Lange wurde darüber diskutiert, jetzt ist klar: Die Gemeinde Lilienthal setzt sich beim Landkreis Osterholz dafür ein, dass das St. Jürgensland für den Bau von Windrädern freigegeben wird. Die Mehrheit des Gemeinderats hat sich am Mittwoch dafür ausgesprochen, dem aktuellen Entwurf der Regionalplanung zu widersprechen. Nicht einverstanden ist man damit, dass Windräder auf zwei angedachten großen Flächen im Osten und Westen des Landstrichs wegen der Bedeutung für die Vogelwelt außen vor bleiben sollen. Eine solche pauschale Absage wird laut Beschluss nicht akzeptiert. Der Rat fordert, die beiden möglichen Standorte in die Planungen einzubeziehen. Ob sie tatsächlich geeignet sind, soll eine Umwelt- und Artenschutzprüfung zeigen. Ob die Kreisbehörde auf die Einwendungen aus Lilienthal eingeht und ihren Entwurf ändert, bleibt abzuwarten. Letztlich wird die Kreispolitik über die Festlegung der Vorranggebiete für Windkraft in der Region entscheiden.
Was wiegt mehr? Klimaschutz oder Vogelschutz? So lässt sich vielleicht zusammenfassen, zu welcher Frage die Ratsleute am Mittwoch Position bezogen. Wie sehr die Meinungen auseinandergehen, zeigte sich insbesondere bei den Grünen: Fraktionsvorsitzende Christina Klene plädierte dafür, die Finger vom St. Jürgensland zu lassen und hob die Bedeutung der selten gewordenen offenen Flächen für die Artenvielfalt hervor. Ihre Fraktionskollegin Meike Artmann hielt es dagegen für dringend geboten, den Klimaschutz voranzubringen und dafür beim Windkraftausbau auch über das Ziel hinauszugehen, das der Landkreis gesetzlich erfüllen muss. Es bei den 1,18 Prozent der Landkreisfläche zu belassen, fühle sich für sie wie die Note 4 in der Schule an – ausreichend, aber eben nicht gut. "Wir müssen besser und schneller werden", forderte sie mit Blick auf die fortschreitende Erderwärmung und all ihren Folgen. Bei den Linken machte Ratsherr Andreas Strassemeier deutlich, dass er zum Entwurf der Kreisverwaltung steht. Mehr zu tun als aktuell vorgegeben, gefährde den gesellschaftlichen Konsens, sagte er. Der Bau und Betrieb von zwei Windparks mit Anlagen, die 250 Meter hoch seien, würden einen erheblichen Eingriff in den Naturschutz darstellen.

Die Karte zeigt, wo künftig Windräder stehen könnten.
Beitrag zur Energiewende
Die Mehrheitsgruppe "Gemeinsam stark für Lilienthal", die CDU, FDP und Für Lilienthal bilden, ist dagegen, das St. Jürgensland – abgesehen vom Standort in Oberende – für die Windenergienutzung auszuschließen. "Wir müssen alle Potenziale prüfen", forderte Ratsherr John Hansen. Der Landkreis habe die beiden Flächen frühzeitig aus den Planungen herausgenommen, die Gemeinde aber trage eine eigene Verantwortung, so viel wie möglich zur Energiewende beizutragen. In der SPD-Fraktion gingen die Meinungen wiederum auseinander – Kurt Klepsch war dafür, an den Vorschlägen des Landkreises nicht zu rütteln, seine beiden Fraktionskollegen stimmten allerdings dafür, die Windkraftnutzung anzustreben und die Sache weiter zu prüfen.
Auch über den möglichen finanziellen Vorteil der Gemeinde durch den Betrieb von Windparks im St. Jürgensland wurde gesprochen: "Man kann den Eindruck gewinnen, dass es nur um finanzielle Interessen geht", merkte Linken-Ratsherr Strassemeier an. Meike Artmann (Grüne) findet es nicht problematisch: Wenn die Windräder dazu führten, dass die Gemeinde davon auch finanziell profitiere, könne ihr das nur recht sein. "Warum eigentlich nicht?", fragte sie in die Runde. So ehrlich müsse man sein.
Bürger hinterfragen Berater-Auftrag
Gut zweieinhalb Stunden dauerte es, bis es im Rat zur Abstimmung kam. Der Vorschlag, ein Veto gegen den Entwurf des Landkreises einzulegen, befürworteten 21 Ratsleute, sechs stimmten dagegen. Die Ratssitzung war wie erwartet auf reges Zuschauerinteresse gestoßen: 50 Bürgerinnen und Bürger verfolgten die Debatte. Bei denen, die sich in den beiden Einwohnerfragerunden zu Wort meldeten, überwogen die kritischen Stimmen. Bürgermeister Kim Fürwentsches zeigte sich nicht allzu sehr überrascht, dass schon allein die Frage, ob mögliche Windkraftstandorte überprüft werden sollen, so kontrovers diskutiert werde. Es sei ein emotional besetztes Thema, befand er, ihm gehe es darum, es sachlich zu behandeln.
Dass selbst unter Fachleuten die Meinungen weit auseinanderliegen, zeigte die beiden Vorträge, die ebenfalls Teil der Ratssitzung waren: Sabrina Hüpperling von der Biologischen Station Osterholz wiederholte ihre bereits öffentlich gemachte Kritik an der Idee, die beiden als besonders wertvoll eingeschätzten Flächen für die Windenergienutzung freizugeben. Der von der Gemeinde hinzugezogene Fachberater Günter Ratzbor gab dagegen zu verstehen, dass sich Windkraft und Vogelschutz nicht widersprechen. Die Kritiker aus den Reihen der Naturschutzverbände und andere Bürger zweifeln die Expertise des Beraters an und verweisen darauf, dass er kein Ornithologe sei, sondern Ingenieur für Landschaftspflege. Der Lilienthaler Peter Storm hat sich am Tag nach der Ratssitzung an die Kommunalaufsicht des Landkreises gewandt und will wissen, ob es richtig sein kann, dass die Gemeinde Ratzbor als Berater hinzugezogen hat. Die Verwaltung habe sich nicht neutral verhalten und mit der Verpflichtung Einfluss auf die Ratsentscheidung genommen, so die Kritik. Bürgermeister Kim Fürwentsches hatte in der Ratssitzung erklärt, die Gemeinde habe Ratzbor eingeschaltet, um deutlich zu machen, dass es unterschiedliche Sichtweisen zum Thema gibt. Die Empfehlung, sich an Ratzbor zu wenden, sei von der beim Niedersächsischen Umweltministerium angesiedelten Servicestelle Erneuerbare Energien gekommen, so Fürwentsches.