Am Ende ging dem Feuer vorzeitig die Luft aus: Weil reichlich Wind- und Sonnenenergie durchs Stromnetz floss, hatten die Kraftwerker in Hastedt den Brenner von Block 15 bereits am Wochenende heruntergefahren – zum letzten Mal. Ihr Kohlestrom wird nicht mehr gebraucht. Als der Bürgermeister, zwei Senatorinnen und ein paar Dutzend Ehrengäste am Dienstag aufs Werksgelände strömten, um Bremens letzten Kohlemeiler ganz offiziell stillzulegen, kühlte der Kessel bereits ab; aus dem Schornstein waberte nur noch die Resthitze.
Nicht immer ist Weltbewegendes passiert, wenn in Festansprachen vom "Ende einer Ära" die Rede ist. Aber der Ausstieg Bremens aus der Kohle – nach 130 Jahren – ist dann doch etwas Besonderes. "Dies ist ein Tag, der in die Geschichte Bremens eingeht", prophezeit Kathrin Moosdorf (Grüne), die Klima- und Umweltsenatorin.
Bremens erstes Kraftwerk
1893 hatte das erste Bremer Elektrizitätswerk an der Schlachthofstraße am Hauptbahnhof (heute Theodor-Heuss-Allee) den Betrieb aufgenommen. Hauptabnehmer des Stroms war damals die Straßenbahn, die gerade von Pferdekraft auf elektrische Energie umstellte. Bald schon reichte die Leistung der "Elektrischen Centralanlage" an der Schlachthofstraße, dem heutigen SWB-Firmensitz, nicht mehr aus. Ein neues Kraftwerk musste her. Die Wahl fiel auf einen Standort an der Weser mit Hafenanschluss, über den die wachsenden Mengen an Kohle herangeschafft werden konnten: 1906 ging das Kraftwerk Hastedt in Betrieb.
Seitdem ist viel Wasser die Weser herabgeflossen. Längst ist Strom in allen Haushalten eine Selbstverständlichkeit; auch die Industrie wurde zum Großabnehmer. Die Kohle jedoch bekam Konkurrenz – erst durch Öl und Gas, dann durch die Atomkraft, heute durch Wind und Sonne. Mittlerweile ist ihr guter Ruf ruiniert.
Rein äußerlich betrachtet ist der Block 15 des Kraftwerks Hastedt eine saubere Sache: kein Ruß, kein Kohlestaub, kein Schmutz an den Fassaden. Aus dem Schornstein quollen selbst bei Hochbetrieb keine schwarzen Rauchschwaden, sondern weißer Dampf. Allerdings auch 700.000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Und das wurde zunehmend zum Problem.
Sogar die Grünen sind für die Kohle
Als der neue Kraftwerksblock 1990 ans Netz ging, waren sogar die Grünen noch dafür: Der Kohlemeiler konnte sowohl Strom als auch Fernwärme erzeugen. 80 Prozent der Energie, die in einem Brocken Kohle stecken, wurden dank "Kraft-Wärme-Kopplung" genutzt – und das fanden die meisten Bremer kurz nach dem Tschernobyl-GAU allemal besser als Atomkraft. "Block 15 war damals die Alternative zu Atomstrom", erinnert Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD).
Die Kohle kam anfangs aus der Ruhrpott-Zeche "Auguste Victoria", später aus Südafrika, Polen, den USA und Russland. 1000 Tonnen verfeuerte der Kessel von Block 15 am Tag. Der Strom ging ins Netz, die Fernwärme in die Haushalte des Bremer Ostens und ins Mercedes-Werk.

Das letzte Stück Kohle gibt es in Kunstharz eingeschweißt (von links): Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf, Bürgermeister Andreas Bovenschulte, SWB-Chef Karsten Schneiker, Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt.
Doch die Zeiten ändern sich: Der Klimawandel ist keine wissenschaftliche Theoriedebatte mehr, sondern unübersehbare Wirklichkeit. Und schuld sind Kohle, Öl und Gas. Deshalb geht es den CO2-Schleudern jetzt an den Kragen. "Die Dekarbonisierung ist nicht ohne Risiko, aber alternativlos", stellt Bovenschulte fest.
2021 hatte die SWB bereits das Kraftwerk Hafen in den Industriehäfen stillgelegt. Hastedt sollte zum Jahresende 2022 folgen. Die Kohlelieferverträge waren gekündigt, die 80 Mitarbeiter bereits für andere Posten im Unternehmen verplant. Dann überfiel Russland sein Nachbarland Ukraine, kappte die Erdgaslieferungen nach Deutschland und löste eine mittlere Panik an den Energiemärkten aus. Hastedt musste am Netz bleiben. "Das Kraftwerk hat uns durch die Krise geführt und dafür gesorgt, dass die Heizung an blieb", resümiert Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke).
Gemischte Gefühle
Wenn am letzten Tag von Block 15 viel von "gemischten Gefühlen" die Rede ist, liegt es auch an Erinnerungen wie diesen: an die Zuverlässigkeit des Kraftwerks, den Rund-um-die-Uhr-Betrieb an 365 Tagen im Jahr, an die gemeinsamen Anstrengungen, das Feuer im Kessel nicht verlöschen zu lassen. "Auch wenn Kraftwerker gerne als ,harte' Jungs gelten, kommen da schon Gefühle hoch", hatte Werkschef Marcus Bol kurz vor der Stilllegung im Gespräch mit dem WESER-KURIER eingeräumt. "Und so ein Block als Dreh- und Angelpunkt des Arbeitslebens wächst einem natürlich ans Herz."
Die gute Nachricht ist: Für alle 80 Kraftwerker am Standort Hastedt ist nach dem Kohle-Aus gesorgt. 30 wechseln in andere SWB-Anlagen, 50 bleiben am Standort. In Hastedt läuft jetzt ein Blockheizkraftwerk aus neun Gasmotoren, die flexibel für die Strom- und Wärmeversorgung eingesetzt werden können. Von der Leitwarte aus wird auch das Wasserkraftwerk an der Weser gesteuert. Außerdem bleibt so einiges aufzuräumen: Schmieröl ablassen, Chemikalien entsorgen, Kohlebunker leeren.
Ein halbes Jahr werden die Stilllegungsarbeiten dauern, schätzt SWB-Chef Karsten Schneiker. Und dann? Abriss? Umbau? "Das ist noch nicht entschieden", sagt er. Bis etwas Neues kommt, werden Kesselhaus und Kohlesilos stehen bleiben. Die markante Silhouette des Kraftwerks bleibt den Bremern bis auf Weiteres erhalten.

Zwei Blöcke des Kraftwerks Hastedt sind mittlerweile stillgelegt. Das neue Blockheizkraftwerk übernimmt jetzt die Versorgung.