Es klingt wie Science fiction – und ist doch der ganz und gar ernst gemeinte Versuch, eine Großstadt wie Berlin oder Paris eines Tages vor der Vernichtung aus dem All zu bewahren: Wenn ein Asteroid auf Kollisionskurs mit der Erde gerät, soll die Menschheit gewappnet sein. Das jedenfalls ist das Ziel eines internationalen Großversuchs, der am Mittwoch mit dem Start der US-Raumsonde "Dart" auf der kalifornischen Luftwaffenbasis Vandenberg beginnt. Teil zwei des Experiments wird gerade auf dem Werksgelände des Bremer Satellitenbauers OHB vorbereitet: ein Weltallspäher namens "Hera".
Die Idee erscheint verwegen: Zum ersten Mal soll ein Himmelskörper mit einem von Menschen gebauten Fluggerät beschossen und aus der Bahn geworfen werden. "Es geht dabei nicht um die ganz großen Brocken im All", räumt Stefan Voegt ein, Raumfahrtingenieur und Projektleiter bei OHB. Ein kilometergroßer Asteroid, wie er möglicherweise den Dinosauriern zum Verhängnis wurde, würde wohl auch die hoch technisierte Welt des 21. Jahrhunderts in Schutt und Asche legen. "Aber auch kleinere Asteroiden sind relativ weit verbreitet", erklärt Voegt. Schon bei einem Durchmesser von 150 Metern hätten sie das Potenzial, eine Großstadt zu zerstören. "Und die Flugbahn von Asteroiden dieser Größe kann man versuchen zu ändern", so Voegt.
"Dart" startet aus Kalifornien am Mittwoch ins All
Zu diesem Zweck startet am Mittwoch in Kalifornien eine "Falcon 9"-Rakete ins All. An Bord: die Raumsonde "Dart", ein Pkw-großer, gut 500 Kilogramm schwerer Flugkörper, der vor allem eine Aufgabe hat – sich im kommenden Jahr mit voller Wucht auf einen Asteroiden zu stürzen. Trotz der vergleichsweise schlichten Angriffstaktik ist das Unterfangen "keineswegs trivial", gibt Voegt zu bedenken: "So ein Asteroid ist im Weltall ja nur ein Krümel – den muss man erst mal treffen."
Die Wahl fiel auf Didymos, einen Doppel-Asteroiden, der der Erde auf seiner Umlaufbahn im kommenden Jahr zwar mit zehn Millionen Kilometern vergleichsweise nahe kommt, aber keine Gefahr darstellt. Um den knapp 800 Meter großen Didymos-Hauptbrocken kreist ein kleiner Mond – 160 Meter dick und dabei krumm und schief wie eine Kartoffel. Die Astronomen haben ihn Dimorphos getauft. Und dieser Winzling ist das Ziel der Attacke.
Was genau Ende September oder Anfang Oktober nächsten Jahres passieren wird, wenn sich "Dart" mit einer Geschwindigkeit von fast 25.000 Kilometern pro Stunde in Dimorphos bohrt, weiß keiner so genau. "Natürlich wird der Asteroid nicht wie eine Billardkugel durch die Gegend fliegen", erklärt Voegt. Dazu sind die Gewichtsunterschiede zwischen "Dart" und Dimorphos zu groß. Die Experten erwarten durch den Aufschlag eher eine winzige Verlangsamung des Asteroiden-Mondes, vielleicht um einen halben Millimeter pro Sekunde – was aber ausreichen würde, die Umlaufbahn um seinen großen Bruder Didymos messbar zu verändern.
"Hera" soll Wirkunsgtreffer von "Dart" beobachten
Und an dieser Stelle kommt "Hera" ins Spiel: Die Europäer wollen ihre Raumsonde in knapp drei Jahren mit einer Ariane-6-Rakete starten und zum Ort der Kollision schicken. Gut zwei Jahre wird "Hera" benötigen und sich dabei zeitweilig 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernen, um in die Umlaufbahn von Didymos einzuschwenken. Ende 2026/Anfang 2027 soll sich die Sonde dann dem Asteroiden-Paar bis auf wenige Kilometer nähern und den Wirkungstreffer von "Dart" aus nächster Nähe begutachten.
"Die wichtigste Nutzlast sind zwei Kameras, mit denen zum Beispiel der Aufschlagkrater fotografiert werden soll", erklärt OHB-Projektleiter Voegt. Dazu kommen Antennen, Laserhöhenmesser, Infrarot- und Hyperspektralgeräte. Die Asteroiden-Forscher erhoffen sich Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Asteroiden und seine Masse: Bis auf zehn Prozent genau wollen sie das Gewicht von Dimorphos auf der Grundlage der von "Hera" gelieferten Daten bestimmen, um ihre Modelle und Berechnungen mit echten Daten zu vergleichen.
Der Bau von "Hera" bei OHB soll Anfang nächsten Jahres beginnen. Wenn die Raumsonde dann im September 2023 die Werkshalle verlässt, werden weitere drei Jahre vergehen, bis sie nach umfangreichen Tests und einer weiten Reise ihr Ziel erreicht. Projektleiter Voegt will "Hera" aber bis zum Schluss im Auge behalten: "Alle sind hier mit Herzblut dabei, jeder wird das verfolgen", sagt der 60-Jährige. "Denn dies ist eine besondere Mission." Es geht schließlich um die Rettung der Menschheit.