Morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung. Jedenfalls nicht am Bahnhof Burg, wo im Minutentakt Pendler ankommen, die in überfüllte Züge zum Bremer Hauptbahnhof einsteigen. Ein Mann in Shorts lehnt sich zurück, die Füße muss er querstellen: Erst dann geht die Zugtür zu. Was sich an diesem Morgen am Bahnhof Burg abspielt, sei der „der ganz normale Wahnsinn“, meint eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sie scheint sich daran gewöhnt zu haben, denn sie zuckt nur die Achseln. „Bei mir ist's nicht so schlimm, ich habe Gleitzeit.“
Andere Kunden nehmen die ständigen Zugausfälle weniger gelassen. „Mit Ende der Schulferien muss ich wie eine Ölsardine im Gang gequetscht stehen, keine Möglichkeit, um sich festzuhalten, und dem Atem und Achselschweiß der Masse ausgesetzt. Ich bin 59 Jahre und schaffe diesen Zustand nicht mehr. Habe schon oftmals Kreislaufprobleme bekommen und kann schon nicht mehr schlafen, weil ich die nächste Fahrt zur Arbeit fürchte“, schrieb eine Kundin.
Manche Fahrgäste beschweren sich auch gleich an Ort und Stelle bei Abuzer Aslan, der im Bahnhofskiosk mit den Brötchen auch Bahntickets verkauft. „Jeder zweite Zug fällt aus, viele meckern. Ich sage immer, ich bin nicht zuständig, auch wenn ich Fahrkarten verkaufe.“ Manche ließen sich von ihm auch ein Taxi rufen. Die Ausfälle begründet die Nordwestbahn mit dem bundesweiten Mangel an Triebwagenführern.
Das Schlimme sei, dass auch die Anzeigen nicht stimmten, bemängeln Pendler auf dem Bahnsteig. Es würden am Bahnhof und in der App ganz unterschiedliche Zeiten angegeben, meint eine Frau, die am Bahnsteig hinter dem Möbelhaus in Burg auf einen Zug wartet, der schon weg ist. Dabei pendelt sie regelmäßig von Burg nach Nienburg bei Hannover.
„Die Verhältnisse werden immer schlimmer“, meint auch Pendlerin Frauke Gnielinski aus Bremen-Nord. Sie weiß, wovon sie spricht: Die Bankerin nutzt die Zugverbindung von Aumund zum Hauptbahnhof und zurück bereits seit 30 Jahren regelmäßig. Dass Reisende mit Koffer und Mütter mit Kindern und Kinderwagen am Bremer Hauptbahnhof zurückbleiben und andere am Zug entlang laufen, um noch eine Tür mit Platz zum Einsteigen zu finden, sei wegen der Zugausfälle keine Seltenheit. Sie fragt sich: „Wie viele Fahrgäste dürfen in einem Zug befördert werden? Müssen wir uns indische Verhältnisse gefallen lassen?“ Weder sie noch viele andere Pendler könnten verstehen, dass Bremen den Vertrag mit einem Unternehmen verlängert, das nicht liefert.
Nach einem Zugausfall zum Werder-Spiel Mitte August teilte Peter Nowack, Ortsamtschef aus Blumenthal, auf Facebook die Forderung, „endlich den Vertrag mit der Nordwestbahn zu kündigen“. Vielleicht habe die neue Senatorin und Bürgermeisterin Maike Schaefer (Bündnisgrüne) „den Mumm, endlich etwas zu unternehmen“, stachelte er.
„Die Nordwestbahn hat das beste Angebot gemacht“
1,5 Millionen Euro Vertragsstrafe hat die Nordwestbahn zwischen Januar und Juni dieses Jahres bereits an Bremen zahlen müssen, weil Züge gar nicht oder zu spät kamen, überfüllt oder verschmutzt waren. Trotzdem hat Bremen den Vertrag gerade erst verlängert – bis 2036. „Die Nordwestbahn hat das beste Angebot gemacht“, so Jens Tittmann, Sprecher des Verkehrsressorts. Längst steht dennoch eine Abmahnung im Raum. „Sofern die angekündigten Maßnahmen der Nordwestbahn keine nachhaltige Verbesserung des Verkehrs zeitnah erzielen, wird die angekündigte Abmahnung erfolgen“, hieß es am Dienstag dieser Woche im Senat. Aber auch, dass bei einer Kündigung die negativen Auswirkungen für die Kunden zu bedenken wären.
„Dann würde drei bis vier Jahre lang keine Regionalbahnen zwischen Bremen und Bremen-Nord fahren“, ist Jens Tittmann überzeugt. So viel Zeit würde es dauern, ein neues Unternehmen zu verpflichten.
Verkehrssenatorin Maike Schaefer hat am Dienstag in der Bürgerschaft versprochen, dass sie das Thema mit Beiratsvertretern und Ortsamtsleitern besprechen will und die Strafzahlungen der Nordwestbahn für die Einrichtung eines Shuttle-Expresses von Burglesum zum Bremer Hauptbahnhof nutzen will. Außerdem soll die Politik im September über einen Entschädigungsanspruch ab 20 Minuten Verspätung auf allen Linien des Verkehrsverbunds entscheiden – es geht dabei um 50 Prozent des Fahrpreises.
Die Wartenden am Bahnsteig erzählen sich, dass zum Herbst weitere Lokführer von der Nordwestbahn zur Deutschen Bahn wechseln wollen, weil die mit hohen Abwerbeprämien locke. „Dann werden wir in der Kälte am Bahnsteig stehen“, fürchtet Frauke Gnielinksi.
Atemlos rennt eine Frau in Richtung Bushaltestelle. Sie sieht gerade noch die Rücklichter des Busses. „Er hätte doch eine halbe Minute warten können!“, schimpft Dorota Lenk aus Diepholz, die vom Hauptbahnhof kommt und mit der Linie 94 weiter nach Marßel will. Sie ist schon eine Stunde unterwegs und wird nun noch länger brauchen. „Eigentlich sollten sich Busse und Bahn abstimmen“, sagt sie grimmig. Und dann: „Meine Erfahrung ist: Die Nordwestbahn muss weg.“