Knapp fünfeinhalb Monate ist Andreas Kappes inzwischen tot. Die Eltern Hiltraud und Werner haben ihren Sohn, die Schwester Kathrin und ihr Mann Gregor Badstübner ihren Bruder und Schwager verloren. Fünfeinhalb schwere Monate liegen hinter der Familie. Kathrin und Hiltraud weinen häufig, sagen sie. In Gedanken ist ihr Andy immer da – häufiger noch als zu Lebzeiten. Das macht das Abschiednehmen nicht leichter.
Für die Familie Kappes ist in Arbergen nichts mehr wie früher. „Ich vermisse seine Anrufe so sehr“, sagt die 78-jährige Mutter. Sie hat lange überlegt, ob sie das Gespräch mit dem WESER-KURIER überhaupt führen möchte. Immer wieder kommen bei ihr und Kathrin (47) die eigentlich schönen Erinnerungen an Andreas hoch, die das Leben ohne ihn jetzt so schwer machen. Vater Werner, einst selbst ein erfolgreicher Radrennfahrer, der seinen Sohn in den Radsport geführt hat, scheut den Weg in die Öffentlichkeit noch. Alle trauern, doch für den Vater scheint der Verlust des Sohnes besonders schmerzvoll zu sein. Auch zu Hause spricht er nicht viel über seine Empfindungen.
„Er guckt sich viele alte Fotos an“, sagt Kathrin. Der Vater hat sich offensichtlich für einen anderen Weg entschieden als Kathrin und Hiltraud, für die das Reden über ihre Situation wichtiger ist. „Das hilft uns“, sagen sie. Und Menschen aus ihrem nachbarschaftlichen und persönlichen Umfeld dürften sie ruhig häufiger ansprechen, wie es ihnen gehe, sagen sie. Möglicherweise unterlassen es viele, weil sie eben diesen Wunsch der Familie nicht kennen. Zu trauern ist schwer, aber mit Trauernden richtig umzugehen, den richtigen Moment oder den richtigen Ton zu treffen, ist auch nicht einfach.
Was geschah vor dem Tod?
„Man muss lernen, mit der Situation umzugehen“, sagt Gregor Badstübner, der seinen Schwager ebenfalls sehr gemocht hat. Aber der Umgang mit der Situation ist auch deshalb so schwierig, weil die Familie sich ziemlich sicher ist, nicht die ganze Wahrheit, nicht alle Umstände zwischen Andreas' Aufbruch zum Arzt am 30. Juli 2018 gegen 22.30 Uhr und seinem Tod am 31. Juli gegen 1.30 Uhr in einem Krankenhaus zu kennen. Der Zweifel, ob er bei schnellerer und richtiger Behandlung möglicherweise noch leben könnte, zerrt an den Nerven der Hinterbliebenen. Das Schlimmste für sie: Vielleicht werden sie nie erfahren, was in jener Nacht passiert ist. Klar ist nur: Andreas Kappes wurde bei sich zu Hause in Köln von Wespen gestochen und reagierte allergisch auf das Insektengift.
Ein paar Monate zuvor hatte Kappes eine schwere Thrombose überstanden. Das Leben hatte dem 52-Jährigen nach der aktiven Rennzeit ab 2008 etliche Tiefs beschert – Andreas Kappes tat sich beruflich und persönlich im Alltag schwer. Länger als 25 Jahre zählte er zu den besten deutschen Radsportlern. Er feierte Erfolge vor allem auf der Bahn und gewann in 115 Sechstagerennen mit seinen Partnern 24 Mal. Kappes glänzte auch auf der Straße und startete bereits 1984 als 18-Jähriger bei den Olympischen Spielen in Los Angeles im Straßenrennen. „Damals hatten wir seine ganze ehemalige Klasse bei uns zu Hause“, erinnert sich Hiltraud. Die Mitschüler wollten im Hause Kappes gemeinsam das Rennen in den USA verfolgen.
„Andy war ein Großer, aber auch kein Einfacher“, sagt der aktuelle Sportliche Leiter der Bremer Sixdays, Erik Weispfennig. Dick befreundet war er mit Kappes nicht, aber er kannte ihn aus der Sixdays-Zeit trotzdem sehr gut. Kappes sei ein echter Profi gewesen, sagt Weispfennig, mit toller Einstellung. „Nach außen manchmal knorrig, aber innen drin ein Herzensguter.“ Mit dem Auftreten ihres Sohnes hatte Hiltraud einige Probleme, nachdem er zu Hause ausgezogen war.
„Mir hat nicht gefallen, dass er jedem immer gleich seine Meinung gesagt hat“, sagt die 78-Jährige. So wie sie und ihr Mann Andy erzogen hatten, habe er diese Eigenschaft von ihnen nicht haben können. Geliebt wurde Andy trotzdem immer. Umso mehr fehlte am 21. November sein Anruf zum Geburtstag der Mutter. „Er war um 0 Uhr immer der Erste“, sagt Hiltraud. Es ist zu spüren, wie sehr sie das viele gemeinsame Lachen mit ihrem Sohn vermisst.
Je weiter das Gespräch mit dem WESER-KURIER voranschreitet, desto wohler scheinen sich Mutter und Tochter zu fühlen. Das Reden tut ihnen offensichtlich gut. Sie lachen, sie sind auch mal traurig, aber immer gefasst und müssen nicht, wie befürchtet, weinen. Und als es wenig später in die ÖVB-Arena geht, wo der Grund fürs heutige Gespräch zu finden ist, beginnt Hiltraud sogar zu strahlen. „Jetzt freue ich mich richtig“, sagt sie. Verflogen ist bei ihr und Kathrin die Angst, dieser erste Besuch in der Halle ohne Andy würde sie emotional zerreißen.
Dieser erste Bremer Sixdays-Freitag 2019 ist ein ganz besonderer Tag: Die Veranstalter mit Sechstagechef Mario Roggow und Erik Weispfennig an der Spitze haben entschieden, den alljährlichen U19-Cup ab sofort Andy-Kappes-Cup zu nennen. „Ich bin stolz darauf, dass er so gewürdigt wird“, sagt Hiltraud mit großer Dankbarkeit. Der Name des Bremer Jungen Andy Kappes lebt also weiter.