Was geschah am 28. Dezember in Fischerhude? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit bis zu 30 Polizisten der Inspektion Verden/Osterholz. Die Mordkommission Wümme hat mittlerweile viele Regalmeter Akten zusammengetragen. Sie geht jeder Spur nach, egal wie unbedeutend sie sein auch mag. Nach Angaben von Andreas Lohmann, Leiter des Zentralen Kriminaldienstes in Verden, ist das Bild der Tat und ihrer Hintergründe mittlerweile "nicht diffus". Aber es gebe immer noch viele Varianten, die bestätigt oder widerlegt werden müssten. Ein Großteil der Ermittlungsarbeit sei mittlerweile geleistet, sagt Lohmann. Dennoch haben die Mitglieder der Mordkommission noch viele Stunden Arbeit vor sich.
Auf den Tag genau vor acht Wochen kamen bei einem Angriff in einem Privathaus in Fischerhude zwei Menschen ums Leben. Eine Frau überlebte mit schweren Verletzungen. Ein 64-Jähriger sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Nach der Tat war der Mann zunächst geflüchtet, hatte sich aber am darauffolgenden Tag bei einer Polizeidienststelle gemeldet. In einer polizeilichen Vernehmung räumte er ein, die tödlichen Schüsse auf eine 73-jährige Frau und ihren 56-jährigen Sohn abgegeben sowie die 53-jährige Frau angegriffen zu haben. Hintergrund der Tat waren nach Erkenntnissen der Polizei andauernde persönliche Streitigkeiten der beteiligten Personen.
Ein Fall dieser Größenordnung – viel schlimmer als eine tödliche endende Auseinandersetzung wird es nicht – ist im Bereich der Polizeiinspektion Verden/Osterholz höchst selten. Fünf bis sieben Tötungsdelikte gebe es durchschnittlich im Jahr, sagt Lohmann. Doch Mordmerkmale weisen die meisten nicht auf. Die Entscheidung, im Fall Fischerhude Beamte aus unterschiedlichen Fachbereichen abzuziehen und zu einer Mordkommission zusammenzufassen, traf Lohmann bereits wenige Stunden nach der Tat. Zu diesem Zeitpunkt war der mutmaßliche Täter noch nicht gefasst, es war also Tempo gefragt. Dieser Druck ließ nicht nach, als sich der Verdächtige gestellt hatte. "Dann ging die Arbeit erst richtig los", sagt Lohmann.
Vergängliche Beweise
Denn die Zeit spielt gegen die Ermittler. Ein Zeuge erinnert sich nach wenigen Tagen besser an ein Ereignis als nach vielen Wochen. Ein Fingerabdruck kann mit der Zeit verwischen, DNA-Spuren können unbrauchbar werden. Daten können verschwinden. "Beweise sind vergänglich", sagt Lohmann.
Also begann die Mordkommission damit, die Vorgänge in dem idyllisch an einem Seitenarm der Wümme gelegenen Wohnhaus in Fischerhude vom 28. Dezember zu rekonstruieren. Die Ermittler suchten nach Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und den Opfern. Dazu befragten sie auch das persönliche Umfeld der Beteiligten. Wer nun das Bild einer Pinnwand vor Augen hat mit allerhand Fotos und Notizen, die mit Stecknadeln und Bindfäden verbunden sind, liegt gar nicht so falsch. Allerdings nutzen die Ermittler zur Übersicht ein digitales Werkzeug namens "Safir", das dabei helfen soll, Beziehungsgeflechte zu visualisieren.
Polizeikräfte suchten natürlich auch nach physischen Spuren am Tatort und in der Umgebung sowie in mehreren anderen Objekten. Es kamen Drohnen, Polizeitaucher und Diensthundeführer zum Einsatz, in der Hoffnung die Tatwaffe und die Mobiltelefone der beiden Getöteten zu finden. Digitale Endgeräte und Datenträger spielen in der Ermittlungsarbeit eine wesentliche Rolle.
Die notwendigen Durchsuchungsbeschlüsse lieferte die Staatsanwaltschaft Verden. Lohmann lobt die enge Zusammenarbeit mit der Ermittlungsbehörde, insbesondere mit der Abteilung für Kapitaldelikte, die im Fall Fischerhude von Anfang an mit am Tisch saß. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Bereits am Abend des 28. Dezember kam Staatsanwältin Annette Marquardt persönlich in die Verdener Polizeidienststelle an der Bürgermeister-Münchmeyer-Straße und verfolgte zusammen mit Lohmann und Antje Schlichtmann, Leiterin der Inspektion Verden/Osterholz, den Polizeieinsatz im Künstlerdorf.
Staatsanwältin sitzt mit am Tisch
Bei Marquardt landen sämtliche vorsätzlichen Tötungsdelikte sowie Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge. "Sie sind ein großer Glücksfall für die Staatsanwaltschaft Verden. Ohne Ihren besonderen Einsatz wäre womöglich mancher Mordfall im hiesigen Bezirk nicht aufgeklärt worden", sagte Angelika Gresel-Appelbaum, ehemalige Leitende Oberstaatsanwältin in Verden, 2019 über ihre Kollegin. Auch für Lohmann steht fest, dass der enge Draht zur Behörde am Johanniswall nicht nur mit der räumlichen Nähe zu erklären ist, sondern vor allem mit den Akteuren vor Ort.
Wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden, kann der Leiter des Zentralen Kriminaldienstes, ganz genau sagen: mit Abschluss des Gerichtsverfahrens. Bis dahin sei es jederzeit möglich, dass es neue Ansätze gebe. Die Mordkommission wird aller Voraussicht nach aber schon deutlich früher aufgelöst, sobald absehbar ist, dass die drängendsten Fragen geklärt sind.
Mit öffentlichen Antworten hält sich die Polizei weiter zurück, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Jede Angabe zur Tat und den Hintergründen könnte die Aussagen von Zeugen und anderen Beteiligten beeinflussen, fürchten die Ermittler. Und die Staatsanwaltschaft möchte verhindern, dass eine zu frühe Festlegung auf einen Täter und seine Motive ein faires Gerichtsverfahren gefährden. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Strafverteidiger eine öffentliche Vorverurteilung seines Mandanten beklagt.