Wie die Schweringer Kapellengemeinde mit der Bürde ihrer sogenannten Vaterlandsglocke aus den 1930er-Jahren umgehen wird, ist nach wie vor nicht entschieden. Pastor Jann-Axel Hellwege hatte einen „ergebnisoffenen Diskurs“ darüber angestoßen, wie mit der Glocke umgegangen werden solle. Dieser Prozess, hat sich in den vergangenen Wochen herausgestellt, wird noch einige Zeit beanspruchen. Das habe eine Bürgerversammlung gezeigt. „Ich muss mich jetzt erst mal um das Advents- und Weihnachtsgeschehen kümmern“, sagt der Pastor. Danach werde sich die Gemeinde näher mit der Kirchen- und der Ortsgeschichte befassen. „Ich suche Unterstützung bei Fachleuten, beispielsweise der Bau- und Denkmalpflege“, sagt Hellwege, die Aufarbeitung dürfe schließlich nicht als rein innerkirchliches Thema begriffen werden.
Nachdem im Spätsommer in der Pfalz ein solches Relikt aus der Zeit des Nationalsozialismus ins Bewusstsein gerückt war, hatte auch die evangelische Landeskirche zur Nachschau in die Kirchtürme gebeten. Dabei kam heraus: In Kreis Celle, in der Faßberger Michaelkirche, einer damals errichteten Garnisonskirche, hängt eine Glocke mit zwei mal zwei Zentimeter großem Hakenkreuz und einem Luftwaffenadler. In Schweringen in der Samtgemeinde Grafschaft Hoya befindet sich die zweite in Niedersachsen bekannt gewordene Glocke mit – allerdings deutlich größerem – Nazisymbol und Inschriften.
Hakenkreuz-Glocke gegen das Vergessen
Die kleine Kapellengemeinde hat rund 450 Mitglieder und gehört zum etwa ebenso großen Pfarramt Balge. Sie ist nicht nur Eigentümerin der Glocke, sondern seinerzeit auch Auftraggeberin gewesen. Den Vorsitzenden des Kapellenvorstandes, Andreas Kuhlmann, haben die wiederentdeckten Nazisymbole derart geärgert, dass er „ganz persönlich die Glocke am liebsten spontan zerschlagen und im tiefsten Meer versenkt“ hätte. Viele Gespräche mit Mitbürgern, nicht zuletzt die Versammlung mit rund 100 Teilnehmern, haben ihn umgestimmt. „Wir sollten die Glocke behalten“, sagt er. „Sie ist sowieso nur ein Stück Metall, das von einem menschenverachtenden System missbraucht wurde. Ich bin Christ, und ich bin nicht abergläubisch“, sagt Kuhlmann. „Die Symbole haben keinen Einfluss auf uns.“
Am Ende der Bürgerversammlung, sagt Pastor Hellwege, sei ein „Meinungsbild abgefragt“ worden. „Wir hatten das für alle, die am Ort leben, gedacht, nicht nur für Kirchenmitglieder. Deshalb hatte ich gedacht, es würden mehr als 100 werden.“ Die Rufe „Weg mit der Glocke, weg mit dem Klang!” seien seltener laut geworden als anfangs. Fazit: Die Glocke soll hängen bleiben und läuten, statt vernichtet zu werden. Kuhlmann bestätigt, dies sei die Meinung von fast 90 Prozent derer, die sich beteiligten. Der 60-Jährige ist dafür, eine Gedenktafel mit Informationen in der Kirche anzubringen und sich dort auch klar zu distanzieren vom Hakenkreuz-Regime. Die Nazi-Glocke in der Kreuzkirche könne „eine Glocke gegen das Vergessen“ werden und der Aufklärung dienen, glaubt er.
Diesen Weg beschreiten die Faßberger schon länger: Die Gemeinde erkläre die Geschichte ihrer Kirche und der Glocke in einer Broschüre, im Internet und bei Führungen durch das Gebäude und biete so „Gelegenheit, das Erbe des Nationalsozialismus aufzuarbeiten“, teilt das Landeskirchenamt in Hannover mit. Dessen geistlicher Vizepräsident, Arend de Vries, hatte bei Bekanntwerden der Funde in Schweringen und Faßberg klargestellt, er könne sich „nur schwer vorstellen, dass wir nach der geschichtlichen Aufarbeitung mit diesen Glocken weiterhin zu Gottesdiensten oder zum Beispiel zu Friedensgebeten einladen”. Derzeit sind beide Glocken durch diese Ansage zum Schweigen gebracht.
Gegenstimme zur Nazi-Glocke
In der Michaelkirche, das hat die Gemeinde kürzlich beschlossen, soll die Glocke künftig wieder läuten – vielleicht begleitet von einer kleineren neuen Glocke, die ein Zitat des von den Nazis ermordeten Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer tragen könnte. Der Pastor der Gemeinde, Rudolf Blümcke, sagt: „Die Kirche und die Glocke sind in der Nazizeit entstanden. Der ganze Ort atmet diesen Geist, wir müssen uns ständig mit dieser Geschichte auseinandersetzen, Symbole zu beseitigen, würde nichts ändern.“
Die Schweringer Situation sei mit der Faßbergs nicht zu vergleichen, ist Pastor Jann-Axel Hellwege überzeugt. „Die Landeskirche wollte die Glocke weghaben“, sagt der Schweringer Kapellenvorstand Andreas Kuhlmann. Entscheidendes Gremium sei aber schließlich der Kirchenvorstand. „Es gab sogar das Angebot, die Kosten für eine neue Glocke komplett zu übernehmen, wenn die Vaterlandsglocke eingeschmolzen würde. Aber wir können damit unsere Geschichte wachhalten.“