Wenn ein neues Marktsegment zwei Jahre besteht, beginnt meist die Konsolidierung. So war es etwa bei Fernbussen zu beobachten: Entweder zogen sich Anbieter zurück oder wurden von Marktführer Flixbus übernommen. Nach zwei Jahren mit Elektrorollern in Deutschland ist noch immer Bewegung im Markt. Seit mehr als einer Woche versucht es das Unternehmen Bolt aus Estland in Hamburg, Berlin, Potsdam, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg, Fürth und München. Das Unternehmen hat Bremen momentan nicht auf dem Schirm. Ein Sprecher sagte dem WESER-KURIER: „Bolt ist ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, und wir informieren, wenn es etwas Neues zu verkünden gibt.“ Momentan ist es nach eigenen Angaben in 40 Ländern in Europa und Afrika aktiv.
Die Anbieter müssen schauen, wie sie Mehrwert schaffen und wie sie ihre Marktanteile ausbauen können. Bei Voi soll das Wachstum nicht allein über die Menge laufen, wie Sprecher Caspar Spinnen sagt: „Für die Zukunft stellen wir uns auch die Frage: Macht es Sinn, an einen Standort einfach eine große Flotte hinzustellen, oder ist es da nicht besser, im Dialog mit der Stadt gemeinsam zu schauen, wo man die E-Scooter besser an den relevanten Mobilitätspunkten des ÖPNV verteilen kann.“ Bremen sei dem Unternehmen sehr wichtig – denn das Geschäftskonzept funktioniere eben besonders in Städten gut, in denen es eine gute Infrastruktur für Fahrräder gibt.
Auch die Kooperation mit einer Stadt sei von großer Bedeutung: „Wir merken, dass dort, wo wir in engem Austausch mit der Stadt und den Behörden sind, eine bessere Umsetzung hinbekommen, die die lokalen Bedürfnisse am besten ergänzt. Da kann man auch gemeinsam die Kommunikation besser abstimmen.“ Für Voi lohne sich der Dialog, auch wenn man an der einen oder anderen Stelle zusätzliche Auflagen in Kauf nehmen müsse.
Ebenso steht das Berliner Start-up Tier nach eigenen Angaben im Dialog mit der Stadt, wie Sprecher Florian Anders sagt: „In Bremen sind wir mit verschiedenen Vertretern der Stadt nahezu in wöchentlichem Austausch, um unseren Service ständig zu verbessern.“ Dazu gibt es vor Ort ein Team, das als Ansprechpartner für die Stadt dient. Die Stadt Bremen bezeichnet sowohl bei Tier als auch bei Voi die Zusammenarbeit mit den Ansprechpartnern als sehr kooperativ. Der Sprecher des Bremer Verkehrsressorts, Jens Tittmann, stellt fest: "Sie bringen auch selbst Ideen zur Verbesserung der Situation ein." Dem Unternehmen sei von Anfang an klar gewesen, dass dieser Austausch mit allen Städten höchste Priorität habe. Es brauche dabei auch den Austausch mit Nutzern, Anwohnern und verschiedenen Interessengemeinschaften. Bundesweit arbeiten für Tier inzwischen mehr als 900 Menschen.
Konkurrent Voi sieht trotz des bestehenden Gesprächs mit der Stadt die Notwendigkeit, das Team „öffentliche Ordnung“ weiter zu verstärken. Erst im April ist Neele Reimann-Philipp dort hinzugekommen. Zuvor arbeitete sie bei der Berliner Senatskanzlei als Referentin in der Projektgruppe Smart City. So profitiert Voi von jemandem, der weiß, wie Behörden und Städte ticken – als ob man so verhindern wolle, dass wie bereits Kopenhagen auch andere Städte die Roller aus dem Innenstadt-Bereich verbannen.
Um dem entgegenzuwirken, schauen auch die Unternehmen, wie sie das Abstellen der Scooter in geordnetere Bahnen lenken können. Voi hat dazu Studien mit Parkmodulen gemacht, in denen die Gefährte abgestellt werden. Sprecher Caspar Spinnen sagt: „Es könnte sein, dass in Deutschland Bremen sogar eine der ersten Städte ist, in denen diese Parkgestelle zum Einsatz kommen werden.“
Bis 2023 klimaneutral
Dann ist da noch der Aspekt mit der Umweltfreundlichkeit. Laut Caspar Spinnen hat Voi das Ziel: „Bis 2023 wollen wir so klimaneutral werden, dass wir auch nicht mehr den Ausgleich über Klimazertifikate benötigen.“ Seit vergangenem Jahr setzt man bei den Geräten auf austauschbare Akkus. „Sie werden schon jetzt mit Strom aus regenerativen Energien aufgeladen“, fügt Spinnen an. Mitbewerber Tier gleicht die Emissionen durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten in Deutschland und Südamerika aus.
Voi testet in den ersten Städten bereits E-Bikes. Und beim Stichwort „autofreie Innenstadt" ergänzt der Sprecher: „Das wäre genau das, was wir mit unserem Geschäftsmodell unterstützen wollen.“ In den ersten Städten sind die Voi-Roller auch über die Mobilitäts-App von „Free Now“ buchbar, dem Joint Venture von Daimler und BMW. Und ebenso möchte Tier mit den E-Rollern am liebsten so viele Autos wie möglich ersetzen. Markteinsteiger Bolt bezeichnet sich auf seiner Internetseite ebenfalls als umweltfreundlich. Wie das gemeint ist, ist auf der Homepage nicht zu finden, auch der Bolt-Sprecher wollte das nicht näher ausführen. Wenn das Angebot wirklich klimaneutral ist und der Akkustrom komplett aus regenerativen Energien stammt, sieht Verkehrsressort-Sprecher Tittmann die E-Roller als sinnvolle Ergänzung für die Kurzstrecke, für Touristen oder teilweise auch für die letzte Meile.