Nach der halbstündigen Urteilsbegründung fühlten sich beide Seiten als Sieger. „Wir haben, was wir wollten“, raunte der grüne Bundestagsabgeordnete Helge Limburg seinem Landtagskollegen Christian Meyer gut gelaunt zu. „Wir freuen uns sehr, dass das Gericht unserer Rechtsauffassung im ganz Wesentlichen gefolgt ist“, meinte Umweltstaatssekretär Frank Doods (SPD).
Soeben hatte am Dienstag der Niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeburg die rot-schwarze Landesregierung für die bislang komplette Geheimhaltung von bevorstehenden Wolfsabschüssen gerügt. Aber: Alle Infos muss das Umweltministerium im Vorfeld eben auch nicht rausrücken. Wenn man damit betroffene Tierhalter, Jäger und Behördenmitarbeiter identifizieren könne, sei zu deren Schutz das Schweigen der Regierung richtig und geboten, befanden die neun Mitglieder des höchsten Gerichts im Lande.
Drohungen in den sozialen Netzwerken
Die Gefahr von Mobbing, Beleidigungen und körperlichen Attacken auf Beteiligte der „Entnahmen“ von Problemwölfen sei real und groß, erklärte Staatsgerichtshof-Präsident Thomas Smollich und zitierte die Drohungen in den sozialen Netzwerken. Unter Nennung von Namen und Wohnorten war dort von „abartigen Wolfskillern“ und „Problemschäfern“ die Rede. „Gnade dir Gott, du Jägerlein, der du die Fähe geschossen hast. Dann wirst du ohne großen Aufwand bestraft“, pöbelte ein Nutzer nach den ersten öffentlich gewordenen Abschussgenehmigungen. Ein anderer wünschte Umweltminister Olaf Lies (SPD) unverhohlen einen Unfalltod. Im Landkreis Nienburg hatten mutmaßlich militante Tierschützer versucht, mit beschädigten Hochsitzen und Schraubenfallen auf Waldwegen die Jagd auf den Rodewalder Rüden zu erschweren.
Um solche Gefahren zu reduzieren, änderte das Umweltministerium in Hannover vor einem Jahr seine Informationspolitik radikal. Über die Tötung von Wölfen, die durch vermehrte Risse von Nutztieren auffällig geworden waren, unterrichtete das Lies-Ressort nur noch nach Vollzug. Die Grünen-Fraktion probierte es daraufhin im vergangenen Februar mit einer Landtagsanfrage. Sie wollte neben der Zahl der und der Begründung der bestehenden Abschussgenehmigungen auch die Kennung der streng geschützten Raubtiere, deren Territorium, die Art des Herdenschutzes sowie die Schadenhöhe wissen. Doch die Regierung schwieg. Lediglich in vertraulicher Sitzung des Umweltausschusses gab sie Details preis – was den grünen Oppositionsabgeordneten für eine öffentliche Debatte aber nichts nutzte.
Den konkreten Wolf muss das Ministerium nicht nennen
So zogen sie nach Bückeburg. In einem Organstreitverfahren begehrten sie die Feststellung, dass die SPD/CDU-Regierung die in Artikel 24 der Landesverfassung verbriefte Auskunftspflicht verletzt habe. Zumindest teilweise, urteilte jetzt der Staatsgerichtshof. Den konkreten Wolf, das Territorium des Rudels und die örtlich zuständige Behörde müsse das Ministerium nicht nennen. Denn mit diesen Angaben könne man den Kreisjägermeister vor Ort, die Mitarbeiter des Amts und die Jagdausübungsberechtigten ausfindig machen.
„Anderes gilt für die Angabe der Zahl und des Datums erteilter Ausnahmegenehmigungen“, betonte Smollich. Solche Infos führten nicht zu einer Gefährdung von Betroffenen. „Insoweit ist die Verweigerung dieser Angaben verfassungswidrig.“ Gleiches treffe auf die nicht erteilten Auskünfte über Schwachstellen des Herdenschutzes, Zaunarten, von Rissen betroffene Tierarten und die Schadenshöhe zu. „Im Regelfall erlauben solche Angaben keine Rückschlüsse auf den Herdenhalter“, heißt es im Urteil. Nur wenn im Einzelfall eine Identifizierung von Schäfern und Landwirten möglich sei, brauche die Regierung nicht zu antworten. „Derartige besondere Umstände“ habe diese aber nicht vorgetragen.
„Die Geheimniskrämerei der Landesregierung hat jetzt ein Ende“, jubelte Grünen-Spitzenkandidat Meyer. Seiner Fraktion sei es nie darum gegangen, konkrete Namen von Jägern oder Tierhaltern zu erfahren oder diese gar an den Pranger zu stellen. Bedrohungen und tätliche Angriffe verurteile man aufs Schärfste. Den jetzt vom Gericht festgestellten Umfang des Auskunftsrechts hätte man bei gutem Willen des Ministeriums auch ohne diesen Prozess regeln können, meinte Limburg, der nach seinem Wechsel in den Bundestag in Bückeburg nicht mehr als Antragsteller, sondern nur noch als juristischer Beistand seiner ehemaligen Fraktion fungierte. „Jetzt hat die Landesregierung die Quittung bekommen.“
Lies spricht von einem "ausgewogenen Urteil"
Das sah Ressortchef Lies naturgemäß ganz anders. Er sprach von einem „ausgewogenen Urteil“, das dem Schutz der Betroffenen eine hohe Bedeutung beimesse und weiter eine handhabbare Praxis ermögliche. Gleichzeitig hätten die Richter Hinweise darauf gegeben, an welchen Stellen bestimmte Informationen den Abgeordneten zugänglich gemacht werden müssten. „Das werden wir bei der Beantwortung künftiger Anfragen gewissenhaft berücksichtigen.“
Naturschutzbund will von Offenheit profitieren
Von mehr Offenheit will nun auch der Naturschutzbund Nabu profitieren. „Wir gehen davon aus, dass die anerkannten Naturschutzverbände nun auch proaktiv über Genehmigungen informiert werden und dies nicht auch noch über den gerichtlichen Weg erkämpft werden muss“ erklärte Nabu-Landeschef Holger Buschmann.
CDU begrüßt Schutz der Jäger
Der CDU-Landtagsabgeordnete Frank Schmädeke warnte dagegen vor einer allzu großen Preisgabe: „Wir freuen uns, dass das Gericht dem Schutz der Daten von Tierhaltern und Jägern Vorrang eingeräumt hat. Alles andere hätte man den betroffenen Personen nicht erklären können. Dann hätte niemand mehr mitgemacht.“ Jetzt müsse man beobachten, wie sich die Nennung von Zahl und Datum erteilter Genehmigungen auf die von staatlicher Seite mit dem Abschuss beauftragten Jäger auswirke.