Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Anerkennung von Impfschäden „Ich fühle mich komplett alleingelassen“

Nicol Schlotmann ist überzeugt, dass eine Corona-Impfung zu ihren gesundheitlichen Problemen geführt hat. Beim Kampf um die Anerkennung eines möglichen Impfschadens fühlt sie sich "in die Psycho-Ecke gedrängt".
01.08.2022, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
„Ich fühle mich komplett alleingelassen“
Von Marc Hagedorn

Es gab eine Zeit, da konnte Nicol Schlotmann ohne Probleme 40 Liegestütze machen. Jeden Tag vor Dienstbeginn sei das ihr Ritual gewesen, sagt sie. Damals hat sie noch als Busfahrerin gearbeitet. An Liegestütze und eine geregelte Arbeit ist für die 47-Jährige aus dem Landkreis Oldenburg seit einem Jahr nicht mehr zu denken. Seit Juli 2021 hat sich ihr Gesundheitszustand dauerhaft und gravierend verschlechtert. Schlotmann führt das auf ihre Coronaimpfung zurück. Anfang dieses Jahres hat sie deshalb einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt.

Wie Schlotmann geht es mehreren Menschen in Deutschland – wie vielen genau, ist nicht bekannt. Eine Recherche des ZDF gibt aber ein Gefühl dafür: So sollen in Niedersachsen bisher 306 Menschen Anträge auf Folgeschäden nach einer Coronaimpfung gestellt haben. In Berlin sind es 337, in Rheinland-Pfalz 261, in Sachsen 233. Auf Nachfrage des WESER-KURIER berichtet das Sozialressort für Bremen von 34 Anträgen.

Schlotmann berichtet von Sehstörungen

Nicol Schlotmann hat seit einem Jahr Sehstörungen, sieht Doppelbilder und kann Entfernungen nur noch schlecht einschätzen. Sie klagt regelmäßig über Blutdruckschwankungen, Kopf- und Gliederschmerzen. In ihren Händen und Füßen kribbelt’s, beim Gehen hat sie große Probleme. Ihren Beruf als Busfahrerin übt sie schon lange nicht mehr aus.

Lesen Sie auch

„Es ist heftig, was ich seit einem Jahr gesundheitlich durchmachen muss“, sagt Schlotmann, „und genauso schlimm ist, dass ich mich komplett allein gelassen fühle.“ Auf eine Anerkennung eines Impfschadens durch die Covid-Schutzimpfung wartet sie noch – und viel Hoffnung auf einen für sie positiven Bescheid hat sie nicht. „Die meisten Fälle werden doch abgelehnt“, sagt sie.

Es konnte kein Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Impfung erkannt werden.
Bremer Sozialressort

Tatsächlich ist die Zahl der Anerkennungen verschwindend gering. In Bremen sind von den 34 Anträgen, die an das Amt für Versorgung und Integration gestellt werden müssen, 13 überprüft und abgelehnt worden. Die übrigen 21 Fälle werden noch untersucht. Auch in Hessen ist laut ZDF-Heute noch kein Fall anerkannt worden, in Nordrhein-Westfalen sollen es 18 sein, in Bayern 14, in Sachsen neun, in Sachsen-Anhalt vier und in Rheinland-Pfalz drei.

Das Sozialressort schreibt zu den 13 abgelehnten Fällen in Bremen: „Es konnte kein Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Impfung erkannt werden.“ Das ist aber Voraussetzung für eine Anerkennung, außerdem müssen die gesundheitlichen Auswirkungen schwerwiegend sein und mindestens ein halbes Jahr nach dem Impftermin fortbestehen.

Lesen Sie auch

Nicol Schlotmann sagt, dass sie ihre Leiden dokumentieren könne. Sie sei unter anderem bei mehreren Augenärzten, Neurologen und Hautärzten gewesen. Sie habe sich an der Medizinischen Hochschule in Hannover vorgestellt und im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das Ergebnis: „Keiner findet so richtig etwas.“ Ihr Gefühl: „Wenn ich im Gespräch mit den Ärzten einen Zusammenhang mit der Impfung herstelle, machen die meisten dicht. Als Betroffener fühlt man sich in dem Moment in die Psycho-Ecke gedrängt.“

Forschung steht noch am Anfang

Die Forschung zum sogenannten Post-Vac-Syndrom, also anhaltenden Symptomen nach einer Impfung, steht noch am Anfang. Erste Untersuchungen zeigen, dass eine vor der Impfung unbekannte Erkrankung dahinter stecken könnte, etwa eine Hirnhautentzündung oder eine Autoimmunerkrankung, die durch die Impfung einen Schub erfahren hat. Daten auf breiter Basis dazu fehlen aber noch. 

Nicol Schlotmann hat vor vier Wochen gemeinsam mit einer Bekannten eine Selbsthilfegruppe in Harpstedt gegründet, die sich ein Mal im Monat trifft. 20 Betroffene kamen zum ersten Treffen. Die Gruppe sei größer geworden seitdem, sagt Schlotmann. „Und allen geht es wie mir“, sagt sie, „der Gesundheitszustand wird eher schlechter als besser, und die Verzweiflung wächst.“

Lesen Sie auch

Der aktuelle Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts, das Daten zu Impfungen sammelt, hat bis März über 172 Millionen Impfungen gezählt. In 296.233 Verdachtsfällen haben Gesundheitsämter, Ärzte oder die Patienten selbst Nebenwirkungen gemeldet. Zu schwerwiegenden Reaktionen, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen, kommt es laut Institut in 0,02 Prozent der Fälle, umgerechnet nach jeder 5000. Impfung.

"Schwerwiegende Nebenwirkungen treten nach einer Corona-Schutzimpfung sehr selten auf", schreibt das Bundesgesundheitsministerium, das fürs Impfen wirbt, "deutlich größer ist die Gefahr, einen schweren oder langwierigen Krankheitsverlauf zu erleiden, wenn Sie sich mit Corona infizieren." Beim Bremer Gesundheitsamt sind bis heute 31 Fälle von meldepflichtigen Impfreaktionen wie Herzmuskelentzündungen oder thrombotische Erkrankungen angezeigt worden. Verabreicht wurden in Bremen bisher über 1,5 Millionen Impfdosen.

Schlotmann wünscht sich mehr Verständnis

Nicol Schlotmann sagt, dass sie sich mehr Verständnis dafür wünsche, dass hinter jeder Zahl ein Mensch stecke, der mehr Hilfe als bisher bekommen müsse. Dafür haben sich kürzlich auch fast 400 Betroffene in Baden-Württemberg starkgemacht. In einem Offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten fordern sie unter anderem eine intensivere wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas Impfschäden, mehr Forschungsgelder für Therapien und bundesweite Anlaufstellen für Betroffene. Bisher gibt es davon zwei, an der Uniklinik Marburg und an der Charité in Berlin. Auf der Warteliste in Marburg stehen nach Angaben der verantwortlichen Ärzte fast 2000 Namen.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)