Im Eingangsbereich hat sich die Security postiert, eine Frau und ein Mann haben an diesem Vormittag Dienst. Wer an ihnen vorbei in die Bremer Jugendherberge möchte, muss hier wohnen und seinen Pass vorzeigen, sonst bleibt der Zugang versperrt. Mehrere Zimmer in der Jugendherberge an der Schlachte sind belegt. Verteilt auf die Etagen zwei bis sechs sind hier Geflüchtete untergebracht. Urlaubsgäste und Schulklassen können erst ab Mitte Dezember wieder in die Bremer Einrichtung einziehen.
Bremen ist damit ein Sonderfall im Nordwesten. Das Bremer Haus wird seit Wochen zwischengenutzt. Bei den übrigen Einrichtungen im Landesverband Unterweser-Ems des Deutschen Jugendherbergswerkes sieht das anders aus. Der Landesverband mit Sitz in Bremen betreibt weitere 26 Häuser, die wochenlang geschlossen waren. Inzwischen sind 17 Einrichtungen wieder geöffnet.
Seit Montag dürfen Jugendherbergen und Schullandheime ihre Belegungsquote zudem von 60 auf 80 Prozent erhöhen. Es gibt aber noch keine Einrichtung, die diese Grenze ausschöpft. Es fehlt die Nachfrage. „Von einem Normalbetrieb sind wir weit entfernt“, sagt Thorsten Richter, Geschäftsführer des Landesverbandes Unterweser-Ems. Wenn, dann kommen jetzt wieder Familien oder Einzelreisende. Schulklassen sowie Sport-, Kirchen-, Musik- und Jugendgruppen dürfen bis zum 31. August nicht aufgenommen werden.
Sie machen normalerweise 70 Prozent aller Gäste aus. Schon jetzt fehlen den Jugendherbergen 14 Millionen Euro Umsatz bis zu den Sommerferien. Sollte das Verbot für Schulklassen und Gruppen verlängert werden, erwartet der Landesverband bis Ende des Jahres sogar Einnahmeverluste in Höhe von mindestens 24 Millionen Euro. Entsprechend zu kämpfen haben die Einrichtungen. 300 000 stornierte Übernachtungen hat der Landesverband für dieses Jahr registriert. Die Folge: Alle 650 Mitarbeiter der Jugendherbergen und der Bremer Zentrale sind seit dem 1. April in Kurzarbeit.
Alle baulichen Investitionen sind gestoppt, alle weiteren Ausgaben auf das Notwendigste reduziert. Neun Häuser sind weiterhin geschlossen, weil sich ihr Betrieb aufgrund der Einschränkungen wirtschaftlich im Moment noch nicht wieder rechnen würde. Zu den aktuell noch nicht wieder geöffneten Jugendherbergen gehören auch die Einrichtungen in Worpswede, Verden und Rotenburg. Reservierungen für die Zeit ab September sind aber möglich, Anfragen werden beantwortet.
Bei den Schullandheimen in Bremen und dem Umland ist die Lage mindestens genauso ernst, wenn nicht sogar noch dramatischer. „Die Bremer Schullandheime sind in ihrer Existenz bedroht“, schreibt die Arbeitsgemeinschaft Bremer Schullandheime auf ihrer Website. Auch den zehn Bremer Häusern, die sich in Trägerschaft von Vereinen befinden und ehrenamtlich arbeiten, sind Tausende Übernachtungen weggebrochen.
Nur zwei Beispiele: Das Schullandheim Dreptefarm in Wulsbüttel, Träger ist der Bremer Naturschutzbund, hatte vor Corona mit rund 45 Klassenfahrten und zehn Ferienfreizeiten geplant, zusammen 7000 Übernachtungen wären das gewesen. Mit über 8000 Übernachtungen hatte das Schullandheim in Hepstedt gerechnet, auch sie fallen weg und treffen den Träger, den Wilhelm-Berger-Schullandheimverein Bremen, hart. Zwar übernimmt das Land Bremen die Stornokosten, und auch im Konjunkturpaket der Bundesregierung sind Jugendherbergen und Schullandheime berücksichtigt, aber im Moment weiß niemand, ob beziehungsweise wie die Häuser die nächsten Monate überstehen werden.
Der Verband Deutscher Schullandheime übt harsche Kritik am Konjunkturpaket. „Die Hilfe geht an Realität und Bedarf vorbei“, teilt der Verband in einem Positionspapier mit, das dem WESER-KURIER vorliegt. Darin kritisiert der Verband, dass die Hilfen nicht komplett als Zuschüsse, sondern auch als Kredit gewährt werden. Für drei Monate, heißt es, stünden 9000 bis 15 000 Euro als Zuschüsse zur Verfügung. „Die laufenden Kosten, die auch ohne Gäste und Kursteilnehmer bestehen, enden aber nicht nach drei Monaten.“ Und weiter: „Um Kredite zurückzuzahlen, wären die Häuser gezwungen, die Preise für Bildungsangebote anzuziehen. Damit würde Bildung ein Luxusgut für wenige Teilnehmer.“
Schullandheime sind außerschulische Lernorte, in ihrer Nähe liegen Lehrpfade, Museen, Tiergehege oder Wanderwege. In den Häusern finden Lesenächte, Mathewochen oder Projekte statt. In einigen Einrichtungen kümmern sich Lehrer und Schüler selbst um die Verpflegung und kochen gemeinsam. „Ein breites Bildungsangebot zum Leben-lernen muss für die Zukunft erhalten bleiben“, fordert der Verband.
Die Arbeitsgemeinschaft Bremer Schullandheime appelliert deshalb: „Bitte helfen Sie uns. Buchen Sie für die zweite Jahreshälfte oder schon für das nächste Jahr! Jede Buchung kann unsere Existenz retten.“ Den Jugendherbergen im Nordwesten liegen die ersten Buchungen für 2021 tatsächlich vor, sogar von einer „großen Nachfrage“ über alle Gästegruppen ist die Rede. Auch Schulen buchen offenbar wieder Klassenfahrten.
Einrichtungen in Bremen und umzu
Zehn Bremer Schullandheime sind im Bremer Schullandheime e. V. zusammengeschlossen. Gemeinnützige Trägervereine, zumeist Schulvereine, unterhalten und verwalten diese Häuser ausschließlich in ehrenamtlicher Arbeit. Die Standorte der Schullandheime befinden sich in Dötlingen, Hepstedt, Cluvenhagen, Zeven, Bokel, Kirchseelte, Ristedt und Verden. In Wulsbüttel gibt es neben der Dreptefarm noch das Haus am Paschberg.
Der Landesverband Unterweser-Ems betreibt seine 27 Jugendherbergen unter anderem auf sechs Nordsee-Inseln, in mehreren ostfriesischen Küstenorten, in Bremen und umzu, im Emsland, im Oldenburger Münsterland und im Osnabrücker Land. 234 121 Gäste übernachteten 2019 in einer dieser Einrichtungen. Die Besucher blieben im Schnitt rund drei Nächte. Die meisten Gäste hatte das Haus auf Borkum vor Neuharlingersiel und Bremen.