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Abfallwirtschaftsgesellschaft Abfallwirtschaft im Wandel: Nieweler zieht Bilanz

Andreas Nieweler, langjähriger Leiter der Abfallwirtschaft, blickt zurück auf seine Karriere und die Veränderungen in der Branche.
06.06.2024, 17:02 Uhr
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Abfallwirtschaft im Wandel: Nieweler zieht Bilanz
Von Sarah Essing

Herr Nieweler, wie fühlt es sich an, nach so vielen Jahren in der Abfallwirtschaft in den Ruhestand zu gehen?

Andreas Nieweler: Das fühlt sich ziemlich gut an. Ich habe es ehrlicherweise eine ganze Zeit verdrängt. Mittlerweile ist es aber so, dass ich mich auch wirklich sehr darauf freue, die Verantwortung weitergeben zu können. Und das tue ich mit einem guten Gefühl, weil wir auf diesen Zeitpunkt intern auch gut hingearbeitet haben.

Was waren die größten Herausforderungen, die Sie während Ihrer Karriere erlebt haben?

In der gebotenen Kürze schwierig. Vielleicht war das tatsächlich ab Ende der 1980er-Jahre die beginnende Abkehr von der reinen Abfallbeseitigung. Ich habe die Abfallwirtschaft hier – wie seinerzeit überall in Deutschland – vorgefunden, mit kaum einer Trennung oder einer getrennten Erfassung, sondern im Grunde genommen mit einem Behälter pro Haushalt, in dem die Reste erfasst wurden und dann letzten Endes nur deponiert wurden. Es wurde nicht mehr damit gemacht. Der Aufbau einer weitgehenden Getrennterfassung in den Haushalten, und zwar einmal im Holsystem, indem man den Haushalten mehr Behälter gegeben hat, bis hin zu heute vier Behältnissen pro Haushalt, und auf der anderen Seite parallel der Aufbau der Getrennterfassung auf Wertstoffhöfen. Man hat relativ schnell erkannt, dass alles, was wirklich getrennt erfasst wird, eine höhere Qualität hat und damit dann auch besser recycelt werden kann. Zwar kann man alles, was einmal gemischt ist, grundsätzlich sortieren, aber es liefert oft nicht die Qualitäten, die man gerne für eine Wiederverwertung hätte. Wir konnten hier eine umfassende Entwicklung von der reinen Beseitigung hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft umsetzen.

Wie hat sich das Recycling und die Wiederverwertung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Wir unterscheiden in der Branche die stoffliche Verwertung, also das eigentliche Recycling, von der energetischen Verwertung. Insgesamt kann man heute, wenn man nur mal den Bereich der privaten Haushalte ansieht, ungefähr bis zu 95 Prozent verwerten. Die bessere und höherwertige Verwertung dabei ist das echte Recycling, also wirklich aus alten Stoffen neue Materialien zu machen. Aus altem Metall wird neues gemacht, aus altem Papier neues und so weiter. Das, was man nicht stofflich verwerten kann, wird zumindest heute noch energetisch genutzt. Deutlich gesagt werden muss aber, dass dies immer nur die zweitbeste Lösung ist. Wenn ich die Stoffe als solche nicht eins zu eins wieder einsetzen kann für neue Produkte, dann kann zumindest immer noch der Energieinhalt genutzt und die Stoffe in geeigneten Anlagen, zum Beispiel in unserem Heizkraftwerk in Blumenthal, geordnet verbrannt werden. Und dann kann man eben noch Strom und Wärme daraus gewinnen. Vorrang muss aber prinzipiell immer das echte Recycling haben, weil es einfach Rohstoffe spart. Stoffe, die ich verbrenne, sind endgültig verloren.

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Welche Technologien und Methoden haben sich in dieser Zeit durchgesetzt?

Das ist ein sehr großes Feld und fängt mit den entsprechenden Behältern und Sammelsystemen für die verschiedenen Stoffe und Abfälle an. Wir haben mittlerweile eine sehr ausgefeilte Logistik. So arbeitet man heutzutage etwa mit höherwertigen Fahrzeugen, zum Beispiel Seitenladern. Wenn man in die Behandlung geht, gibt es heute spezielle Anlagen, wo man aus Abfallströmen mit Biomasse dann eben auch Biogas produziert. Das machen wir sowohl beim Bio- als auch beim Restabfall, denn auch der enthält immer noch organische Reststoffe, aus denen man Biogas produzieren kann – womit dann wiederum Strom und Wärme erzeugt wird. Hier gäbe es noch viele weitere Beispiele.

Was sind Ihrer Meinung nach die nächsten großen Trends und Innovationen im Bereich Abfallwirtschaft und Recycling?

Ich glaube, insgesamt der Bereich, wo am meisten Nachholbedarf besteht und zurzeit auch große Aktivitäten stattfinden, sowohl wissenschaftlich als auch praktisch: der Bereich der Kunststoffverwertung. Wir haben in allen Bereichen, etwa bei Papier, Metall, Glas, Bauabfälle, Altholz, schon sehr hohe Recycling- oder Wiederverwertungsquoten erreicht. Da liegen wir oft bei über 90 Prozent. Doch der Kunststoff-Bereich hinkt hinterher. Da liegen wir bei einer Größenordnung von etwas mehr als 50 Prozent, und wenn wir hier noch mehr erreichen wollen, müssen wir noch mehr Technik einsetzen. Und die Industrie muss sehr wahrscheinlich auch darüber nachdenken, ob es diese Vielfalt an Kunststoffen noch geben muss. Zum Beispiel im Verpackungsbereich, wo zum Teil bis zu acht oder neun verschiedene Kunststoffsorten in einer Verpackung verwendet werden oder ob die Hersteller sich auch ein Stück weit auf eine Vereinheitlichung der Rezepturen einigen können, sodass dann auch eine höhere Verwertungsquote erreicht werden kann, weil man nicht mehr auf so viele unterschiedliche Stoffe stößt. Das wäre wünschenswert. Auch ist ein Trend zur Weiternutzung und Wiederverwendung sowie höherer Reparierbarkeit, wie es früher üblich war, erkennbar.

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Auf welche Errungenschaft bei der AWG sind Sie besonders stolz?

Ja, da gäbe es einiges zu sagen. Vielleicht so viel: Ich bin nach wie vor ein großer Fan davon, in der Region, wo der Abfall entsteht, auch die Verantwortung dafür zu übernehmen und sich selbst um den Abfall zu kümmern, um den 'Abfalltourismus' so gut es geht zu reduzieren. Dafür hat man im Landkreis Diepholz politisch schon in den 1990er-Jahren die Weichen gestellt und gesagt: 'Wir wollen mit dem Entsorgungszentrum Bassum eine Einrichtung schaffen, wo wir uns um die Dinge, die hier in der Region anfallen, selber kümmern'. Wir haben aber zum Beispiel keine Papierfabrik, also müssen wir die Mengen etwa nach Hoya fahren. Doch wir versuchen – und das gelingt auch gut –, den allergrößten Teil der Abfälle und der Wertstoffe hier im Landkreis zu behandeln. Und dann beschäftigt man sich automatisch mit dem Gedanken: Wie kann ich Abfälle reduzieren, wie kann ich Abfälle vermeiden? Allerdings ist das eher eine Aufgabe der produzierenden Industrie.

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Welche Herausforderungen sehen Sie für die Abfallwirtschaft in den nächsten Jahren?

Einen Punkt haben wir eben schon angesprochen: Wir müssen auf jeden Fall mehr tun für den Bereich der Kunststoffverwertung. Auch das fängt bei der Sammlung an und hört bei den weiteren Aufbereitungs- und Verwertungsschritten auf. Und das Zweite ist, dass wir die Abfallwirtschaft noch stärker als bisher an der CO₂-Produktion ausrichten müssen. Das bedeutet, wir müssen uns, was die Anlagentechnik angeht und den Verbleib der einzelnen Stoffströme, sehr viel stärker daran orientieren, welche Verfahren besonders klimafreundlich sind und welche vielleicht eher nicht. Diese Ausrichtung muss in den nächsten fünf bis zehn Jahren sehr stark erfolgen. Auch die Sammlung und der Transport müssen überdacht werden. Wir setzten bereits jetzt schon arbeitstäglich Lkw mit alternativen Antrieben ein. Zwei Fahrzeuge werden bereits rein elektrisch mit selbst erzeugtem grünem Strom betrieben. Diese Entwicklung wird weitergehen.

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Zur Person

Andreas Nieweler, 63 Jahre, ist seit 1. September 2004 der alleinverantwortliche Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft Bassum. Nun geht er in den Ruhestand. Der gelernte Ingenieur für Ver- und Entsorgungstechnik und studierte technische Betriebswirt begann seine Laufbahn vor 38 Jahren bei dem Entsorgungsunternehmen. Zunächst als technischer Leiter für 18 Jahre, dann als Geschäftsführer.

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