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Emissionshandel Der lange Weg zum grünen Stahl

Das Europaparlament berät in dieser Woche über die neue Klimaschutzpolitik der EU. Dabei geht es auch um die Zukunft des Bremer Stahlwerks.
07.06.2022, 17:46 Uhr
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Der lange Weg zum grünen Stahl
Von Christoph Barth

Was das Europäische Parlament in dieser Woche in Brüssel zu beraten hat, hört sich nach einem Fall für Technokraten an: Es geht um ETS und CBAM. Ausgeschrieben und übersetzt heißt das: Emissionshandel und Grenzausgleichsabgabe, was die Sache nicht verständlicher macht. Doch die Auswirkungen der Beschlüsse im fernen Brüssel zu ETS und CBAM reichen bis nach Bremen-Mittelsbüren. Dort liegt das Hüttenwerk von Arcelor-Mittal, dessen Zukunft von den Entscheidungen unmittelbar berührt ist.

Was ist ETS?

ETS steht für das Emission Trading System, den Emissionshandel der EU. Seit 2005 müssen Unternehmen für jede Tonne des Treibhausgases CO2, die sie ausstoßen, Zertifikate erwerben. Durch eine schrittweise Verknappung der Zertifikate sollen diese immer teurer werden, so dass die Unternehmen einen Anreiz bekommen, ihre Werke zu modernisieren und weniger CO2 auszustoßen. Einige Branchen allerdings bekommen den Großteil ihrer Zertifikate kostenlos zugeteilt, weil die EU befürchtet, dass die Produktion anderenfalls ins Ausland abwandert und dort umso mehr Kohlendioxid in die Luft gepustet wird. Zu den bevorzugten Branchen zählt die Stahlindustrie, deren Hütten zu den größten CO2-Schleudern in Europa gehören. 

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Was will die EU-Kommission daran ändern?

Die EU-Kommission will bis 2030 den CO2-Ausstoß ihrer Mitgliedsländer um 55 Prozent reduzieren. Zu diesem Zweck soll die freie Zuteilung von Zertifikaten auch für die energieintensiven Industriezweige wie die Stahlindustrie schrittweise auf null zurückgefahren werden. Das heißt: Für den Betrieb ihrer mit Koks befüllten Hochöfen müsste die Stahlindustrie dann CO2-Zertifikate erwerben. Stahl aus Europa würde also teurer werden.

Wie will die EU verhindern, dass dann nur noch billiger Stahl aus China importiert wird?

Hier kommt CBAM ins Spiel. CBAM steht für Carbon Border Adjustment Mechanism, auf Deutsch:  Grenzausgleichsabgabe für Kohlenstoff. Mit dieser Abgabe will die EU den Import energieintensiver Produkte wie Stahl, Aluminium, Zement oder Dünger belegen, damit diese nicht in China oder anderen Drittländern billig produziert und nach Europa eingeführt werden können. CBAM würde also wie eine Einfuhrsteuer auf Produkte wirken, die mit niedrigeren Umweltstandards als in Europa hergestellt wurden.

Funktioniert die Grenzausgleichsabgabe?

Daran gibt es Zweifel. Immerhin ist die Abgabe ein Eingriff in den freien Welthandel, der bei Exportländern wie China zu Gegenreaktionen führen kann. "Und es gibt Umgehungsmöglichkeiten", warnt der EU-Parlamentsabgeordnete Joachim Schuster (SPD) aus Bremen. "Wenn China etwa erklärt, sein Stahl werde mit grüner Energie erzeugt, müsste man das Gegenteil erst mal beweisen."

Was sagt die Stahlindustrie?

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl, der Interessensverband der Branche, hat die verschiedenen Szenarien vom Prognos-Institut durchrechnen lassen. Ergebnis: Bei einer Reduzierung der CO2-Zertifikate auf null bis 2035 und ohne wirksamen Schutz vor Billigimporten bräche in Europa die klassische Stahlproduktion über den Hochofen bis Ende des Jahrzehnts zusammen; Investitionen in eine "grüne" Stahlproduktion unterblieben. Die Folge: "Breitflächige Deindustrialisierung", so die Gutachter, "rund 200.000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und Zulieferbranchen fallen weg."

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Wie kommt man raus aus der Zwickmühle?

Die Stahlindustrie hat Milliardeninvestitionen in die Umrüstung ihrer Werke auf die Produktion von grünem Stahl angekündigt. Bereits Mitte der 2020er Jahre sollen in Bremen, Salzgitter und Duisburg die ersten Hochöfen stillgelegt und durch Direktreduktionsanlagen und Elektroöfen ersetzt werden. Wenn diese mit Wasserstoff und Windstrom betrieben werden, können sie CO2-freien Stahl herstellen. Im Gegenzug fordert die Industrie für die Übergangszeit eine Fortsetzung der kostenlosen Zuteilung von CO2-Zertifikaten – und findet damit im Europaparlament Gehör. "Wenn die Unternehmen ernsthaft und nachweislich auf dem Weg sind, ihre Produktion klimaneutral umzustellen, macht es wenig Sinn, ihre Kosten zu erhöhen", gibt der Bremer SPD-Abgeordnete Schuster zu bedenken. Das Problem: Grüner Stahl ist erheblich teurer als herkömmlicher Stahl – ohne irgendeine Form von Kostenausgleich wird es also auch nach der Stilllegung des letzten Hochofens schwierig für die europäischen Stahlkocher.

Worum geht es in der Parlamentsdebatte diese Woche?

Das EU-Parlament berät die Vorschläge der EU-Kommission zu ihrem Klimaschutzpaket "Fit for 55". Auf dem Tisch liegen über 300 Änderungsantrage zu zahlreichen Details des Pakets; die Debatten darüber gehen quer durch alle Fraktionen. "Man kann nicht sagen, wie es ausgeht", räumt Schuster ein. "Es wird sehr spannend." Und das letzte Wort ist auch nach der Abstimmung im Parlament noch nicht gesprochen: Als nächstes wird sich im Juni der EU-Rat mit dem Paket befassen. Unter Dach und Fach sein wird die neue Klimaschutzpolitik der EU wohl nicht vor Ende des Jahres. 

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