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Serie "Die Standhaften" Quer durch den Garten

Im Bremer Zentrum gibt es nicht mehr viele Traditionsgeschäfte – der Gartenfachhandel Otto G. Balder in Marktplatznähe gehört dazu. Besonders ist die große Sammlung an Samen für Gemüse, Blumen und sogar Bäume.
15.08.2022, 05:00 Uhr
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Quer durch den Garten
Von Lisa Schröder

In diesem Geschäft braucht der Kunde Zeit – selbst für die Auswahl der richtigen Karotte. Das Angebot an Samen im Gartenfachhandel Otto G. Balder in der Bremer Baumwollbörse ist einfach immens. Welche Sorte darf es sein?

"Flyaway"

"Yellowstone"

"Purple Sun"

"Rubyprince"

"Rainbow"

"Nominator"

An den Ständern baumeln unzählige kunterbunte Tütchen mit Samen für Blumen, Obst und Gemüse. Die Augen finden angesichts der Auswahl fast keine Ruhe. Gießkannen, Vogelhäuschen, Handschuhe, Schaufeln, Gartenzwerge, Gartenbücher, Fußmatten – ein Laden wie ein Wimmelbild.

Die Geschichte des Bremer Traditionsgeschäfts begann im Jahr 1792. Damals gründete Heinrich Bauer die Samenhandlung "Bauer & Co" in der Neustadt. Es folgten im Laufe der Zeit einige Umzüge. Heute führen Ute und Armin Tschorn das Unternehmen mitten im Zentrum der Stadt. Armin Tschorns Vater kaufte den Laden im Jahr 1963 vom Namensgeber Otto Balder.

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Wie viele Artikel es hier auf recht kleinem Raum gibt? Das Ehepaar lacht. Da müssen sie passen – zu groß die Auswahl. Deshalb gebe es auch keinen Onlineshop. "Das können wir gar nicht abdecken", sagt Ute Tschorn. Ihr Sohn habe mal ein Warenwirtschaftssystem aufbauen wollen, sagt Armin Tschorn. "Nach ein oder zwei Tagen hat er die Segel gestrichen."

Selbst Hamburger und Oldenburger kommen in das Geschäft, um sich für das Jahr mit Samen einzudecken. "Und sind so schnell nicht wieder weg", sagt Armin Tschorn. Die Suche der Inhaber nach Raritäten für die Sammlung endet nie. Sequoiadendron gigantea steht auf einem der Tütchen. Darin stecken Samen für einen Mammutbaum.

Seit rund vier Jahrzehnten arbeiten Gärtnerin Ute Tschorn und Gartenbauer Armin Tschorn hier im Traditionsgeschäft in besonderer Lage. Kaum noch sind Gartenfachgeschäfte wie dieses in den Zentren zu finden. Von Touristen aus anderen Städten komme gerne mal die Nachfrage, sagt Ute Tschorn: "Können Sie bei uns nicht auch ein Geschäft aufmachen?"

Was ist das Geheimrezept? Warum hat der Laden die Zeit überdauert? Aus Sicht der Tschorns ist die Kundenbindung entscheidend. Auf Wünsche müsse man immer wieder eingehen. Gibt es Trends? Fehlt was in der Samensammlung? Trotz der Menge kommt das vor. Außerdem dürfe man nicht allein vom eigenen Geschmack ausgehen – gerade bei Dekorationsartikeln. Und es gilt das Prinzip: Die Waren sollen von guter Qualität sein, aber auch nicht zu teuer. So bieten die Tschorns teils durchaus günstigere Artikel an als die Konkurrenz in den Baumärkten.

Die Produkte allein reichen aber nicht. Die Kunden erwarten hier eine besonders gute Beratung. "Fachwissen ist bei uns ganz wichtig", sagt Armin Tschorn. Um herauszufinden, was mit ihren Pflanzen eigentlich los ist, bringen Kunden Blätter mit ins Geschäft. Geht es um einen Wollläusebefall? Haben die Blätter Sonnenbrand? Oder ist Staunässe das Problem? "Es sind alles unterschiedliche Symptome, die man ganz gut erkennen kann", sagt Ute Tschorn. Ihr Mann findet: "Es ist so ein bisschen wie beim Doktor." Die richtige Medizin gibt es meist direkt vor Ort.

Früher sah das Geschäft mit den Samen anders aus – weniger farbenprächtig. In einem Raum hinterm Verkaufstresen steht ein alter Saatgutschrank. Dessen Schubladen zieren säuberlich mit der Feder geschriebene Inhaltsbeschreibungen. "Mangold Lucullus Silber", "Forona Rote Kugel", "Zwiebel Weiße Königin", "Rosenkohl Hild's Ideal" – so klingt Pflanzenpoesie. Früher wurden Samen aus den Schubladen mit Löffeln abgepackt.

Und heute? Wie bekommen die Kunden die teils sperrigen Waren in ihren Garten oder auf den Balkon? Viele Jüngere seien mit dem Lastenrad unterwegs. "Die schleppen hier alles weg. Ich finde das klasse!", sagt Ute Tschorn. Tontöpfe seien wieder gefragt – grundsätzlich langlebige Produkte. Auf Nachhaltigkeit werde mehr geachtet. Wichtig sei zudem die Nähe zur Haltestelle Domsheide und damit die Anbindung an den ÖPNV.

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Vor ein paar Jahren übernahmen die Tschorns noch ein ganz anderes Traditionsgeschäft: Stempel Müller. Der Ladeninhaber war lange ihr Nachbar gewesen – bis er verstarb. Seine Frau bot den Tschorns das Unternehmen an. So verkauft Stempel Müller bis heute Stempel, Schilder, Pokale und Souvenirs in einem Teil des Gartenfachhandels. Die Tschorns trennten sich derweil von Artikeln wie Rasenmähern oder Kettensägen.

Die Übernahme passte auch, um die Miete noch besser erwirtschaften zu können. "Das war immer unser Hauptproblem, in dieser Lage die Miete zu bezahlen", sagt Tschorn im Rückblick. Das Paar scheint nun aber ganz zufrieden zu sein. Zum Vermieter gebe es ein gutes Verhältnis.

Viel Leerstand in der Innenstadt, viele Ketten in der City – fühlen die beiden sich manchmal allein? Das nicht. Armin Tschorn aber hält es für "eine Katastrophe", dass in der Stadt endlos viel geplant werde, "aber es wird grundsätzlich nichts gemacht". Der ein oder andere Ladeninhaber wäre außerdem vielleicht geblieben, wenn die Vermieter ihm frühzeitig entgegengekommen wären.

Obwohl das Geschäft schon lange in der Wachtstraße sitzt, kennt nicht jeder den Laden in der Bremer Baumwollbörse. "Wir sind hinterm Marktplatz", sagt Armin Tschorn. Selbst viele Bremer schafften es nicht in diese Ecke. "Dieses Phänomen haben wir seit Ewigkeiten." Immer wieder verwundere das Geschäft in dieser Lage so Einheimische und Touristen und es heiße: Was ist das denn hier?

Seit ein paar Wochen gibt es eine Veränderung bei Otto G. Balder. Der Mittwoch ist jetzt, außerhalb der Hauptsaison, ein Ruhetag. Sonst dauerte die Woche für Armin Tschorn von Montagmorgen bis Samstagabend. "Das sind über 60 Stunden. Und am Sonntag macht mein Mann Bestellungen oder wir kümmern uns um die Kartenständer", sagt Ute Tschorn. Nun soll ein Tag zum Durchatmen da sein.

Fürs Anpflanzen von "Flyaway" oder "Purple Sun" bleibt den Tschorns selbst trotzdem kaum Zeit. Einen Gemüsegarten haben die beiden nicht mehr. Früher sollten ihre drei Kinder lernen, wie Tomaten und Kartoffeln wachsen. Heute ist der Aufwand fürs Gemüse ihnen zu groß. "Vor allem ist die Hauptzeit April, Mai, Juni", sagt Armin Tschorn. "Und da stehen wir hier", sagt seine Frau. Doch ein Garten muss unbedingt sein. "Meinen Garten liebe ich", sagt Ute Tschorn. "Als gelernte Staudengärtnerin braucht man einfach seine Pflanzen um sich rum."

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