Bornreihe. Mit Lionel Messi wird ein Landesliga-Fußballer selten verglichen. Ein Typ wie Philip Bähr, der mit seinem wuchtigen Körper mehr für das Kopfballspiel als für feine Dribblings auf engstem Raum geschaffen scheint, kommt dafür auf den ersten Blick überhaupt nicht infrage. Wohl auch deshalb staunten seine Mitspieler nicht schlecht, als Bähr beim 3:2-Sieg seines SV Blau-Weiß Bornreihe in der Fußball-Landeliga beim TB Uphusen einen Treffer in Messi-Manier erzielte: Halblinks im Sechzehner schickte der 32-Jährige seinen Gegenspieler mit einem Übersteiger ins Leere und chippte den Ball über den Torhüter zum 3:1 ins Netz. Ein kleines Kunstwerk, so schön, dass die Bornreiher in den sozialen Medien den Video-Schnipsel des Treffers teilten und Bähr kurzerhand zum Bornreiher Messi erklärten.
Tatsächlich erinnert das Tor ein Stück weit an den Treffer des Argentiniers gegen Bayern München in der Champions League im Frühjahr 2015, als er zunächst Jerome Boateng und dann Manuel Neuer narrte. An die Reaktionen auf seinen Messi-Moment erinnert sich Bähr noch genau: "Die ganzen Jungs sind zum Jubeln gekommen und haben mich angeschaut nach dem Motto 'Alter, was hat du denn da gemacht?!'", sagt er und ergänzt mit einem Schmunzeln: "Daran merkt man ja auch, dass es nicht mein Spezialgebiet ist, so an einem Gegenspieler vorbei zu gehen." Einen Treffer wie diesen hat Bähr, seit Sommer 2011 ein "Moorteufel" in seinen 235 Ligaspielen selten erzielt. Sein 48. Punktspieltor war eines seiner schönsten. "Und vielleicht ist es ein perfektes Beispiel dafür, dass momentan einfach Dinge funktionieren, die sonst nicht funktionieren. Es ist einfach eine Leichtigkeit da", sagt er. Bei der gesamten Mannschaft, die sieben Siege in sieben Spielen gefeiert hat, und insbesondere bei ihm.
"Lulu", wie Bähr genannt wird, ist ein Gesicht des Bornreiher Top-Starts, nicht nur wegen seines Treffers in Uphusen. Er ist in bestechender Form. Gegen Hedendorf leitete er das 1:0 ein, beim 2:0 gegen Neetze bereitete er beide Tore vor, ehe er in den vergangenen drei Partien selbst fünf Mal traf. Zuletzt gelangen ihm zwei Doppelpacks in Folge, das hat er in Punktspielen für Bornreihe noch nie geschafft. Er entschied zunächst das Derby gegen Hambergen, dann das Spiel gegen Uphusen, bei dem er zudem mit seinem Pass auf Justin Dähnenkamp an der Basis von dessen Elfmetertreffer stand. "'Lulu tut der Mannschaft einfach gut", lobt Frank Meyer, der die "Moorteufel" gemeinsam mit Nils Gresens trainiert, den Angreifer. Den überrascht seine gute Verfassung nicht.
"Ich weiß gar nicht, ob ich in dieser Saison überhaupt schon ein Training verpasst habe. Ich fühle mich körperlich gut, habe keine Gebrechen. Das war in den letzten Jahren auch schon mal anders. Da hat es schon mal hier und da gezwickt", erklärt Bähr, der zwar selten durchspielt, dafür aber die Zeit, die er bekommt, umso besser nutzt. "Stürmer wie Karim Benzema und Robert Lewandowski sind auch im Alter immer besser geworden", bringt Meyer den Vergleich mit zwei weiteren Topstars ins Spiel. Bähr betrachtet die Situation nüchterner. "Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen und weiß, dass immer jüngere, schnellere und technisch versiertere Spieler nachkommen. Da muss man irgendwie seinen Platz finden in so einer Mannschaft." Diesen Platz hat er gefunden, beziehungsweise haben den auch seine beiden Trainer für ihn gefunden: im Zentrum des Dreiersturms.

Gegen Neetze vermisste Philip Bähr noch das Abschlussglück. Mittlerweile hat er es gefunden.
Diese Rolle scheint dem 32-Jährigen auf den Leib geschneidert. "In ihr sehe ich mich auch noch ein bisschen", sagt Bähr, der einst als Mittelfeldspieler zu den "Moorteufeln" kam. Er bewegt sich clever, kann Bälle festmachen und weiterleiten. Mittlerweile hat er auch sein Abschlussglück, das er nach dem Neetze-Spiel noch vermisst hatte, gefunden. Bähr mag zwar nicht mehr der Schnellste sein, die Spieler mit Geschwindigkeit wirbeln nun um ihn herum und füttern ihn mit ihren Zuspielen. Sogar Justin Dähnenkamp, bester Torschütze und ebenfalls ein Kandidat für den Part im Zentrum, kommt über den Flügel.
Er, Jeremy da Rocha Nunes oder auch Kai Diesing mögen eher für Messi-Vergleiche taugen, doch der oft unscheinbarere Bähr kann dem Spiel des Spitzenreiters im Herbst seiner Laufbahn immer noch viel geben. Genau das ist das Ziel des 32-Jährigen, der sagt: "Solange ich keinen der jungen Spieler ausbremse, kann ich mir vorstellen weiterzuspielen." Für diese Einstellung und Reflektiertheit wird Bähr bei den "Moorteufeln" so geschätzt. Er hat den Teamgedanken verinnerlicht. "Ich bin da, wenn ich gebraucht werde. Darauf können sich alle verlassen", sagt er, "aber ich bin keiner, der jammert, wenn er mal zwei Wochen nicht spielt."
Das ist auch gut so, denn genau zwei Wochen wird "Lulu" seinen Bornreihern nun fehlen. Er beendet seinen guten Lauf freiwillig, aber aus gutem Grund: Mit seiner Frau Jasmina und seinem Sohn Moritz geht Bähr auf Kreuzfahrt. "Bevor meine Frau nach zwei Jahren wieder in den Beruf einsteigt, wollen wir die Zeit noch mal nutzen, um etwas als Familie zu machen", verrät er. Ausgerechnet jetzt, wo Bähr eigentlich nicht zu ersetzen ist, fehlt er den "Moorteufeln" gegen die Aufsteiger Lindwedel-Hope und Cuxhaven, mag man denken. Das sieht der 32-Jährige ganz anders: "Das Schöne ist, dass wir wirklich eine gute Breite im Kader haben. Da haben die Trainer und der Verein vor der Saison echt einen guten Job gemacht. Ich mache mir überhaupt keine Gedanken, dass etwas schieflaufen könnte", sagt er.
Stattdessen wird er die Zeit mit seiner Familie genießen, aber auch etwas tun, um seine jetzige Form bis zu seiner Rückkehr kurz vor dem Topspiel gegen Harsefeld zu konservieren. "Wenn die Jungs schwitzen, dann schwitze ich auch", kündigt Bähr an. Das eine oder andere Mal wird er im Fitnessstudio an Bord zu finden sein, "vielleicht nicht um 19 Uhr, wenn die Jungs trainieren, sondern eher dann, wenn mein Sohn seinen Mittagsschlaf macht". Moritz, noch nicht ganz zwei Jahre alt, sei bereits fußballverrückt, verrät der Vater, der nach seinen Treffern zuletzt eine Sprachnachricht von seiner Frau erhielt. "Da erzählt sie Moritz, dass Papa ein Tor geschossen hat, und er läuft durchs Wohnzimmer und ruft 'Juhu! Papa Tor!' Das macht er schon wirklich gut", erzählt Bähr stolz. Dieses Glück, das er mit seinen Treffern auch zu Hause auslöst, ist eine ganz besondere Motivation für ihn. Eine, die ihm helfen soll, sein Team auch nach dem Urlaub zu weiteren Siegen zu schießen – ganz egal ob in Messi-Manier oder nicht.