„Länderkompetenzen wahren“, „einvernehmlich mit den Ländern“, „zusammen mit den Bundesländern“, „im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern“ – die Erwähnung der 16 deutschen Teilstaaten fehlt auf kaum einer der 177 Seiten im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Und in der Tat kommen sie gut weg: Vor allem die Länder könnten von dem mindestens 46 Milliarden Euro schweren Gesamtprogramm profitieren, mit dem die Große Koalition in den kommenden dreieinhalb Jahren Wohltaten nach dem Gießkannen-Prinzip verteilen will.
Natürlich ist der Koalitionsvertrag zunächst einmal eine Art Absichtserklärung und nicht in Stein gemeißelt. Doch Bremen, Niedersachsen und die anderen Länder hoffen auf einen Geldregen. Aus verschiedenen geplanten Programmen kann das Zwei-Städte-Land mit vielen, vielen Millionen an Bundeszuschüssen rechnen.
Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) freute sich denn auch kurz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen: „Von ganz zentraler Bedeutung ist die nun endlich durchgesetzte Unterstützung des Bundes für die Schulen in unserem Land, sei es bei der Sanierung der Ausstattung oder der Ganztagsbetreuung. Darüber hinaus ist es gelungen, den Mieterschutz zu verbessern, und es wird deutlich mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau in Bremen und Bremerhaven geben.“
Die Große Koalition will zur – wie sie es formuliert – „Wohnraumoffensive“ blasen. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD ein ambitioniertes Ziel gesetzt: „Wir wollen erreichen, dass 1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime frei finanziert und öffentlich gefördert gebaut werden.“ Die Koalition will zwei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau stecken und durch mehr Wohnraum auch den Mietanstieg in den Großstädten dämpfen. Über eine Reform der Grundsteuer soll zudem mehr Bauland zur Verfügung stehen.
Außerdem wird es ein „Baukindergeld“ von 1200 Euro pro Kind und Jahr für Familien geben. Zehn Jahre lang will der Bund diesen Zuschuss zahlen. Bremens CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann ist überzeugt: „Das Baukindergeld wird junge Familien beim Erwerb von Eigentum unterstützen.“ Ein weiterer Punkt im Koalitionsvertrag, der das Portemonnaie schonen könnte: Die Mietpreisbremse für Ballungsräume soll nachgeschärft werden. Ergänzend ist auch eine Auskunftspflicht des Wohnungsbesitzers über die Vormiete geplant.
Elektromobilität stärker im Fokus
Laut den Plänen der Groko soll auch bei der Luftreinhaltung in den Städten umgerüstet werden. „Wir wollen insbesondere die Schadstoff-Emissionen aus dem Straßenverkehr an der Quelle weiter reduzieren“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Das Ziel: Die nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts möglichen Fahrverbote sollen verhindert werden.
Die Koalitionäre wollen den besonders betroffenen Städten bei den Maßnahmen zur Luftreinheit unter die Arme greifen. Auch der Umstieg auf emissionsarme und emissionsfreie Fahrzeuge soll gefördert werden. Im Koalitionsvertrag werden Behörden, Taxiunternehmen, Handwerksbetriebe und der öffentliche Personennahverkehr als mögliche Adressaten von finanzieller Unterstützung genannt.
Auch die Elektromobilität soll künftig stärker in den Fokus rücken. Für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge will die Große Koalition eine auf fünf Jahre befristete Sonderabschreibung ermöglichen. Bereits bis 2020 sollen bundesweit 100.000 Ladepunkte für E-Autos verfügbar sein, mindestens ein Drittel davon Schnellladesäulen.
Fest steht: Im städtischen Nahverkehr wird sich mittelfristig einiges ändern müssen, auch in Bremen. Spätestens wenn die ersten Städte ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge verhängen, wird die Luftreinhaltung ein Dauerthema für die Große Koalition werden. Insofern ist es schon bemerkenswert, was nicht im Koalitionsvertrag steht: Weder ist von der Blauen Plakette die Rede, noch von einem Ausstiegsszenario für den Verbrennungsmotor.
Freuen kann sich Bremen auch über die Zusagen der Groko in den Bereichen Bildung und Integration: Zwei Milliarden Euro sind für den Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung vorgesehen. Auf die Ganztagsbetreuung von Grundschülern gibt es zudem künftig einen Rechtsanspruch.
Weil und Althusmann zufrieden
Für den von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) angestoßenen „Digitalpakt“ mit den Schulen sind fünf Milliarden Euro vorgesehen. Investitionen in Laptops, digitale Lerntafeln und Schul-WLAN müssen allerdings von den Ländern in gleicher Höhe kofinanziert werden. Zur Entlastung der Länder und Kommunen für die Flüchtlingskosten hat die Groko im Koalitionsvertrag Hilfen in Höhe von insgesamt acht Milliarden Euro zugesagt.
Von den Bundeshilfen für Schüler und Flüchtlinge profitiert natürlich auch Niedersachsen. Für die Flächenländer gibt es noch weitere Felder, in denen Geld fließen könnte. Vor allem bei der Digitalisierung. So wollen Union und SPD bis zum Jahr 2025 einen flächendeckenden Ausbau mit schnellen Gigabit-Netzen erreichen. Für diese „Kraftanstrengung“ (Koalitionsvertrag) soll der öffentliche Finanzierungsbedarf aus einem Fonds in Höhe von zehn bis zwölf Milliarden Euro sichergestellt werden. Der Fonds soll sich aus dem Verkauf von UMTS- und 5 G-Lizenzen speisen.
Auch ländliche Räume und strukturschwache Regionen will die Große Koalition fördern. Ziel ist vor allem die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, aber auch Digitalisierung und Fachkräftesicherung sind Stichwörter. Das geplante Fördersystem soll den 2019 auslaufenden Solidarpakt ablösen und für alle Bundesländer gelten. Vom Solidarpakt hatten ausschließlich die ostdeutschen Länder profitiert.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist jedenfalls mit dem Koalitionsvertrag zufrieden. Er werde für viele Menschen Verbesserungen bringen, etwa in den Bereichen Bildung und Digitalisierung, sagt der SPD-Politiker. Sein Stellvertreter Bernd Althusmann von der CDU pflichtet ihm bei: „Niedersachsen wird als Wirtschaftsstandort und von den Investitionen im Bereich der frühkindlichen Bildung und der Ganztagsbetreuung profitieren.“
Erste Verteilungskämpfe haben schon begonnen
Eine besondere Chance für den Norden sehen die SPD-Fraktionschefs der norddeutschen Landesparlamente in der geplanten Verdreifachung der Gelder für den Nahverkehr. Diese zusätzlichen Spielräume durch den Koalitionsvertrag müssten für den Norden genutzt werden, waren sich die Fraktionschefs kürzlich bei einem Treffen in Kiel einig.
„Da werden wir gemeinsam sehr auf der Hut sein, dass die Milliarden, die in den Norden fließen müssen, hier auch ankommen“, sagte Hamburgs SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Er spielte damit auf den häufiger zu hörenden Vorwurf an, dass das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium vor allem für Verkehrsprojekte in Süddeutschland ein offenes Ohr habe. Man lerne aus dem Vorstoß der Sozialdemokraten: Die ersten Verteilungskämpfe haben schon begonnen, bevor es die neue Große Koalition überhaupt gibt.
Serie: Der Koalitionsvertrag
Bis zum 2. März um 24 Uhr stimmen exakt 463.723 SPD-Mitglieder für oder gegen den Eintritt in eine Große Koalition. Das Prozedere ist nicht ganz billig. Die Kosten belaufen sich auf rund 1,5 Millionen Euro. Doch die Parteiführung steht nach einigen Personalwechseln und Kungel-Vorwürfen durch die Basis derart unter Beschuss, dass die Verantwortlichen diese wegweisende Entscheidung für die kommenden Jahre nun in die Hände der Mitglieder gelegt haben. Das Ergebnis des Votums wird am kommenden Sonntag voraussichtlich am frühen Nachmittag verkündet. Was aber steht genau im Koalitionsvertrag? Was bedeutet er für Bremen und Niedersachsen? Was sind die Auswirkungen auf jeden Einzelnen? Kommt es zu steuerlichen Mehr- oder Minderbelastungen? In welchen Bereichen ist was geplant? Von diesem Montag an bis zum Sonnabend beleuchten wir täglich das 177 Seiten dicke Werk – jeweils unter einem thematischen Aspekt.