Rund 30.000 Mal hat Carsten Bruns auf den Auslöser seiner Kamera gedrückt. Für den öffentlich-bestellten Vermessungsingenieur war es dafür wichtig, in diesen Januartagen noch einmal trocken durch Delmenhorst zu kommen. "Ich musste den Blick ja immer nach oben richten, da wäre es schlecht für die Technik gewesen, wenn Regentropfen aufs Objektiv tropfen." Das Interesse des Osterholz-Scharmbeckers an Delmenhorst galt nicht den touristischen Sehenswürdigkeiten der Stadt – der 50-Jährige hielt mit seiner Digitalkamera wertvolle Details im Straßenbild für eine Dokumentation fest. Bruns ist zusätzlich zur Tätigkeit als Landvermesser bei Wertermittlungen von Gebäuden engagiert. Daraus habe sich für sein Büro dann auch das Leistungsangebot zur Beweissicherungsdokumentation bei Baumaßnahmen entwickelt. Seit gut zehn Jahren ist er zusätzlich in diesem Segment unterwegs.
Die Fassaden der Gebäude gegenüber der Hertie-Immobilie, die bald abgerissen werden soll, galt es zu dokumentieren. Ob später Schäden durch die bald beginnenden Abrissarbeiten verursacht wurden oder schon vor Beginn des Hertie-Rückbaus vorhanden waren, gilt es gutachterlich festzustellen. Falls es durch die Abrissarbeiten des ehemaligen Kaufhauses zu Rissen am Mauerwerk anderer Wohn- und Geschäftshäuser kommen sollte, liegt dann eine Bestandsaufnahme vor.
Der Vermessungsingenieur hat für seine Dokumentation nicht nur Außenaufnahmen angefertigt. Insgesamt wurden 170 Einheiten, Wohnungen und Geschäftsflächen gemustert und eventuelle Vorschäden notiert. Das sei einigermaßen aufwendig gewesen, bei Wohnhäusern mussten mit den Bewohnern jeweils Termine vereinbart werden, die Besuche in den als Läden genutzten Immobilien war da schon einfacher. "Wir konnten dort meistens während der Geschäftszeiten die Räume besichtigen", so Bruns. "Wenn bei einer Sichtung beispielsweise ein Riss in einer Küchenfliese festgestellt wird, ist diese Beschädigung dann erfasst und kann später nicht nachträglich mit möglichen Erschütterungen durch den Gebäuderückbau von Hertie in Zusammenhang gebracht werden", erklärt Bruns. Seine Arbeit dient der Beweissicherung und hilft letzten Endes Hauseigentümern und der Stadt als Träger der Abrissmaßnahmen gleichermaßen. Die Bestandsaufnahme gilt als eine gesicherte Erkenntnis über den baulichen Zustand, auf die im Konfliktfall zurückgegriffen werden könnte.
Von Bewohnern freundlich aufgenommen
Angetroffen hat Bruns an der Langen Straße und Kirchstraße eine Vielzahl an Gebäudetypen aus unterschiedlichsten Erstellungsjahren. Dabei sei er von den Bewohnern überall freundlich aufgenommen worden. Überhaupt sei Delmenhorst eine schöne Stadt, "das hätte ich vor meinen Besuchen gar nicht gedacht". Für die Beweissicherung hatte er alle Gebäude im Umkreis von rund 100 Metern um die Hertie-Immobilie zu begutachten. Als ein Highlight bleibt ihm dabei auch die Ende des 18. Jahrhunderts erbaute Stadtkirche in Erinnerung: Er zeigte sich beeindruckt von der Helligkeit im Kirchenschiff. Wie berichtet, war der Sakralbau erst vor zwei Jahren einer umfangreichen Innenraumsanierung unterzogen worden. Bauliche Mängel brauchte Bruns also gar nicht erst zu suchen.
Durch den Abriss des über 15 Jahre leer stehenden Kaufhauses seien die beiden Gebäude, die unmittelbar ans aufgegebene Warenhaus grenzen, zuerst in Betracht zu ziehen, wenn man an Beschädigungen denkt. Bruns hat die Seitenwände zu den Nachbarn besonders akribisch untersucht. Es gibt aber keine Streben oder andere Bauteile, die die Häuser miteinander verbinden. So geht er davon aus, dass der Hertie-Abriss weder den City-Point noch das Schuhhaus Gerdes beeinträchtigen werde.
An der Kirchenstraße grenzt ein Gebäude an den Keller des Warenhauses, der dort bis unter die Fahrbahn der Bebelstraße ragt. Zur möglichen Früherkennung von Bewegungen im Untergrund wurden dort spezielle Sensoren platziert. So könnten während der gesamten Rückbauphase kleinste Veränderungen, Bruns spricht von "Submillimeterbereichen", gemessen werden. Aufgezeichnet würden die Signale von einem Computer, der in einem Baucontainer untergebracht ist. Auf diese Weise sei ein Eingriff im Bedarfsfall jederzeit möglich und nicht erst, falls sich im Nachhinein Bauschäden zeigen würden.