Nach der Flut des Jahres 2002 stand die Politik unter Zugzwang: In Deutschland, Tschechien und Österreich waren Flüsse über die Ufer getreten, 45 Tote waren zu beklagen. Wie lassen sich solche Katastrophen verhindern? Als Reaktion gründete die EU ein Hochwasserfrühwarnsystem. Es heißt „European Flood Awareness System” und wird meist kurz Efas genannt. Doch so wie andere Lehren aus dem Hochwasser vor 19 Jahren geriet die Bedeutung des Efas in der Zwischenzeit in Vergessenheit. Das hatte nun desaströse Folgen.
Tatsächlich hatte die EU schon vor dem Hochwasser von 2002 mit der Einrichtung eines Warnsystems begonnen. Die Flut in jenem Jahr war dann ein zusätzlicher Weckruf, die Verwirklichung der Plans zu beschleunigen. Die Kommission hatte berechnet, dass Hochwasserereignisse allein zwischen 1998 und 2002 rund 700 Leben gekostet haben. Rund eine halbe Million Menschen verloren zeitweilig das Dach über dem Kopf. Die Versicherungsschäden betrugen 25 Milliarden Euro. Schon damals fiel auf, dass Überflutungen häufiger vorkamen als im 20. Jahrhundert.
Die Umweltagentur der EU kam zu dem Schluss, dass Menschenleben gerettet und Werte erhalten werden können, wenn die Gemeinden möglichst rechtzeitig und präzise eine Warnung erhalten. Die Meteorologen sahen sich dazu in der Lage, hielten aber die Schaffung einer eigenen Beobachtungsstelle mit eigenen Software-Werkzeugen für nötig. Also wurde 2005 das Efas gegründet. Bis 2011 lief es im Testbetrieb. Seit 2012 ist es Teil der Katastrophenreaktionsstelle „Copernicus“.
Heute gilt das Efas als ausgereift und zuverlässig. Es berücksichtigt nicht nur den Niederschlag, denn das ist nur die erste Zutat für ein Hochwasser. Im Computer wird auch der Abfluss des Wassers im Gelände modelliert. So kann es früh sehen, wo Bäche und Flüsse stark anschwellen werden. In den ersten Jahren wurdern daher 3D-Modelle der Täler und Gewässer in Europa erstellt.
Wie gut die wissenschaftliche Seite inzwischen funktioniert, zeigen die präzisen Warnungen des Efas vor der aktuellen Katastrophe. Am 10. Juli, vier Tage bevor der Wasserstand gestiegen ist, verschickten die Experten des Efas erste Warnungen an die Partnerbehörden in den Mitgliedsstaaten. Die Vorhersagen wurden dann Tag für Tag genauer. Insgesamt 25 Mitteilungen zum bevorstehenden Hochwasser gingen vom Efas aus. Einen Tag vor der Katastrophe aktivierte es seine „Schnellkartographierungs-Komponente“. Die Forscher nutzen dafür aktuelle Satellitenbilder. Efas gab eine Warnung vor „extremem Hochwasser“ heraus.
In Deutschland ist ein wichtiger Ansprechpartner des Efas der Deutsche Wetterdienst in Essen. Am 12. Juli wiesen die Meteorologen dort bereits auf die Gefahr enormer Regenfälle in den später betroffenen Gebieten hin. Am 13. Juli warnte der Wetterdienst vor dem extremen Starkregen in kurzer Zeit und nannte bereits einen Bereich „von der Eifel bis zur Mosel“ als besonders betroffene Region. „Das geht einher mit der Gefahr überfluteter Straßen und überfluteter Kellern.“ Am 14. Juli vormittags wurden die Experten noch deutlicher: „Regional steigt die Hochwassergefahr!“ So kam es dann im Laufe des Tages auch.
Die Experten wundern sich nun, warum niemand auf ihre Warnungen gehört hat. „Wir haben gut funktionierende Vorhersagemodelle. Aber wofür sind sie gut, wenn keiner danach handelt?“, fragt die Hydrometeorologin Linda Speight von der University of Reading in Großbritannien. Der Deutsche Wetterdienst weist derweil noch einmal darauf hin, dass er nur für Warnung zuständig ist, nicht für Evakuierungen oder gar das Abdichten von Kellerfenstern. Auch das Efas ist nicht dafür zuständig, eine Empfehlung für die Evakuierung abzugeben. Das zu entscheiden, ist Sache der Behörden, bei denen die Wetterinformationen eingehen. Tatsächlich hat das Efas sich nicht mit dramatischen Worten an die Öffentlichkeit gewandt, sondern seinem Auftrag gemäß nüchterne Fachinformationen an andere Behörden verschickt.
Der unabhängige Meteorologe Pieter Groenemeijer von dem Verein „European Severe Storms Laboratory“ in München analysiert rückblickend den Mechanismus einer wirksamen Wetterwarnung als Vorgang in fünf Schritten. Nachdem der Empfänger einer Vorhersage die Information erhalten hat, muss er sie verstehen, er muss ihrem Inhalt Glauben schenken und er muss wissen, was damit anzufangen ist. Am Ende muss er wirksam handeln. „Schritt fünf wurde nicht erreicht, aber es lag an einer ganzen Reihe von Problemen der davorliegenden Schritte“, schreibt Groenemeijer auf Twitter. Er weist darauf hin, dass die Bereitschaft, Unwetterwarnungen auch ernst zu nehmen, in den USA höher ist als in Europa. Dort gibt es mehr zerstörerische Wettereignisse.
Die Gewässer-Wetterkundlerin Speight beschäftigt sich als Fachfrau damit, wie bei der fachlichen Kommunikation mit der Unsicherheit umzugehen ist, die allen Vorhersagen anhaftet. Wie haben die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit Warnungen zu verstehen? Die Angst vor dem falschen Alarm – im Fall des Hochwassers beispielsweise vor einer unnötigen Evakuierung – überwog offenbar das Ziel, die Bevölkerung unter allen Umständen zu schützen.