Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Nazi-Relikte fordern heraus Unter Runen

Nationalsozialistische Symbole auf einer Kirchenglocke und an der Decke eines Gemeinschaftshauses werfen Fragen auf: Wie soll in Zukunft der Umgang mit der braunen Vergangenheit aussehen?
30.03.2018, 21:04 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Unter Runen
Von Justus Randt

Die einen haben es mit einer sogenannten Vaterlandsglocke in ihrem Kirchturm zu tun, die anderen mit einer farbenfrohen Hakenkreuz-Deckenmalerei in ihrem Jugendheim. An der Glocke in Schweringen im Kreis Nienburg haben die Menschen schwer zu tragen: Die Diskussion über den Umgang mit dem Relikt der nationalsozialistischen Vergangenheit des Ortes hat die Gemeinschaft gespalten. In Ocholt meinte man, die Debatte über die von örtlichen Handwerkern Ende der 1930er-Jahre gestaltete Decke bereits hinter sich zu haben. Aber die Vergangenheit hat die Ammerländer eingeholt.

Teile des Jugendheims werden heute von der Schule für den Musikunterricht genutzt, Laientheater-Ensembles haben dort ihre Bühne. „Und wir haben dort Gemeinschaftsveranstaltungen“, sagt Wilfried Pistoor, als Dezernent für Arbeit und Bildung auch ­zuständig für Schule und Kultur. Bei einem Basar hatte kürzlich ein auswärtiger Besucher das weiße Hakenkreuz an der Decke gesehen – und die Polizei verständigt. Eine Strafanzeige liege jedoch nicht vor, heißt es dort. Die Beamten wiederum baten ihre Kollegen vom Staatsschutz, die Malerei zu begutachten. Zuletzt prüfte die Staatsanwaltschaft Oldenburg, ob ein Strafverfahren einzuleiten sei.

Lesen Sie auch

So weit hätte es auch vor Jahrzehnten kommen können, ist es aber nicht. „Schon vor 30 Jahren“, sagt Wilfried Pistoor, sei eine Informationstafel „Zur Geschichte dieses Hauses“ in dem als Dorfgemeinschaftshaus und Hitlerjugend-Heim errichteten Gebäude aufgehängt worden. „Dieses Haus und seine Ausgestaltung gehören zur Geschichte unseres Dorfes“, wird um Verständnis geworben: „Deshalb möchten wir auch die Deckenmalerei verstehen als Mahnung und Erinnerung an eine Zeit, in der viele Menschen großes Leid erfahren mußten.“ Bis 1957 sei der Saal auch als Gottesdienstraum genutzt worden.

Mittlerweile, sagt Torben Tölle, Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg, habe seine Behörde „das Verfahren im Hinblick auf die in der Grundschule Ocholt gezeigten Hakenkreuze eingestellt“. Der Straftatbestand der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sei nicht erfüllt. Die Strafbarkeit sei auf Handlungen begrenzt, die den Eindruck einer Identifikation mit den Zielen der verbotenen Organisation erweckten. „Die Verantwortlichen“ hätten sich aber mit der Hinweistafel deutlich vom Nationalsozialismus distanziert.

"Eine Glocke hat nur Gott die Ehre zu erweisen"

Auf Abstand geht auch der Nienburger Superintendent Martin Lechler. Andachten, Gebete und Gottesdienste, zu denen die 1934 nach Wünschen des damaligen Kirchenvorstandes gestaltete „Vaterlands-­glocke“ einlädt, kann er sich nicht vorstellen. Seit einem halben Jahr wird sie nicht mehr geläutet, auch an Ostern nicht. Die evangelische Landeskirche Hannovers will es so. Lechler erklärt, warum: „Das Symbol und der unsagbare Spruch stehen für Tod, Demütigung und Unfrieden.“

Außer dem 35 mal 35 Zentimeter großen Hakenkreuz ist ein Text in die Bronze eingegossen: „Aus Not und aus Nacht ist Deutschland erwacht. Dies Kreuz half gelingen, half Zwietracht bezwingen. Dank sei dir Gott.“ Für Lechler ist klar: „Dieser Spruch verherrlicht nicht Gott, sondern einen Menschen, noch dazu einen besonders bösartigen. Eine Glocke hat nur Gott die Ehre zu erweisen.“

Kürzlich hatten der Kapellenvorstand und der Kirchenvorstand Balge, wo das gemeinsame Pfarramt seinen Sitz hat, in einer Sitzung beschlossen, die Glocke solle wieder läuten. Pastor Jann-Axel Hellwege legte förmlich Einspruch ein: Allein die Kapellengemeinde Schweringen als Eigentümerin könne über die Zukunft der Glocke befinden, die Balger hätten darüber nicht mit abstimmen dürfen. Im vergangenen Jahr hatte die Landeskirche zur Nachschau in den ­Glockentürmen aufgerufen und auf diese Weise die ­„Vaterlandsglocke“ wieder in ­Erinnerung gerufen.

Kirchengemeinde muss neu beraten

„Der Beschluss ist schlicht und ergreifend falsch gefasst worden“, sagt Martin Lechler. Nun muss die Kirchengemeinde neu beraten. „Die Stilllegung der Glocke bleibt daher bis zu abschließenden Klärung des Beanstandungsverfahren bestehen“, teilt die Landeskirche mit. Viele in der Gemeinde hatten dafür gestimmt, die Glocke hängen zu lassen und – wie es die Ocholter tun – mit einer Hinweistafel ihre Geschichte zu erläutern.

So könne die Nazi-Glocke „eine ­Glocke gegen das Vergessen“ werden, hatte Andreas Kuhlmann, der Vorsitzende des Kapellenvorstandes, in der Adventszeit gesagt. Pastor Hellwege hatte früh gefordert, die Aufarbeitung dürfe nicht als rein innerkirchliches Thema begriffen werden.

Das sieht auch der Superintendent so: „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Ich frage mich, wie kann es sein, dass Menschen heute meinen, das sei nicht so schlimm? Es gibt in Schweringen etliche Gruppen, die sich Gedanken machen. Aber es gibt einfach keinen Mittelweg, man kann die Glocke nur hängen lassen oder sie abnehmen.“ Lechler setzt weiter auf die Kraft der Überzeugung. „Es wird ja auch geholfen, die gleiche ­Glocke würde es wieder geben.“ Selbst-­redend, dass der Ersatz eine gottgefällige Inschrift tragen würde. „Wir haben noch keine Termine gemacht, aber vor Ostern passiert nichts.“

Jüngeren zum besseren Verständnis verhelfen

In Westerstede-Ocholt war die Deckenmalerei zuletzt vor rund zehn Jahren Thema. Nachdem eine Schulinspektion des Landes „Uneinigkeit“ zwischen Schulleitung und Schulträger feststellte, was „den Umgang mit nationalsozialistischen Zeichen“ anging, war die Kommunalpolitik gefragt. Der ­damalige Schulamtsleiter habe Hakenkreuz, Sonnenrad und Runen „verbrettern“ wollen, woraufhin es im Dorf „Aufregung um die schöne Decke“ gegeben habe, sagt ­Dezernent Wilfried Pistoor.

Der Verwaltungsausschuss habe die Bemalung schließlich als „zeitkritisches Mahnmal“ gesehen und beschlossen, alles beim Alten zu lassen. Weil „vorher ein paar Rowdys Grabsteine auf unserem kleinen jüdischen Friedhof“ umgestoßen hätten, sei noch eine Resolution gegen Gewalt verabschiedet worden, sagt Wilfried Pistoor. Im Übrigen sei ein offener Umgang mit dem Thema beschlossen worden.

Nach der jüngsten Beschwerde habe der Bürgermeister „sofort im Verwaltungs-­ausschuss rumgehorcht, aber alle sind der Meinung, es sei okay, wie es ist“, sagt Pistoor. Der Kulturausschuss allerdings werde sich mit der Hinweistafel im Jugendheim befassen und sie „vielleicht aufhübschen“. Jüngeren könnte das zum besseren Verständnis verhelfen: Frakturschrift kann längst nicht mehr jeder lesen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Einwilligung und Werberichtlinie

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten dazu genutzt werden, regelmäßig per E-Mail redaktionelle Inhalte des WESER-KURIER seitens der Chefredaktion zu erhalten. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Ich kann diese Einwilligung jederzeit formlos mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, z.B. per E-Mail an widerruf@weser-kurier.de.
Weitere Informationen nach Art. 13 finden Sie unter https://www.weser-kurier.de/datenschutz

Schließen

Das Beste mit WK+

Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)