Buntentorsteinweg. Das viele Altpapier ist an dieser Stelle das kleinere Übel. Leere Aufschnittverpackungen, Essensreste, Joghurtbecher und Milchtüten fordern die Nase deutlich stärker. Aus einigen Säcken mit Haushaltsabfällen kriechen bereits die Maden. Das warme Wetter der vergangenen Tage beschleunigt den Fäulnisprozess. "Wenn sich die Säcke anfangen zu bewegen, ist Vorsicht geboten", sagt Thomas Reske. Ein Kollege von ihm sei erst vor Kurzem von einer Ratte angesprungen worden.

Reske streift seine Arbeitshandschuhe über und fängt an, die Müllberge genauer unter die Lupe zu nehmen. Er ist auf der Suche nach Adressaufklebern oder anderen Hinweisen, die verraten, wer für diese Sauerei verantwortlich ist. Sein Kollege Benjamin Mahnke holt währenddessen bereits das Absperrband aus dem weißen Kastenwagen, um den Bereich nach der Untersuchung abzugrenzen. Ein bisschen sieht es aus wie ein Tatort, als er fertig ist. Ein Mülltatort, und Mahnke und Reske sind die Ermittler.

Knapp 7000 illegale Müllablagerungen in 2022

Die Männer sind bei der Bremer Stadtreinigung angestellt. Ein Team von insgesamt sechs Mitarbeitern ist täglich in der ganzen Stadt unterwegs, um wilde Müllkippen zu melden, und Hinweise auf die Täter zu finden. Das Problem ist groß: 2022 hat die Stadtreinigung knapp 7000 illegale Müllablagerungen registriert. Die Beseitigung kostet den Steuerzahler rund eine Million Euro im Jahr und wird über die Abfallgebühr gedeckt, die jeder Haushalt entrichten muss.

Wilde Müllkippen lassen sich laut Stadtreinigung in allen Stadtteilen finden. Besonders häufig seien die Ermittler in Gröpelingen, der Neustadt, der Bahnhofsvorstadt, in Walle, Huchting, Blumenthal, Huckelriede und im Bereich Häfen unterwegs. Aber auch in Randgebieten von öffentlichen Parks und Grünanlagen, auf schwer einsehbaren Parkplätzen, an Autobahnzu- und -abfahrten, sowie im Bereich von Bahnanlagen stoßen die Entsorger immer wieder auf achtlos abgeladenen Abfall. Manchmal seien Fälle von Mülltourismus darunter, etwa wenn Leute gezielt aus dem Umland zum Entsorgen nach Bremen kommen.

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Mahnke und Reske sind an diesem Tag für den Abschnitt "Links der Weser" zuständig. Die Probleme im Buntentorsteinweg kennen sie schon. Gegenüber der Stelle, die sie gerade begutachten, stapeln sich weitere Säcke, die achtlos vor ein Mehrparteienhaus geworfen wurden. "Dort gibt es immer wieder Ärger. Es herrscht eine große Fluktuation unter den Bewohnern und Mülltonnen werden kaum benutzt", sagt Reske. Die Säcke versperren einen Teil des Gehwegs, weshalb Mahnke und Reske ihren Kollegen von der Abfallbeseitigung Bescheid geben. Sie sollen hier so schnell wie möglich vorbeifahren.

"Müll zieht noch mehr Müll an."

Zurück auf der anderen Seite findet Reske tatsächlich einen Paketaufkleber samt Adresse. Sie gehört zum Haus nebenan. Wie es nun weitergeht, liegt im Ermessensspielraum der Mülldetektive. In einigen Fällen klingeln sie, konfrontieren die möglichen Verursacher und hoffen darauf, dass sie einsichtig sind und ihren Dreck wieder wegräumen. Andernfalls droht eine Ordnungswidrigkeitsanzeige. Reske geht nicht davon aus, dass die vielen Säcke nur von einem Haushalt kommen. "Müll zieht noch mehr Müll an."

Der Betroffene hat in dem Fall jedoch noch einmal Glück. Ein Nachbar kommt aus dem Haus, den Reske und Mahnke bereits kennen. Der Rentner meldet der Stadtreinigung regelmäßig die Müllberge rund um sein Wohnhaus. "Mich belastet das sehr. Wir haben dadurch ein Rattenproblem", sagt er. Sein Nachbar gehöre in der Regel jedoch nicht zu den Tätern. "Reden Sie ihm ins Gewissen, beim nächsten Mal ist er fällig", sagt Reske.

Wie viel das illegale Abladen von Müll kostet, richtet sich nach Art und Menge des Entsorgten und ist im Bußgeldkatalog der Stadt festgeschrieben. Demnach kann für Verpackungsabfälle wie Pizzakartons oder Einwegbecher und für Plastiktüten, die neben dem Mülleimer im Gebüsch oder auf dem Gehweg landen, eine Strafe von 50 Euro fällig werden. Das illegale Abladen von Sperrmüll von einem Kubikmeter kann bis zu 2500 Euro kosten. 2022 gab es laut Umweltressort 407 Anzeigen, die dem Problem "illegale Müllablagerungen" zugeordnet werden konnten.

Bürger können Müllhalden über Kundenservice melden

Welche Punkte Reske und Mahnke anfahren, ist unterschiedlich. Bevor ihr Dienst auf der Straße beginnt, informieren sie sich früh morgens im Büro darüber, welche Müllhalden über den Kundenservice der Stadtreinigung gemeldet wurden. An diesem Tag ist die Liste noch leer, doch das hindert die Männer nicht daran, trotzdem aufzubrechen. Sie kennen in ihrem Gebiet die bekannten Punkte, an denen es Ärger mit Verunreinigungen gibt. Im Bereich der Thedinghauser Straße etwa kommt es rund um den Containerplatz seit Jahren zu Problemen. Auch heute wieder steht am Rand eine überfüllte Hausmülltonne, die dort nicht hingehört.

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Eine Anwohnerin sortiert gerade ihre Flaschen in den Container und beschwert sich über die Situation vor Ort. Die Müllermittler hören zu, auch das gehört zu ihrer täglichen Arbeit. Nun wird die Tonne genauer inspiziert. Sein Ekelempfinden müsse man in diesem Job ablegen. "Schön ist das nicht, aber wir haben eine gute Ausrüstung und können uns im Anschluss desinfizieren", sagt Reske. Hin und wieder käme aber auch er an seine Grenzen. So habe er vor nicht allzu langer Zeit einen abgetrennten Schafskopf gefunden.

Weniger eklig, dafür aber meist deutlich umfangreicher, sind die Sperrmüllhaufen, auf die die Mülldetektive stoßen. An einer Wohnanlage in der Kattenturmer Heerstraße haben sich gleich mehrere davon angesammelt. Das Flatterband der Stadtreinigung verrät, dass Reske und Mahnke hier bereits vor einigen Tagen waren, neuer Unrat ist inzwischen hinzugekommen. Nicht immer sind es nur Adressaufkleber oder andere Informationen, nach denen Reske und Mahnke suchen. Wie richtige Detektive befragen die beiden Passanten, ob sie etwas gesehen haben oder observieren Bereiche, um Umweltsünder auf frischer Tat zu ertappen.

"In Bremen kann jeder einmal im Jahr kostenlos Sperrmüll anmelden und abholen lassen. Außerdem gibt es die Recyclingstationen. Das wissen viele nicht", sagt Mahnke. Wo es sich anbietet, klären Mahnke und Reske die Bürger auf. Dabei arbeiten sie mit ihren Kollegen von der Abfallberatung zusammen, die in den verschiedenen Stadtteilen über eine korrekte Entsorgung informieren und mitunter auch Wohnungsgesellschaften aufklären, wie man Problemen entgegenwirken kann. Inzwischen hat die Stadtreinigung Flyer in mehreren Sprachen fertigen lassen, um möglichst viele Personen informieren zu können.

Frust und Erfolg liegen eng beieinander

Nicht immer steckt laut den Müllermittlern eine böse Absicht dahinter. So würden einige Verursacher etwa aus ihren Heimatländern eine andere Müllentsorgung kennen und müssten sich hier an ein anderes System gewöhnen. Manche glaubten, sie können Geld sparen, wenn sie die Tonne nicht benutzen. Laut der Bremer Stadtreinigung wurden 2020 etwa 3000 persönliche Gespräche von den Abfallberatern geführt. Danach wurden fast 250 illegale abgestellte Abfälle von den Verursachern wieder eingesammelt.

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Frust und Erfolg liegen in dem Beruf der Müllermittler eng beieinander, erzählt Reske auf dem Weg zum nächsten Einsatzort im Auto. Seit 2018 ist er dabei und fährt viele der Stellen mehrmals im Monat an. "Natürlich gibt es da Momente, in denen man frustriert ist, weil einige Bereiche immer und immer wieder betroffen sind", sagt er. Doch es gebe auch Erfolge. Heute ist es die Kirchhuchtinger Landstraße. Kein einziger illegaler Müllberg ist zu sehen. „Das war vor Kurzem noch anders“, sagt Reske.

Am frühen Mittag haben er und sein Kollege mehrere Stadtteile und wilde Müllkippen kontrolliert. Feierabend haben sie aber noch nicht. Sie wollen noch einmal zur Thedinghauser Straße zurück und aus ihrem Auto heraus potenzielle Müllsünder beobachten. Zu tun gibt es immer etwas. "Den Zustand einer komplett sauberen Stadt werden wir nie erreichen", sagen sie.

Zur Sache

Videoüberwachung von Brennpunkten wird weiter diskutiert

Trotz der Arbeit der Müllermittler und Abfallberater der Bremer Straßenreinigung und groß angelegten Sauberkeitsaktionen, ist die Situation in manchen Stadtteilen und Straßenzügen nach Angaben der Innenbehörde nach wie vor nicht zufriedenstellend. Das Ressort von Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) strebte deshalb bereits in der vergangenen Legislaturperiode eine gezielte Videoüberwachung an, um Täter der illegalen Müllablagerung zu überführen. Man habe sich unter anderem mit den Städten Ludwigshafen und Biberach ausgetauscht, da dort die rechtlichen Möglichkeiten in Absprache mit den Landesdatenschutzbeauftragten bereits geschaffen wurden. Verlagerungseffekte für Müllablagerungen konnten dort laut Behörde nicht bestätigt werden. Für eine Erprobungsphase könne die technische Ausstattung der Polizei genutzt werden.

Für eine Umsetzung ist jedoch die Umweltbehörde zuständig. Die beruft sich auf Nachfrage auf die kritische Bewertung der Bremer Datenschutzbeauftragten. Beispielsweise würde die Überwachung von Parkplätzen in die Persönlichkeitsrechte vieler Bürgerinnen und Bürger eingreifen, die sich rechtskonform verhalten. Daher wolle man zunächst mildere Mittel prüfen, etwa Plakataktionen oder die Überwachung durch Personen. Derzeit entwickele das Umweltressort in Zusammenarbeit mit der Bremer Straßenreinigung einen entsprechenden Maßnahmenkatalog. Parallel dazu hätten sich die Koalitionspartner nach der Wahl darauf verständigt, an besonders neuralgischen, immer wieder verschmutzten Orten, eine temporäre Videoüberwachung zu prüfen.

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